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Flügelmarken, Verstümmelungen und Sender in der Bauchhöhle

Wildtierforschung – das klingt nach Natur, Schutz und dem noblen Ziel, gefährdete Arten zu bewahren. Doch was in Fernsehdokus oft als harmloses wissenschaftliches Arbeiten erscheint – ein Ring am Vogelbein, ein Sender auf dem Rücken, eine Blutprobe – entpuppt sich bei genauem Hinsehen als Eingriff mit teils gravierenden Folgen für das einzelne Tier. Die Eingriffe, die laut Gesetz als Tierversuche gelten, reichen vom einmaligen Fang bis zur wiederholten Manipulation mit Betäubung, Operationen und sogar Tötung. Sie hinterlassen nicht nur physische Spuren – wie Verstümmelungen, Muskelkrankheiten oder entzündete Wunden durch implantierte Sender – sondern auch psychische Traumata, die das Verhalten, die Fortpflanzung und letztlich das Überleben der Tiere beeinflussen können.

In einem aktuellen Beitrag räumt Dr. med. vet. Corina Gericke mit der gängigen Vorstellung auf, Forschung für den Artenschutz sei harmlos und nötig und geht der Frage nach, wie Wildtiere ganz ohne Leid und Tod erforscht werden können.

Allein der Fang von Wildtieren kann zu schwerwiegenden Stressreaktionen mit Todesfolge führen. Markierung und Besenderung können die Tiere oft jahrelang beeinträchtigen. Beispiele reichen von Pinguinen, die aufgrund der angebrachten Flügelmarken weniger Beute machen, Zebras mit Senderhalsband, die weniger grasen, Vögel, die ihre besenderten Küken aus dem Nest werfen, bis zu Bären, bei denen die Batterie eines in die Bauchhöhle operierten Senders ausgelaufen ist.

All das wird mit dem Argument legitimiert, man müsse Verhalten und etwa Wanderrouten der Tiere detailliert verstehen, um ihre Art vor dem Aussterben zu bewahren. Doch selbst dieser vorgebliche Nutzen ist fraglich, wenn schon minimale Veränderungen – wie ein um wenige Gramm schwereres Senderhalsband – messbare Verhaltensänderungen hervorrufen. Wie aussagekräftig sind dann die erhobenen Daten wirklich?

Die gute Nachricht: Es geht auch anders. Moderne, tierversuchsfreie Methoden bieten ein beeindruckendes Spektrum an Möglichkeiten, Tiere zu erforschen, ohne sie zu fangen oder zu verletzen. DNA-Spuren in Kot, Haaren, Federn oder sogar im Atem, Speichel auf übriggelassenen Blättern, genetische Informationen aus Wasser, Erde, Luft – alles lässt sich heute schonend und effektiv analysieren.

Künstliche Intelligenz erkennt Tiere an individuellen Fellmustern, Flugverhalten oder Gesichtszügen. Kamerafallen, Drohnen und 3D-Scans liefern Daten, die nicht nur verlässlich, sondern auch ethisch vertretbar sind.

Die Wildtierforschung steht an einem Wendepunkt. Sie muss sich entscheiden: Will sie weiter das Leiden des Einzeltiers ignorieren, um fragwürdige Daten zu sammeln? Oder wählt sie den Weg des Respekts, der Innovation und der echten Wissenschaftlichkeit? Die Antwort sollte klar sein – im Sinne der Tiere, der Ethik und der Zukunft der Forschung.

 pinguine
Adélie-Pinguine: Flügelmarken erhöhen den Strömungswiderstand
und erschweren das Schwimmen und damit die Nahrungsaufnahme.
©Katie Dugger, USGS