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Wie Kaninchen für die Antikörperproduktion leiden

Der Verein SOKO Tierschutz ging gestern mit undercover gemachten Aufnahmen aus einem vermeintlich beschaulichen Bauernhof an die Öffentlichkeit. Sie zeigen: Auf dem Asamhof in Kissing bei Augsburg werden Tausende Kaninchen unter unsäglichen Bedingungen gehalten, um Tierversuche an ihnen durchzuführen. Die Tiere werden zur Antikörperproduktion genutzt, obwohl längst tierversuchsfreie Verfahren zur Verfügung stehen. Ärzte gegen Tierversuche klärt über die Hintergründe der Versuche und die Möglichkeiten der tierfreien Antikörperherstellung auf.

Der Hof wirkt nach außen wie ein idyllischer Familienbetrieb. Vater und Söhne betreiben mehrere landwirtschaftliche Höfe, die mit Bioerdbeeren, Mehl und Tofu werben. Auch Kaninchenfleisch aus eigener Schlachtung wird angeboten. Nun zeigt sich, dass der Rieder Asamhof in Kissing von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt eine weitere Form der Tierausbeutung als zusätzliches Standbein betreibt.

Ein verdeckter Ermittler von SOKO Tierschutz arbeitete drei Monate auf dem Hof. Nach seinen Angaben werden dort rund 3.000 bis 4.000 Kaninchen in kleinen Käfigen gehalten, meist einzeln. Er dokumentierte mehrere Fälle von Tierquälerei: Tiere wurden in Käfige geworfen, an den Ohren gepackt und hochgehoben, kranke Kaninchen erhielten keine ausreichende medizinische Versorgung. Auch die eigentliche „Verwendung“ der Tiere ist erschreckend: Sie werden für Tierversuche eingesetzt.

Dafür werden sie in enge Boxen gepfercht, aus denen nur der Kopf herausschaut. Sie erhalten Injektionen, ihnen wird wiederholt Blut abgenommen. Am Ende werden die Tiere narkotisiert, ihnen wird eine Nadel ins Herz gestochen, durch die ihr Blut aus ihrem Körper gepumpt wird.

Von außen deutet nichts auf diese Tierversuche hin. Lediglich ein kurzer Zeitungsartikel aus dem Jahr 2023 belegt, dass dort Kaninchen zur Herstellung von Medikamenten und Medizinprodukten für den Humanbereich eingesetzt werden (1). Dabei handelt es sich um sogenannte polyklonale Antikörper – ihr Herstellungsverfahren deckt sich mit den Beobachtungen des Ermittlers.

Herstellung von polyklonalen Antikörpern

Den Kaninchen wird zunächst die Substanz injiziert, gegen die Antikörper erzeugt werden sollen. Um die Produktion zu steigern, folgen mehrere weitere Immunisierungen – beispielweise sind zwei bis vier Injektionen innerhalb von sechs bis zwölf Wochen möglich. Währenddessen wird den Tieren wiederholt Blut entnommen, jeweils bis zu zehn Prozent des Gesamtvolumens. Auf diese Weise kann über Monate hinweg Blut gewonnen werden. Am Ende der Versuche werden die Kaninchen getötet, aus ihrem Blut werden die Antikörper isoliert.

Polyklonale Antikörper werden in großem Umfang in Kaninchen hergestellt. 2023 wurden dafür allein in Deutschland 32.970 Tiere eingesetzt (2). Und der Markt ist lukrativ: Im selben Jahr belief sich der Umsatz mit polyklonalen Antikörpern hierzulande auf umgerechnet rund 86 Millionen Euro – etwa die Hälfte davon entfiel auf Antikörper aus Kaninchenblut (3).

Verwendung der Antikörper aus dem Kaninchenblut

Nach Informationen des SOKO-Ermittlers beliefert der Hof unter anderem die Firmen Neovii und Siemens. Siemens nutzt Antikörper für diagnostische Labortests – und ist bereits ein alter Bekannter – sowohl was Tierversuche an Kaninchen angeht als auch ihre tierschutzwidrige Haltung (4). Bereits 2022 war das Unternehmen in die Schlagzeilen geraten, nachdem das Deutsche Tierschutzbüro (heute Aninova) einen Skandalbetrieb in Baden-Württemberg aufdeckte (5), der Kaninchen unter grausamen Bedingungen hielt und für die Antikörperproduktion an Siemens lieferte. Und auch heute noch kontrolliert Siemens seine Lieferanten offensichtlich nicht ausreichend.

Neovii stellt das Medikament Grafalon her. Es wird eingesetzt, um Abstoßungsreaktionen nach Organtransplantationen zu verhindern oder zu behandeln. Zur Herstellung werden Kaninchen mit menschlichen Immunzellen immunisiert. Ihr Immunsystem bildet daraufhin Antikörper gegen diese Zellen, die für die Produktion von Grafalon genutzt werden.

Zweifellos sind Medikamente wie Grafalon oder diagnostische Tests für Patientinnen und Patienten von großem Wert. Doch die entscheidende Frage lautet: Muss ihr Nutzen mit dem Leid und Tod tausender Kaninchen erkauft werden?

Sind Kaninchen für die Herstellung von Antikörpern nötig?

Nach der EU-Richtlinie 2010/63/EU dürfen Tierversuche nur durchgeführt werden, wenn keine anderen, tierfreien Methoden verfügbar sind (6). Auch das deutsche Tierschutzgesetz erlaubt sie ausschließlich dann, wenn sie unerlässlich sind und der Zweck nicht durch tierversuchsfreie Verfahren erreicht werden kann. Zur Herstellung von Antikörpern gibt es jedoch längst solche tierversuchsfreien Methoden (7).

Die am weitesten verbreitete Methode ist das sogenannte Phage-Display-Verfahren (8). Dabei werden B-Zellen, etwa aus menschlichem Blut, genutzt, um die genetische Information für die Antikörperproduktion zu gewinnen. Diese wird in Phagen – Viren, die Bakterien befallen – eingebaut. Die Phagen präsentieren daraufhin Antikörperfragmente auf ihrer Oberfläche. Aus riesigen Phagen-Bibliotheken können gezielt passende Antikörper für ein gewünschtes Antigen ausgewählt werden. Anschließend wird die genetische Information in Produktionszelllinien eingebracht, die den Antikörper in beliebiger Menge herstellen – völlig ohne Tiere.

Das EU-Referenzlabor ECVAM empfahl deshalb bereits 2020, auf tierfreie Verfahren zur Antikörperproduktion umzusteigen (9). Die Technologie ist ausgereift und kann Antikörper mit besseren Eigenschaften liefern, als sie sich in Tieren erzeugen lassen.

Ein Beleg dafür ist der Antikörper Adalimumab (Humira®). Er wurde mit Phage-Display entwickelt und wird zur Behandlung einer Reihe von entzündlich-autoimmunen Erkrankungen wie rheumatoider Arthritis und Morbus Crohn eingesetzt. Die weltweiten Umsätze von Humira lagen 2023 bei umgerechnet knapp 12 Milliarden Euro (10). Gerade im medizinischen Bereich haben solche Antikörper Vorteile wie eine geringere Immunogenität und reproduzierbarere Herstellung.

Mit Phage-Display lassen sich Antikörper völlig tierfrei gegen verschiedene Zielstrukturen generieren. Auch können verschiedene solcher Antikörper miteinander gemischt werden, wodurch dann sogenannte multiklonale Antikörper entstehen, die sich ähnlich wie in Tieren hergestellte polyklonale Antikörper verhalten und analog eingesetzt werden können.

Tierversuchsfreie Antikörperproduktion in Deutschland

Auch in Deutschland gibt es Unternehmen, die auf tierfreie Antikörper setzen. Die Firma Abcalis in Braunschweig nutzt die Phage-Display-Technologie und entwickelt tierfreie Antikörper, darunter auch multiklonale Antikörper, die tierische Varianten ersetzen können. Für dieses Engagement erhielt das Unternehmen 2022 den Preis für tierfreie Antikörper unseres Dachverbandes European Coalition to End Animal Experiments (ECEAE) (11).

Die Firma Phaeosynt aus Hannover geht ebenfalls tierversuchsfreie Wege: Sie produziert Antikörper vegan in Kieselalgen. Mit „Hey mela“ brachte das Unternehmen jüngst den weltweit ersten veganen Schwangerschaftstest auf den Markt (12).

Diese Beispiele zeigen: Antikörper lassen sich ohne Tierleid in hoher Qualität herstellen.

Fazit

Die Recherche von SOKO Tierschutz zeigt auf, wie tausende Kaninchen für die Antikörperproduktion leiden und sterben. Dabei stehen längst tierfreie Verfahren zur Verfügung, die wissenschaftlich etabliert und wirtschaftlich erfolgreich sind.

Angesichts der vorhandenen tierfreien Verfahren zur Produktion von Antikörpern und der rechtlichen Verpflichtung, Tierversuche zu vermeiden, sind die Unternehmen, die Blut der Kaninchen vom Asamhof beziehen, in der Pflicht, umgehend ihre Produkte auf tierfreie Antikörper umzustellen.

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Quellen

  1. Schmid A.K. Für medizinische Zwecke: Kissinger Kaninchenmastanlage wird vergrößert. Friedberger Allgemeine, 02.12.2023 >>
  2. Verwendung von Versuchstieren im Berichtsjahr 2023. Bf3R, Deutsches Zentrum zum Schutz von Versuchstieren >> 
  3. Germany Polyclonal Antibodies Market Size & Outlook. Grand View Horizon >> 
  4. Tierversuche bei Siemens. Ärzte gegen Tierversuche, Pressemitteilung, 28.07.2022 >> 
  5. Tierquälerei in Kaninchenzuchtanlage. Aninova, 11.07.2022 >> 
  6. Richtlinie 2010/63/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. September 2010 zum Schutz der für wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere >> 
  7. Antikörper: Die Zukunft ist tierleidfrei. Ärzte gegen Tierversuche, 16.06.2022 >> 
  8. Antikörper aus Phagen. Ärzte gegen Tierversuche, 07.01.2014 >> 
  9. Barroso, J. et al. EURL ECVAM Recommendation on non-animal-derived antibodies; Publications office of the European Union, 2020 >> 
  10. The global drug sales of Humira (2020 - 2026, USD Millions). Global Data >> 
  11. ECEAE-Preis für tierfreie Antikörper. Ärzte gegen Tierversuche, Pressemitteilung, 03.03.2022 >>
  12. https://heymela.de/