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Trotz deutlicher internationaler Entwicklungen hin zu tierversuchsfreier Forschung stagniert Deutschland weiterhin. Die frühere Ampel-Koalition hat die im Koalitionsvertrag angekündigte Reduktionsstrategie für Tierversuche nicht beschlossen, obwohl ein Entwurf vorlag. Die aktuelle Bundesregierung aus CDU, CSU und SPD zeigt bislang kein erkennbares Engagement, diese Arbeit fortzuführen. Erkennbar ist jedoch die einflussreiche Tierversuchslobby.

Hintergrund: Die vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) noch unter der Vorgängerregierung für April 2025 angekündigte Reduktionsstrategie wurde nicht veröffentlicht – maßgeblich aufgrund massiven Widerstands aus Teilen der Wissenschaft, insbesondere der Grundlagenforschung. Einflussreiche Wissenschaftsorganisationen mit engen politischen Verbindungen blockieren konkrete Fortschritte und bremsen damit auch die Innovationskraft der Industrie.

Gescheiterte Reduktionsstrategie

Seit September 2024 arbeitete das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), bei dem auch das Deutsche Zentrum zum Schutz von Versuchstieren (Bf3R) angesiedelt ist, im Auftrag des BMEL gemeinsam mit Vertretern aus Wissenschaft, Industrie und Tierschutz an einer Strategie zur Reduktion von Tierversuchen. Auch Ärzte gegen Tierversuche war aktiv an der Erarbeitung des Papiers beteiligt. Ziel war die Förderung humanrelevanter, tierversuchsfreier Verfahren in Forschung, Regulierung und Ausbildung1. Die Strategie sollte im April 2025 veröffentlicht werden. Doch aus der Wissenschaft kam scharfer Protest: Die Allianz der Wissenschaftsorganisationen sprach sich deutlich gegen die Veröffentlichung aus – mit Verweis auf die Wissenschaftsfreiheit2. Dies ist erstaunlich, da die Allianz zu den Stakeholdern gehörte, die an der Erarbeitung der Strategie beteiligt waren und der Entwurf weder Verbote noch konkrete Zeitpläne enthielt. Die Kritik erscheint daher ideologisch motiviert.

Selbstblockade der Forschung

Besonders laut opponierten Vertreter der Grundlagenforschung. Sie planten eine an das bekannte Stern-Cover „Wir haben abgetrieben“ aus dem Jahr 1971 angelehnte Kampagne3. Nach öffentlicher Kritik4 wurde der optische Bezug zum Stern-Cover abgeschwächt. Unter dem Motto „Wir machen Tierversuche“ präsentierten sich die Forscher als Opfer von Bürokratie und Stigmatisierung.

Rund 80 % der 110 Kampagnenunterzeichner stammen aus den Neurowissenschaften1 – einem Bereich, in dem tierexperimentelle Erkenntnisse besonders schlecht auf den Menschen übertragbar sind. Gleichzeitig existieren längst bessere Methoden: Organoide, Multi-Organ-Chips oder KI-Modelle liefern verlässlichere Ergebnisse.

So verhindern Teile der Grundlagenforschung durch ihr Festhalten am Tierversuch einen dringend notwendigen Wandel, behindern den wissenschaftlichen und medizinischen Fortschritt – und blockieren sich somit selbst.

Industrie als Vorkämpfer

Während Teile der Wissenschaft blockieren, treibt die Industrie den Wandel voran. Unternehmen wie Merck, AstraZeneca, Sanofi und Roche investieren in tierversuchsfreie Verfahren5. Merck-CEO Belén Garijo sprach 2023 von einer Zukunft ohne Tierversuche – in wenigen Jahren, nicht Jahrzehnten6. Merck entwickelte auch eine eigene Reduktionsstrategie.

Auch international schreitet der Wandel rasant voran: Die US-amerikanische FDA verzichtet zunehmend auf Tierversuche7, Australien hat eine nationale Reduktionsstrategie8, und die EU wird 2026 eine eigene Roadmap zur tierversuchsfreien Chemikalienbewertung vorlegen. Deutschland droht den Anschluss zu verlieren.

Preis ohne Preisträger

Ein weiterer Rückschlag für die tierversuchsfreie Forschung war im April 2025 die Nichtvergabe des Tierschutzforschungspreises des BMEL in der Nachwuchskategorie. Der Preis sollte ursprünglich in drei Kategorien Preisgelder in einer Gesamthöhe von bis zu 220.000 € vergeben werden. Verliehen wurden allerdings nur zwei Preise an internationale Forscher. Ausgerechnet der mit bis zu 100.000 € dotierte Preis für den nationalen wissenschaftlichen Nachwuchs wurde nicht vergeben. Laut Staatssekretärin Dr. Ophelia Nick habe es keinen geeigneten Kandidaten gegeben9. Vermutlich lag das an mangelhafter Ausschreibung und schlechter Kommunikation10 – wobei diese Mängel bereits im Vorfeld durch die Bf3R-Kommission kritisiert und offensichtlich nicht behoben wurden11. Verantwortlich für den Tierschutzforschungspreis des BMEL war wieder das BfR. Eine verpasste Chance, innovative Forschung im Land zu würdigen und zu fördern.

Verflechtungen und Interessenkonflikte

Besorgniserregend ist die Rolle des Wissenschaftsrats, der die Bundesregierung und die Landesregierungen in Fragen zu Wissenschaft und Forschung berät12. Er bewertet auch das BfR13, das die Reduktionsstrategie erarbeitet hat, gehört aber gleichzeitig zur Allianz der Wissenschaftsorganisationen14, die diese Strategie ablehnt. Die Allianz ist im Lobbyregister gelistet und finanziert die von ihr ins Leben gerufene Pro-Tierversuchs-Initiative „Tierversuche verstehen“15. Unter solchen Voraussetzungen ist eine unabhängige Beratung der Politik nicht möglich.

Was jetzt passieren muss

Zoe Mayer (tierschutzpolitische Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen) kritisierte den Einfluss der Wissenschaftslobby deutlich2. Die Blockade der Reduktionsstrategie sei innovationsfeindlich. Auch das BMEL hofft auf eine Wiederaufnahme des Prozesses durch die neue Bundesregierung.

Deutschland braucht eine Reduktionsstrategie, um in der biomedizinischen Forschung zukunftsfähig zu bleiben – ethisch, wissenschaftlich und wirtschaftlich. Die Regierung darf sich nicht länger von Lobbyinteressen davon abhalten lassen, die Weichen für eine tierversuchsfreie Zukunft zu stellen.


Dr. rer. nat. Johanna Walter

 

Quellen

  1. Reduktionsstrategie für Tierversuche an Grundlagenforschern gescheitert? Pressemitteilung, Ärzte gegen Tierversuche, 07.05.2025
  2. Weisskopf M. Reduktionsstrategie für Tierversuche: Warum die Allianz so harsch auf den Vorschlag des BMEL reagierte. Table Briefings, 30.04.2025
  3. Fragwürdige Pro-Tierversuchskampagne geplant. Pressemitteilung, Ärzte gegen Tierversuche,15.04.2025
  4. Ungewöhnlicher Protest - Wieso Forscher eine Pro-Tierversuche-Kampagne starten wollen. FAZ, 15.04.2025
  5. Merck kauft Organoid-Unternehmen. News, Ärzte gegen Tierversuche, 14.01.2025
  6. Merck-Chefin spricht sich für Ausstieg aus Tierversuchen aus. Frankfurter Rundschau, 26.5.2023
  7. FDA announces plan to phase out animal testing requirement for monoclonal antibodies and other drugs. FDA, 10.04.2025
  8. Australien setzt auf eine Zukunft ohne Tierversuche. Pressemitteilung, Ärzte gegen Tierversuche, 14.04.2025
  9. Verleihung des Tierschutzforschungspreis 2025. YouTube-Kanal BMEL
  10. Berlin: Bundesforschungspreis und Tierschutzpreis gehen an zwei internationale Wissenschaftler. InVitro+Jobs, 23.04.2025 
  11. Ergebnisprotokoll der 14. Sitzung der Bf3R-Kommission. Bf3R, 11.10.2024
  12. Wissenschaftsrat (WR)
  13. Wissenschaftsrat: „Aufgaben hervorragend erfüllt“. Pressemittelung BfR, 22.04.2024
  14. Allianz der Wissenschaftsorganisationen: Mitglieder
  15. „Tierversuche verstehen“ – Allianz der Wissenschaftsorganisationen startet Informationsinitiative zu tierexperimenteller Forschung. Pressemitteilung, Allianz der Wissenschaftsorganisationen, 06.09.2016