Medizinischer Fortschritt ist wichtig - Tierversuche sind der falsche Weg!
Die Untersuchung der Lebertoxizität ist ein entscheidender Schritt in der Medikamentenentwicklung. Tierversuche und einfache Zellkulturen können eine Schädigung der Leber jedoch nicht zuverlässig vorhersagen. In einem von der Alliance for Human Relevant Science organisierten Workshop diskutierten Experten aus Industrie, Universitäten und NGOs, ob komplexe In-vitro-Modelle wie Organoide oder Leber-Chips eine präzisere Vorhersage ermöglichen. Die vorliegende Veröffentlichung wurde von den Teilnehmern des Workshops verfasst.
Die Leber kann durch bestimmte Medikamente geschädigt werden, was als drug-induced liver injury (deutsch: medikamenteninduzierte Leberschädigung; Abkürzung: DILI) bezeichnet wird. Diese Nebenwirkung kann von leichten Beschwerden wie Übelkeit bis zu lebensbedrohlichem Leberversagen reichen. Zahlreiche Medikamente, darunter Schmerzmittel wie Paracetamol oder Antibiotika, bergen ein Risiko für DILI. Zudem gehören DILI zu den häufigsten Gründen, warum neue Medikamente im Zulassungsprozess scheitern. Sie sind auch bei bis zu 21 % der vom Markt zurückgenommenen Medikamente Grund für ihre Rücknahme. Die frühzeitige Identifikation von DILI ist daher ein entscheidender Schritt in der Medikamentenentwicklung.
Tierversuche sind nicht aussagekräftig
Derzeit werden Leberschäden vor allem mit Tierversuchen oder einfachen 2D-Zellmodellen untersucht. Beide Methoden haben jedoch erhebliche Schwächen: Tierversuche liefern keine zuverlässigen Ergebnisse, unter anderem weil sich der Stoffwechsel von Tieren erheblich von dem des Menschen unterscheidet. Von Substanzen, die beim Menschen zu einer Leberschädigung führen, rufen nur 33 % in Tierversuchen mit Ratten und 27 % in Versuchen mit Hunden ebenfalls Leberschäden hervor. Einfachen 2D-Zellkulturen fehlen dagegen die komplexen Wechselwirkungen, die in der menschlichen Leber stattfinden.
Komplexe In-vitro-Modelle der menschlichen Leber
Komplexe In-vitro-Modelle (englisch: complex in vitro models, CIVMs) können die menschliche Leber präziser nachbilden als einfache 2D-Zellkulturen. Zu diesen Methoden gehören 3D-Zellkulturen, die aus kugelförmigen Zellhaufen (Sphäroide) oder organähnlichen Strukturen (Organoiden) bestehen. Eine weitere vielversprechende Methode sind Organ-on-a-Chip-Technologien, bei denen menschliche Leberzellen in mikrofluidischen Systemen kultiviert werden. Diese Leber-Chips simulieren den Blutfluss und die Sauerstoffversorgung der Leber, sodass Medikamente unter realistischeren Bedingungen getestet werden können.
CIVMs verbessern die Vorhersage einer Lebertoxizität
Vergleichsstudien zeigen, dass CIVMs deutlich bessere Ergebnisse liefern als Tierversuche oder 2D-Zellkulturen. So zeigte das 3D-Lebermodell InSphero InSight™ eine höhere Empfindlichkeit bei der Vorhersage von Leberschäden: Es erkannte in 52 % der Fälle korrekt eine Lebertoxizität, während herkömmliche 2D-Zellkulturen lediglich 33 % erreichten.
Besonders vielversprechend ist die Leber-Chip-Technologie von Emulate, die eine Empfindlichkeit von 87 % aufweist. Das bedeutet, dass sie 87 % der tatsächlich leberschädigenden Substanzen korrekt als toxisch identifiziert. Gleichzeitig liegt die Spezifität bei 100 %, sodass nicht lebertoxische Substanzen zuverlässig als ungefährlich eingestuft werden. In den Versuchen wurden explizit auch Substanzen getestet, die in Tierversuchen fälschlicherweise als nicht lebertoxisch klassifiziert wurden – ein klarer Beleg für die überlegene Vorhersagegenauigkeit von CIVMs.
CIVMs können nicht nur zu sichereren Medikamenten beitragen, sondern auch die Kosten der Medikamentenentwicklung erheblich senken. Schätzungen zufolge könnte die bessere Vorhersagekraft des Leber-Chips der Pharmaindustrie einen Produktivitätsgewinn von 3 Milliarden US-Dollar bringen, indem toxische Arzneimittelkandidaten bereits früh erkannt und aussortiert werden.
Ausblick und Fazit
Mit zunehmender Verfügbarkeit und Weiterentwicklung könnten CIVMs in Zukunft eine Schlüsselrolle in der Medikamentenentwicklung übernehmen. Dafür müssen jedoch bestehende Hürden, wie fehlende einheitliche Zulassungsstandards, überwunden werden. Die Autoren schlagen daher eine engere Zusammenarbeit zwischen Regulierungsbehörden, der Industrie und der Wissenschaft vor, um die Integration dieser innovativen Methoden in den Arzneimittelprüfprozess zu erleichtern.
Zusammenfassung
27.02.2025
Dr. rer. nat. Johanna Walter
Quelle
Das 3R-Konzept gibt einen Rahmen für „Reduction“, „Refinement“ und „Replacement“, also die Reduktion, die Verfeinerung und den Ersatz von Tierversuchen. Das in den 1950er Jahren entwickelte Prinzip sollte eine Leitlinie für einen ethischeren Umgang mit Tieren in der Wissenschaft geben. So sollten Tierversuche so weit wie möglich durch tierversuchsfreie Verfahren wie Zellkulturen oder Computermodelle ersetzt werden. Zudem sollte die Anzahl der Tiere in den Versuchen so weit wie möglich reduziert werden und Tierversuche so verfeinert werden, dass sie möglichst wenig Leiden verursachen.
Hat das 3R-Prinzip sein Ziel erreicht?
Eine konsequente Nutzung des 3R-Prinzips hätte folglich zu einer deutlichen Reduktion der Zahl der in Tierversuchen eingesetzten Tiere führen müssen. Bailey attestiert jedoch, dass der „Tierverbrauch“ in der Wissenschaft mit der Zeit gestiegen ist und dass Tierversuche als Goldstandard noch immer die erste Wahl sind und nicht erst nach sogfältiger Prüfung als „letzten Ausweg“ eingesetzt werden, wenn keine tierversuchsfreien Methoden zur Verfügung stehen.
Die 3R konsolidieren Tierversuche
Bailey erläutert, wie das 3R-Prinzip dazu führt, dass ein großer Teil der Bemühungen vom wichtigsten „R“ - dem Ersatz von Tierversuchen - auf die beiden anderen „Rs“ (Verfeinerung und Reduktion) gelenkt wird, welche den Wert von Tierversuchen zum Nutzen des Menschen als gegeben annehmen. So wird eine kritische Auseinandersetzung mit Tierversuchen verhindert.
Andererseits steigt die Zahl der Wissenschaftler, die erkennen, dass Tierversuche sich nicht auf den Menschen übertragen lassen und aufgrund eines Mangels an Evidenz als unwissenschaftlich zu betrachten sind. So tragen Tierversuche nicht wesentlich zum Verständnis der Ursachen menschlicher Krankheiten bei und führen nicht zur Entwicklung sicherer und wirksamer Therapien. Zu der mangelnden Übertragbarkeit von Tierversuchen hat allein Bailey über 60 Artikel veröffentlicht, in denen belegt wird, dass die Übertragbarkeit von Tierversuchen extrem schlecht ist. Trotz dieser Belege für das Versagen von Tierversuchen hat sich die Einsicht, dass eine Fokussierung auf human-relevante Forschung nötig ist, bisher nicht durchgesetzt. Stattdessen glaubt ein Teil der Wissenschaftler, dass die mangelnde Übertragbarkeit sich durch weitere Verfeinerung von Tierversuchen oder genetische Veränderung der sogenannten Versuchstiere beheben lässt.
In Teilen der Forschungsgemeinschaft hat sich zudem die Einstellung festgesetzt, dass die Berücksichtigung eines der „Rs“ genug sei. In Kombination mit der Tatsache, dass es für tierexperimentell arbeitende Forscher einfacher ist, ihren Tierversuch zu „verfeinern“ als auf möglichweise besser geeignete tierversuchsfreie Methoden umzusteigen, die sie jedoch erst erlernen oder entwickeln müssten, führt dies zur „Verewigung“ des Systems Tierversuch. Hier kritisiert Bailey, dass es unwissenschaftlich sei, Tierversuche zu verfeinern oder die Anzahl der beteiligten Tiere zu reduzieren, wenn die Tierversuche von geringer oder keiner menschlichen Relevanz sind. Unter solchen Umständen muss der Ersatz des Tierversuchs die einzige Vorgehensweise sein.
Das Festhalten an Tierversuchen hat fatale Folgen
Das Festhalten an Tierversuchen führt zum Versagen der Wissenschaft, die einen Nutzen für den Menschen bspw. durch eine klinische Anwendung schuldig bleibt. Dies hat direkte Auswirkung auf Patienten und ihre Familien, die auf eine wirksame Therapie warten. In Angesicht des Scheiterns der tierexperimentellen Forschung stellen sich auch ethische Fragen in Bezug auf die eingesetzten Tiere, die umso schwerer wiegen, als selbst dort, wo es bereits validierte tierversuchsfreie Verfahren gibt, noch immer Tiere verwendet werden.
Es ist Zeit das 3R-Prinzip zu ersetzen
Bailey schlussfolgert, dass das 3R-Prinzip durch etwas Effektiveres ersetzt werden sollte. Dazu stellt er unter anderem das von Animal Free Research UK als Ersatz für die klassischen 3Rs entwickelte Konzept „Relevance“, „Reliability“ und „Responsibility“ (Relevanz, Zuverlässigkeit und Verantwortung) vor. In diesem Konzept erfordert „Relevanz“ eine Forschung, die von unmittelbarer Bedeutung für den Menschen ist, wie beispielsweise menschliche Zellkultur-Systeme und Organ-on-a-Chip Ansätze. „Zuverlässigkeit“ beschreibt Kriterien für wissenschaftlich hochwertige Methoden, die reproduzierbar und für den Menschen relevant sind und keine Probleme im Zusammenhang mit der Übertragbarkeit von einer Art auf die andere aufweisen. Der Begriff der „Verantwortung“ bezieht sich schließlich zum einen auf ein stärkeres Engagement für die Tiere, die in Laboratorien verwendet werden, aber auch für die Menschen, die durch Verwendung der besten verfügbaren wissenschaftlichen Methoden besser von der Forschung profitieren können.
Fokussierung auf den Menschen
Das Wohlergehen von Mensch und Tier sollte Hand in Hand gehen. Bailey erwartet, dass ein stärkerer Fokus auf das menschliche Wohlergehen den Ersatz von Tierversuchen beschleunigen wird, da dies relevante und aussagekräftige Methoden erfordert – die ausnahmslos auf den Menschen ausgerichtet sind. Die Anwendung dieses Konzepts, welches von Bailey „humanity criterion“ (Kriterium der Menschlichkeit) genannt wird, würde so unmittelbar dazu führen, dass weniger Tierversuche durchgeführt werden.
Zudem würde das Kriterium der Menschlichkeit die Unmenschlichkeit gegenüber Tieren angemessener berücksichtigen und ebenso die Unmenschlichkeit dem Menschen gegenüber, der unter den Folgen einer nicht auf den Menschen übertragbaren tierversuchsbasierten Forschung leidet. So regt Bailey auch an, dass der mögliche Schaden, der Menschen durch Tierversuche entsteht, bei der Schaden/Nutzen-Beurteilung von Tierversuchen berücksichtigt werden sollte.
Konkrete Schritte zur Umsetzung
Bailey regt eine Umverteilung der Fördermittel an, welche stärker in den Ersatz von Tierversuchen fließen sollten. Zudem zeigt er auf, dass der Ersatz von Tierversuchen in Begutachtungsprozessen und bei der Genehmigung von Tierversuchen stärkere Berücksichtigung finden muss, wozu den Gutachtern und Behörden die notwendige Expertise zur Verfügung gestellt werden muss. Auch sollten Projekte die Tierversuche beinhalten bereits früh und kritisch geprüft werden, etwa wenn die Forscher dafür Fördermittel einwerben. Die Beschäftigung der Forscher mit dem Thema Ersatz von Tierversuchen sollte über das derzeit übliche Ankreuzen von Kästchen in Formularen hinausgehen und in nachvollziehbaten Art und Weise dokumentiert werden.
Fazit
Bailey schlussfolgert, dass das 3R-Prinzip nicht nur nicht ausreicht, sondern sogar kontraproduktiv ist, indem es den Fokus auf die Reduktion und die Verfeinerung von Tierversuchen legt, anstatt den Ersatz von Tierversuchen anzustreben. Somit ist es an der Zeit, das 3R-Prinzip hinter sich zu lassen. Hier würde aufgrund der mangelnden Übertragbarkeit von Tierversuchen eine Fokussierung auf die beste verfügbare Wissenschaft zu einer Abwendung von Tierversuchen und Hinwendung zu tierversuchsfreien und human-relevanten Methoden führen.
Zusammenfassung
18.06.2024
Dr. rer. nat. Johanna Walter
Quelle
In der Europäischen Union (EU) dient die Verordnung zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH) dazu, Menschen und Umwelt vor möglichen negativen Einflüssen von Industriechemikalien zu schützen. Die Regulation ist dabei umfangreich und hat sich seit der 1960er Jahren stetig weiterentwickelt, wodurch sie zunehmend komplex und in Teilen ineffizient wurde. So dauert eine durchschnittliche Klassifizierung von Chemikalien unter REACH über 19 Jahre. Diese lange Dauer bedingt auch eine erhebliche Anzahl von Chemikalien, deren Sicherheit bis heute nicht bewertet wurde.
Chemicals 2.0: Umgestaltung der Chemikalienregulation
In ihrem Beitrag beschreiben Berggren und Worth als Mitglieder der Gemeinsamen Forschungsstelle (Joint Research Centre, JRC) der Europäischen Kommission, wie die EU-Chemikalienregulierung umgestaltet werden kann, um bei gleichbleibend hoher oder sogar höherer Sicherheit den Prozess effizienter zu gestalten. Eine zentrale Rolle sollen dabei nach Ansicht der Autoren New Approach Methodologies (NAMs) spielen. Dabei handelt es sich um sogenannte alternative Methoden zu herkömmlichen tierversuchsbasierten Toxizitätstestungen, die beispielsweise auf In-vitro-Methoden und Computermodellen beruhen können. Die Methoden beruhen dabei darauf, dass mechanistische Erkenntnisse über die Wirkung der zu testenden Chemikalien gewonnen werden, ohne dass dafür Tiere eingesetzt werden müssen.
Die Rolle von NAMs in Chemicals 2.0
Durch Nutzung der NAMs erwarten die Autoren eine effizientere und effektivere Bewertung der Chemikaliensicherheit, bei der zudem das von der EU gesetzte Ziel, Tierversuche durch tierversuchsfreie Methoden zu ersetzen, berücksichtigt wird. So hat die Europäische Kommission sich bereits 2016 dazu verpflichtet, eine Roadmap zu entwickeln, die in der Chemikalienbewertung zunehmend auf NAMs bauen wird mit dem Ziel, Tierversuche in diesem Bereich schließlich vollständig durch tierversuchsfreie Verfahren zu ersetzen.
Während die heutige Chemikalienbewertung überwiegend auf tierversuchsbasierten „Endpunkten“ beruht, also etwa der Untersuchung der Konzentration einer Chemikalie, die eine bestimmte Anzahl der eingesetzten Tiere tötet, schlagen die Autoren ein neues Bewertungssystem vor, bei dem der Toxizität zugrundeliegenden Eigenschaften der zu testenden Chemikalien mit Hilfe von NAMs untersucht werden. NAMs sollen insbesondere zur Klassifizierung der Toxikodynamik, also der Wirkung der Substanz im Körper, und der Toxikokinetik, also der Verarbeitung des Stoffes im Körper, herangezogen werden. Zur Bewertung der Toxizität von Chemikalien – welche in verschiedenen Zielorganen erfolgen und auf verschiedenen Mechanismen beruhen kann – sollten mehrere NAMs kombiniert werden.
Bereits heute nutzen viele Chemikalienhersteller NAMs bei der internen Bewertung von Chemikalien. Probleme, die dem verstärkten Einsatz von NAMs unter REACH im Wege stehen sind vor allem die langen Validierungsdauern – hier dauert es bis zu 10 Jahre, ehe NAMs validiert und regulatorisch akzeptiert sind – sowie das Vorurteil, dass NAMs weniger sicher seien als Tierversuche. So werden NAMs derzeit eher in den frühen Phasen der Chemikalientestung eingesetzt und im Anschluss daran noch immer Tierversuche durchgeführt. Um eine schnellere Validierung und Akzeptanz von NAMs zu ermöglichen, schlagen die Autoren vor, die dafür nötigen Kriterien weniger rigide und mehr am jeweiligen Zweck der NAMs ausgerichtet zu gestalten.
Um dem Ziel einer effizienteren und tierversuchsfreien Chemikalienbewertung näher zu kommen, schlagen die Autoren vor, das neue NAMs-basierte Bewertungssystem graduell einzuführen und zunächst parallel zu dem traditionellen System zu verwenden. Dadurch kann bereits vorhandenes Wissen genutzt und Vertrauen in das neue Bewertungssystem aufgebaut werden, welches nötigenfalls in diesem Übergangszeitraum weiter verbessert und angepasst werden kann. So soll der Einsatz von Tieren in der Chemikalientestung zunächst schrittweise reduziert und schließlich vollständig eingestellt werden.
Zusammenfassung
05.06.2024
Dr. rer. nat. Johanna Walter
Quelle
Berggren E., Worth A.P. Towards a future regulatory framework for chemicals in the European Union - Chemicals 2.0. Regulatory Toxicololgy and Pharmacology 2023; 142:105431
Die EU-Tierversuchsrichtlinie 2010/63/EU schreibt zur europaweiten Vereinheitlichung vor, dass sogenannte Nicht-technische Zusammenfassungen (NTS für Non-Technical Summaries) von Tierexperimenten vor. Ziel war eine erhöhte Transparenz; enthalten sein soll das voraussichtliche Leid der Tiere sowie der zu erwartende Nutzen als auch die Anzahl und die Art der verwendeten Tiere. Einhaltung der 3R sollte ebenfalls demonstriert werden, im besten Falle eine best practice geteilt und mithilfe der öffentlichen Zugänglichkeit der Dokumente Doppeltestungen vermieden werden. Diese Publikation untersucht, wie schnell die NTS veröffentlicht werden, wie gut sie identifizierbar und zugänglich sind sowie die inhaltliche Qualität. Dabei stellt sich heraus, dass es große Unterschiede zwischen den Ländern gibt. Deutschland und England werden spezifisch verglichen. Am Ende geben die Autoren Empfehlungen, wie die NTS umgestaltet werden könnten.
Historisch gesehen schneidet Frankreich sehr schlecht ab, was die Transparenz zu Tierversuchen angeht, Länder wie Dänemark, Schweden und Norwegen dagegen veröffentlichen die kompletten Projektanträge oder stellen diese auf Anfrage zur Verfügung. Für Griechenland, Portugal, Malta und Zypern konnten zum Untersuchungszeitpunkt (2018) überhaupt keine NTS gefunden werden, für die restlichen EU-Staaten liegen NTS vor. Malta und Zypern führten allerdings, soweit bekannt, keine Tierexperimente durch.
Die Geschwindigkeit, mit der die NTS auf den jeweiligen Portalen hochgeladen werden, ist nicht immer ermittelbar, da einige Länder nicht beide Daten (Datum der Genehmigung des Antrags und das des Hochladens der NTS) angeben. Während Länder wie Polen, Niederlande, Dänemark und Tschechien maximal 3 Monate benötigen, liegen in Belgien, Kroatien, Estland, Ungarn, Italien, Schweden und den Vereinten Königreich mindestens 18 Monate zwischen der Projektgenehmigung und der Veröffentlichung der korrespondierenden NTS.
Bis auf Österreich und Frankreich werden die Projekte mittels des Titels zusammengefasst. Teilweise gibt es spezielle Identifikationsnummern oder Nummern, die mit der Reihenfolge des jeweiligen Jahres zusammenhängen. Eine bessere Identifizierung der Projekte ermöglicht in Kroatien, Tschechien, Dänemark, Litauen, Niederlande und Polen die Angabe des tatsächlichen Projektdatums.
Die meisten Dokumente sind im PDF-Format. Dänemark aber stellt die NTS als einzelne Websites zur Verfügung. Lediglich Dänemark, Finnland, Deutschland und die Niederlande haben eine Suchfunktion (Spanien eingeschränkt).
Bezüglich der inhaltlichen Qualität wird durch die Bank weg die Unvollständigkeit und der Ton kritisiert. Zudem gibt es eine Tendenz zur Übertreibung des vermeintlichen Nutzens, eine Untertreibung bezüglich der erwarteten Leiden der Versuchstiere sowie nur vage Angaben zur Einhaltung der 3R.
Speziell der Bereich, in dem es um die zu erwartenden Schäden und Leiden der Tiere geht, ist mangelhaft. 15 % der deutschen (D-NTS) und 35 % der britischen NTS (GB-NTS) geben überhaupt keinen Schweregrad an, obwohl dieser verbindlich ist. Bei 30 % der D-NTS wird dies auch nur sehr vage beschrieben. 28 % der D-NTS beinhalten überhaupt keine Informationen zum Schicksal der Tiere nach Beendigung des Experiments. (Anmerkung: beim Großteil der Experimente endet dies mit der Tötung der Versuchstiere) Selbst bei den NTS, bei denen das Schicksal („Tod“) angegeben war, wurde wenig bis keine Information (außer „human“) über die Tötungsmethode gegeben. In der aktuellen Analyse von 2024 zeigte sich, dass es in diesem Bereich positive Veränderungen gegeben hat und die Angaben akkurater wurden. Auffällig ist, dass bestimmte Prozeduren, die in den GB-NTS und auch laut EU-Richtlinie als „mittel“ einzuschätzen sind, bei den D-NTS lediglich als „leicht“ bewertet wurden.
Lediglich 31 % der NTS beider Länder geben eine klare Beschreibung der angewendeten Versuche, denen die Tiere unterzogen werden. Ein Drittel der D-NTS geben keine Information an. Art einer Operation oder Art der Verabreichung einer Substanz werden selten beschrieben; Frequenz und Länge der Prozeduren werden oft nicht erwähnt.
Bei Nebenwirkungen und Schäden, die die Tiere im Laufe der Experimente voraussichtlich zeigen, werden in nur 39 % der Fälle diese vollständig, in 27 % nur teilweise beschrieben (GB: 41 % / 35 %). Die aktuelle Analyse aus 2024 stellt fest, dass sich in diesem Bereich nichts verbessert hat: nur 41 % der D-NTS (GB: 48 %) beschreiben vollständig die zu erwartenden Schäden.
Der zu erwartende Nutzen wird oft übertrieben dargestellt. Zudem ist dies der Teil des Dokuments, welcher oft den umfangreichsten Text vorweist; trotz dessen wird oft nicht klar, wie hoch die Wahrscheinlichkeit, dass das Projekt Erfolg hat, eingeschätzt wird. Auch wird der Nutzen in Bezug auf die Schwere der menschlichen Erkrankung hervorgehoben, aber nicht dargelegt, wie dieser projektspezifisch aussehen könnte.
Die Bezüge zu den 3R werden oft zu allgemein dargestellt, ohne dass tatsächliche, wissenschaftliche Begründungen auf den jeweiligen Versuch bezogen angeführt werden. Allgemeine Begründungen sind z.B., dass Humanstudien nicht ethisch vertretbar sind. Es wird angegeben, dass die Anzahl die geringstmögliche wäre, ohne dafür Belege anzuführen. Im Bereich Verfeinerungen gibt es manchmal wortreiche Statements, die aber lediglich die gängigen Standardpraktiken und gesetzliche Minima darstellen. Es werden aber auch positive Beispiele genannt. Im Vergleich von D und GB, schneidet Deutschland besonders schlecht ab in der Qualität der 3R-Angaben. In 10 % der Fälle wurde bei den D-NTS der Text des Beispiels für Reduktion aus dem BfR-Leitfaden von 2013 lediglich kopiert und eingefügt.
Als Fazit wird die Transparenz als nicht genügend bewertet und Anregungen gegeben, die NTS zu verändern. Das wären u.a.: Veröffentlichung der NTS innerhalb von 3 Monaten nach Projektgenehmigung, Zugänglichkeit der NTS für länger als 5 Jahre, eindeutige Identifikation der Projekte, verpflichtende Beschreibung der Versuche, Schaffung eines eigenen Feldes für jeden Schweregrad und das Schicksal der Tiere, und die Aufsplittung der 3R in ihre einzelnen Punkte (Ersatz, Reduktion, Verfeinerung jeweils separat). Die EU-Kommission wäre angehalten, das NTS-Dokument so zu verbessern und unterstützende Informationen bereit zu stellen. Eine andere Methode wäre, die kompletten Genehmigungsanträge zu veröffentlichen, womit der Mehraufwand eines weiteren Dokuments komplett entfallen würde, wie es bereits in Dänemark, Norwegen und Schweden üblich ist.
Im nächsten Schritt könnten die tatsächlichen Informationen in den NTS untersucht werden und nicht nur die Berichtsqualität. Es wäre nützlich, mehrere Mitgliedstaaten zu überprüfen, um auffällige Muster im Tiergebrauch, in der Anwendung von Verfeinerungen und in der Schwereberichterstattung zu identifizieren, sowie zu prüfen, ob es Konsistenz bei den genehmigten Experimentarten gibt und Möglichkeiten zur Harmonisierung bestehen, um den Tierschutz in Europa zu verbessern.
Zusammenfassung
23.05.2024
Dipl.-Biol. Julia Radzwill
Quellen
Die Publikation behandelt die weitverbreitete Präferenz von Tierversuchen in der medizinischen Forschung und zeigt Wege auf, wie damit umgegangen werden kann.
Tierversuchsfreie Forschungsansätze sind bereits zu einem wichtigen Instrument für die biomedizinische Forschung und die Entwicklung von Arzneimitteln geworden, da sie komplexe menschliche physiologische Zustände und therapeutische Reaktionen nachahmen können. Dazu werden sie immer effektiver und leichter zugänglich und bieten eine Möglichkeit, Tierversuche zu ersetzen.
Obwohl es weltweit Gesetze und Regularien wie z.B. das 3R-Prinzip zur Verringerung, Verfeinerung und Ersatz von Tieren in der Wissenschaft gibt, werden Tierversuche oft noch als „Goldstandard“ angesehen. Diese Annahme basiert auf der langen Geschichte der Verwendung von Tieren in der biomedizinischen Forschung. Diese haben aber starke Limitierungen.
Ein zentraler Aspekt ist die mangelnde Übertragbarkeit von Ergebnissen aus Tierversuchen auf den Menschen: ca. 92 % der Medikamente, die in Tierversuchen vielversprechend erscheinen, scheitern in klinischen Studien am Menschen. Dies liegt unter anderem an den biologischen Unterschieden zwischen „Tiermodellen“ und dem Menschen sowie an den oft unzureichenden Methoden zur Validierung von Tierversuchsdaten. Zudem kosten Tierversuche viel und dauern verhältnismäßig lange.
Ein paralleles Problem ist die Vernachlässigung alternativer, nicht-tierischer Methoden in der Forschung, obwohl diese einer Analyse zufolge mehr als 24 Milliarden einsparen könnten, wenn diese statt Tierversuche eingesetzt werden würden.
Trotz ihrer Vorteile werden tierfreie Methoden nur langsam angenommen, da ihrer breiten Akzeptanz Hindernisse im Wege stehen, darunter die Präferenz für Tierversuche, d. h. die Bevorzugung von tierexperimentellen Methoden in Fällen, in denen sie nicht notwendig oder in denen tierfreie Methoden geeignet(er) sind. Dies wird Animal Methods Bias (Tierversuchsbias) genannt. Dies führt nicht nur zu einem unnötigen Leiden von Tieren, sondern kann auch dazu führen, dass vielversprechende Forschungsansätze übersehen oder Forscher von dem Einsatz dieser Methoden abgehalten werden.
Aufgrund des technologischen Fortschritts und der Verfügbarkeit moderner In-vitro- und In-silico-Modelle sind diese inzwischen trotz dieser Widerstände speziell in der präklinischen Forschung ein wichtiges Instrument. Diese Technologien wie Organoide (oder Spheroide), Multi-Organ-Chips, iPSC und computerbasierte Verfahren beruhen auf humanen Zellen und Daten. Teilweise unterliegen diese hohen Anschaffungskosten, so dass gezielte Förderung und eine verbesserte Infrastruktur hilfreich wäre. Eine höhere Akzeptanz ließe sich mit Guter Laborpraxis erreichen, so dass qualitativ hochwertige Experimente durchgeführt werden, die wiederum zu einer guten Reproduzierbarkeit und Evaluation führen. Psychologische Widerstände gegen die neuen Methoden können ebenfalls zu einer negativen Haltung gegenüber Publikationen oder Förderanträgen führen, die tierversuchsfreie Methoden als Basis haben.
Tierversuchsbias in wissenschaftlichen Veröffentlichungen
Die wissenschaftlichen Karrieren sowie Einstellungskriterien sind stark abhängig von Veröffentlichungen von Fachpublikationen. Publikationsbias ist definiert als die Beeinträchtigung der Wahrscheinlichkeit, dass eine Arbeit publiziert wird, durch die Ergebnisse der Studie. Hier wird die Frage gestellt, ob es möglich ist, dass nicht (nur) die Ergebnisse die Beeinflussung der Veröffentlichung darstellen, sondern die gewählten Methoden, sprich: Tierversuche bzw. tierversuchsfreie Methoden.
Tatsächlich berichten immer mehr Forscher, dass Gutachter Tierversuche nachfragen, selbst wenn die Autoren bereits belegt haben, warum Tierversuche im jeweiligen Fall nicht das passende Mittel sind. Eine ALTEX Studie beinhaltete eine Umfrage, bei der von 68 Teilnehmern 31 % angaben, Tierversuche bereits im Vorfeld durchgeführt zu haben - lediglich, um den Anfragen der Gutachter zuvorzukommen und nicht, weil sie diese für nötig hielten. 46 % gaben an, von Gutachtern zu Tierversuchen aufgefordert worden zu sein für Publikationen, in denen eigentlich keine Tierversuchsergebnisse enthalten waren. Von diesen hielten lediglich 10 % die Forderung für gerechtfertigt, 36 % dagegen hielten es für nicht gerechtfertigt. Der Eindruck bei den Befragten ist, dass die Gutachter eher aus Gewohnheit nach Tierversuchen fragen und nicht, weil dies notwendig oder relevant ist. Insbesondere scheint dies bei hochrangigeren Journalen der Fall zu sein. Mögliche Konsequenzen daraus sind Durchführung von unnötigen Tierversuchen, schlechteren Karrierechancen, Verzögerungen, Ablehnung oder Zurückziehung von Veröffentlichungen und/oder Veröffentlichung in weniger renommierten Journalen. Dies alles kann dazu führen, dass die Verwendung tierversuchsfreier Methoden unattraktiver wird.
Lösungsansätze
Bei einem Workshop wurden unter Beteiligung von Wissenschaft, Industrie, Redakteure von Fachzeitschriften, Regierungs- und Interessenvertretern Barrieren für die Auflösung des Tierversuchsbias identifiziert, im Einzelnen:
- Hoher Forschungsdruck
- Impact-Faktor
- Finanzieller Rahmen
- Tierversuche als „Goldstandard“
- Institutionelle Trägheit und psychologischer Lock-in
- Mangelndes Wissen über oder mangelndes Interesse an tierfreien Methoden
Folgende Empfehlungen wurden erarbeitet:
- Sensibilisierung für den Tierversuchsbias bei Herausgebern, Gutachtern und der wissenschaftlichen Gemeinschaft, insbesondere bei Nachwuchswissenschaftlern
- Stärkung des Vertrauens der Autoren in ihre Fähigkeit, die Forderungen von Gutachtern nach Tierversuchen anzufechten (Author Guide for Addressing Animal Methods Bias von Krebs et al., 2023a)
- Lehrmaterial für Gutachter für bessere Bewertungen von Forschung ohne Tierversuche, bspw. analog des US National Institutes of Health (Advisory Committee to the Director Working Group on Catalyzing the Development and Use of Novel Alternative Methods to Advance Biomedical Research, 2023)
- Prüfung von Anträgen auf Hinzufügung von Tierversuchen durch weiteren Gutachter
- Priorisierung der Finanzierung von tierfreien, humanbasierten Methoden inklusive der Verbesserung von Zugang und Ausbildung
Aus dem Workshop ging die Coalition to Illuminate and Address Animal Methods Bias (COLAAB) hervor, die Belege über den Tierversuchsbias und die Folgen sowie Strategien zu deren Überwindung sammelt und implementiert.
Fazit
Tierversuchsfreie Methoden sind vielversprechend und die Forscher, die sich diesen Methoden vermehrt zuwenden, sollten dies tun können, ohne dass Gutachter Druck ausüben, indem sie Tierversuche verlangen. Aktuell herrscht in der Forschungsgemeinschaft eine Voreingenommenheit, die den Verbrauch von Tieren in der Forschung belohnt und (damit) einen Einsatz von potenziell zuverlässigeren, humanbasierten Methoden blockiert. Um speziell die biomedizinische Forschung voranzubringen und Patienten mit sichereren und besseren Medikamenten zu versorgen, müssen Forscher, Arzneimittelentwickler und Förderorganisationen gegen den Tierversuchsbias vorgehen. Die Öffentlichkeit als Steuerzahler und damit Geldgeber sollte ebenfalls diese Macht gebrauchen, um den Wandel von Tierversuchen hin zu humanbasierten Methoden zu fordern.
Zusammenfassung
22.04.2024
Dipl.-Biol. Julia Radzwill
Quelle
Krebs C.E. and Herrmann K.: Confronting the bias towards animal experimentation (animal methods bias). Frontiers in Drug Discovery 2024(4)
Publikationsbias führt zu mehr Tierversuchen
Unter einem Publikationsbias versteht man die Präferenz von wissenschaftlichen Zeitschriften, bestimmte Forschungsarbeiten zu veröffentlichen, andere jedoch nicht. In letzter Zeit wird zunehmend deutlich, dass es eine solche Präferenz zugunsten von Tierversuchen gibt, welche von den Autoren sogar durch die Zeitschrift selbst oder die Editoren verlangt werden. Auch die Gutachter, welche von den Zeitschriften beauftragt werden, um die Qualität von eingereichten Manuskripten zu prüfen, verlangen häufig Tierversuche, bevor sie die Publikation eines Manuskripts befürworten.
Die Publikation wissenschaftlicher Ergebnisse ist fundamentaler Bestandteil der Forschungsarbeit. Sie ermöglicht es erst, die gewonnenen Erkenntnisse bekannt und dauerhaft auch für andere nutzbar zu machen. Zudem dient die Publikationsleistung, also die Anzahl von wissenschaftlichen Veröffentlichungen und das Ansehen der Zeitschriften, in denen veröffentlicht wurde, als Maß für die Leistungsfähigkeit des betreffenden Wissenschaftlers. Als solches Qualitätskriterium hat die Publikationsleistung entscheidenden Einfluss auf wissenschaftliche Karrieren, Aufstiegschancen und die Möglichkeit zur Einwerbung von Fördergeldern. Kein Wunder also, dass die Forschenden bemüht sind, möglichst viele Artikel in möglichst prestigeträchtigen Zeitschriften zu veröffentlichen.
Tierversuchsstudien werden bevorzugt
Wenn Wissenschaftler ihre tierversuchsfreien Arbeiten zur Veröffentlichung einreichen, kommt es immer wieder vor, dass sie von den Gutachtern dazu aufgefordert werden, ihre Ergebnisse in einem sogenannten Tiermodell zu „validieren“. Im Publikationsprozess kommt es üblicherweise zu mehreren Begutachtungsrunden, in denen die Autoren als Reaktion auf die Anmerkungen der Gutachter das Manuskript anpassen, um eine Publikationsempfehlung zu erhalten. So kommt es auch vor, dass für eine ursprünglich tierversuchsfreie Forschungsarbeit nachträglich - auf Gutachterwunsch - Tierversuche durchgeführt werden. Dadurch werden Tierversuche im Publikationsprozess nicht nur bevorzugt veröffentlicht, sondern sogar verlangt und verursacht. Bisher war dies lediglich aus Einzelberichten bekannt, jedoch gab es keine Zahlen zum Umfang dieses Publikationsbias.
Erste Zahlen zum Publikationsbias
In ihrer in ALTEX veröffentlichten Studie haben Krebs et al. eine 33 Fragen umfassende Umfrage erstellt und an Wissenschaftler aus verschiedenen biologischen und biomedizinischen Disziplinen geschickt. 68 Wissenschaftler beantworteten die Fragen und erfüllten die Kriterien, um in die Studie aufgenommen zu werden. 31 der Antwortenden gaben an, dass sie von Gutachtern bereits aufgefordert worden seien, Tierversuche durchzuführen. Von diesen Wissenschaftlern hielten lediglich 3 die Forderung nach Tierversuchen für gerechtfertigt und 11 konnten die Forderung von Tierversuchen überhaupt nicht nachvollziehen. Von den Wissenschaftlern, von denen Tierversuche verlangt wurden, gaben 45 % an, aufgrund von Forderungen von Gutachtern bereits Tierversuche durchgeführt zu haben. Von denen, die die geforderten Tierversuche nicht durchführten, wurde berichtet, dass sie die Manuskripte stattdessen bei anderen Zeitschriften zur Veröffentlichung eingereicht oder aber zurückgezogen haben. Einer der Befragten gab an, dass Tierversuche insbesondere von hochangesehenen Zeitschriften verlangt werden würden, woraus er schlussfolgert, dass Forschende, die Tierversuche durchführen, als „bessere“ Wissenschaftler gelten würden.
Zudem gaben 31 % der Forscher an, Tierversuche mit dem Ziel durchgeführt zu haben, den zu erwartenden Forderungen der Gutachter zuvorzukommen. So werden die Forschungsprojekte bereits so gestaltet, dass sie Tierversuche enthalten, nicht etwa, weil der Forschende sie für unumgänglich halten würden, sondern damit die Chancen einer späteren Veröffentlichung der Ergebnisse verbessert werden.
Neben ersten Zahlen zum Umfang des Publikationsbias zugunsten von Tierversuchen wird von den Teilnehmern der Studie von Krebs et al. auch ein weiterer Bias beschrieben: Auch bei der Beantragung von Fördermitteln werden Forschungsprojekte, die Tierversuche beinhalten bevorzugt.
Warum Gutachter Tierversuche fordern
Krebs et al. fragten die an ihrer Studie beteiligten Wissenschaftler auch nach ihren Erfahrungen als Gutachter. Von 57 Wissenschaftlern, die bereits Erfahrungen als Gutachter gemacht hatten, gaben 15 an, bereits Tierversuche von den Autoren der von ihnen begutachteten Arbeiten verlangt zu haben. Als Gründe dafür gaben sie neben dem Wunsch der Editoren und einer generellen Bevorzugung von Tierversuchen vor allem an, dass sie keine tierversuchsfreien Methoden zur Beantwortung der jeweiligen Forschungsfrage kennen würden. Zusätzlich zu diesem Unwissen kommt sicherlich auch ein psychologischer Effekt: Viele der Gutachter führen selbst Tierversuche durch, so dass sie sich eher von Tierversuchen begeistern lassen als von tierversuchsfreien Methoden.
Fazit
Auch wenn die Studie von Krebs et al. aufgrund der geringen Anzahl von Teilnehmern und der gewählten Distributionswege für den Fragebogen nicht repräsentativ sein mag, zeigt sie deutlich die Problematik des Publikationsbias auf: Tierversuche werden von Forschenden im Publikationsprozess verlangt, selbst wenn sie für die jeweilige wissenschaftliche Fragestellung nicht notwendig oder zielführend sind. Dies führt dazu, dass Tierversuche weiter durchgeführt werden, obwohl es tierversuchsfreie Methoden gibt. Zudem wird so die weitere Verwendung von nicht aussagekräftigen Tierversuchen gefördert, wodurch der Fortschritt in der Wissenschaft behindert wird. Aufgrund der mangelnden Translation aus den sogenannten Tiermodellen in den Menschen kann dies auch zu widersprüchlichen Ergebnissen führen und die Forscher selbst sowie die Leser ihrer Veröffentlichungen in die Irre führen.
Zusammenfassung
08.09.2023
Dr. rer. nat. Johanna Walter
Quelle
Krebs, C.E. et al.: A survey to assess animal methods bias in scientific publishing. ALTEX 2023; 40(4): 665–676
12. November 2008
Zusammenfassung
Die wissenschaftliche Studie belegt, dass allein schon der Umgang mit Versuchstieren erheblichen Einfluss auf die Ergebnisse von Tierversuchen hat. Bloßes Anfassen ruft bei Mäusen bereits starke Stresserscheinungen hervor.
Mäuse, Ratten. Kaninchen, Hunde, Gänse und andere Tiere werden durch Routine-Untersuchungen wesentlich mehr gestresst, als bislang angenommen. Die Stressreaktionen verfälschen die Tierversuchs-Daten. Zu diesem Ergebnis kommt eine wissenschaftliche Studie, die in der Dezember-Ausgabe eines Fachjournals für Versuchstierkunde erschienen ist. Verhaltensforscher Dr. Jonathan Balcombe vom amerikanischen »Ärztekomitee für verantwortungsvolle Medizin« untersuchte 80 Publikationen zu Eingriffen an Versuchstieren. Allein schon das Hochheben einer Maus ruft bei dem Tier eine Reihe von Körperreaktionen hervor. Stresshormone im Blut steigen, der Puls rast, der Blutdruck geht in die Höhe. Diese Symptome sind noch nach einer Stunde nachweisbar. Auf Routine-Eingriffe, wie Blutentnahmen und Zwangsfütterung mit einer Magensonde reagieren die Tiere mit Angst und Panik. Die Stresswerte im Blut steigen und die Immunabwehr sinkt. Dies geschieht schon vor dem eigentlichen Experiment. Der Autor folgert, dass es »keine humanen Experimente gibt« und dass die Forschungsergebnisse verfälscht werden können.
Quelle
Titel: Laboratory Routines Cause Animal Stress.
Autoren: Balcombe, J., Barnard, N. D. and Sandusky, C.
Institut: Physicians Committee for Responsible Medicine (PCRM), Washington
Zeitschrift: Contemporary Topics in Laboratory Animal Science 2004, 43, 42-51
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13. November 2008
Zusammenfassung
Es wurden 51 in Bayern genehmigte Tierversuchsanträge zwischen 1991 und 1993 analysiert, unter anderem hinsichtlich der Frage, inwieweit die Belastung für die Tiere im Versuch wirklich den Angaben im Versuchsantrag entsprach. Als Maßstab wurde dabei der vom Schweizer Bundesamt für Veterinärwesen erarbeitete Belastungskatalog herangezogen. Es zeigte sich, dass Zweidrittel der Antragsteller die Belastung der Tiere zu niedrig eingeschätzten, kein einziger zu hoch.
Außerdem wurde untersucht, ob die Projekte je zu wissenschaftlich weiterführenden Erkenntnissen beitrugen. Von den 51 genehmigten Tierversuchen waren 35 ausdrücklich vom Antragsteller NICHT als Grundlagenforschung deklariert. Trotzdem erreichten von diesen 35 nur 8 das angegebene Versuchsziel und 3 erreichten es teilweise.
Ein Erreichen des Versuchsziels sagt allerdings nichts darüber aus, ob tatsächlich ein Nutzen für die Medizin oder gar für Patienten daraus gezogen werden konnte.
Erstaunlich war weiter, dass das Versuchsziel umso häufiger erreicht wurde, je geringer die Belastung der Tiere im Versuch war und je evolutionär niedriger die gewählte Versuchstierart war. Insbesondere erreichte kein einziger der Versuche mit schwerster Belastung für das Tier das Versuchsziel. Weiter ergab sich ein Zusammenhang zwischen der Qualität des Versuchsantrags und dem Erreichen des Versuchsziels.
Die Autoren kamen zum Schluss, dass Anträge mit Standardformulierungen nur mit der Häufigkeit von Zufallstreffern für den Menschen relevante Erkenntnisse lieferten. Sie fordern Versuchsvorhaben einer strikten Erfolgskontrolle zu unterwerfen.
Quelle
Titel: Evaluation von genehmigten tierexperimentellen Versuchsvorhaben in Bezug auf das Forschungsziel, den wissenschaftlichen Nutzen und die medizinische Relevanz
Autoren: Lindl T, Weichenmeier I, Labahn D, Gruber FP, Völkel M
Zeitschrift: Altex 2001; 18 (3); 171-178
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13. November 2008
Zusammenfassung
Eine an der University of Waterloo in Ontario, Kanada, durchgeführte Literaturrecherche untersuchte die Zitierhäufigkeit von 594 tierexperimentellen Studien über einen Zeitraum von zehn Jahren. Rund 94 Prozent der Arbeiten wurden weniger als 100mal in zehn Jahren zitiert, das heißt, sie wurden von der Fachwelt als unwichtig erachtet.
Die kanadischen Wissenschaftler untersuchten weiterhin, ob sich eine schlechte Zitierhäufigkeit, das heißt, schlechte Qualität der Arbeit, auf die Forschungstätigkeit auswirkt. Das Ergebnis: Nein! Wenig zitierte Forscher machten jahrelang so weiter wie immer, wobei ihre Ergebnisse noch nicht einmal in der Fachwelt Beachtung fanden.
Quelle
Titel: Levels of citation of nonhuman animal studies conducted at a Canadian Research Hospital
Autoren: Dagg AI, Seidle TK
Zeitschrift: Journal of Applied Animal Welfare Science 2004; 7, 205-213
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12. November 2008
Zusammenfassung
Britische Wissenschaftler haben herausgefunden, dass die Ergebnisse von Tierversuchen häufig keine Relevanz für den Menschen haben. Sie fordern eine Überprüfung der tierexperimentellen Forschung, da sie den Nutzen von Tierversuchen für den Menschen generell in Frage stellen.
Die im British Medical Journal, einer der drei weltweit angesehensten medizinischen Fachzeitschriften, erschienene Studie einer Arbeitsgruppe um Prof. Ian Roberts von der London School of Hygiene and Tropical Medicine geht der Frage nach der klinischen Verwertbarkeit von Tierversuchen nach. Dazu wurden verschiedene Übersichtsartikel ausgewertet, die Ergebnisse aus Tierversuchen mit den entsprechenden klinischen Untersuchungen vergleichen.
Die eingehende Analyse dieser Arbeiten zeigte zahlreiche Mängel im tierexperimentellen System auf. So unterscheiden sich die Ergebnisse von gleichermaßen an Tieren und Menschen durchgeführten Studien oft ganz erheblich voneinander. Außerdem finden Tierversuche häufig nicht vor klinischen Versuchen statt sondern gleichzeitig, was ihre Relevanz für den Menschen noch weiter in Frage stellt. Wenn Tierversuche klinischen Studien vorausgehen, so verhindern negative Resultate oft nicht, dass entsprechende Tests doch noch am Menschen stattfinden, wodurch die vorangegangenen Tierversuche ad absurdum geführt werden. Die ungenauen Ergebnisse aus Tierversuchen können Patienten gefährden und sind zudem eine Verschwendung von Forschungsgeldern. Weiter kritisieren die britischen Wissenschaftler, dass trotz der aufgezeigten Schwachpunkte mehr Geld in die experimentelle Grundlagenforschung gesteckt wird als in klinische Studien. Die Autoren fordern eine rigorose Überprüfung, ob Tierversuche überhaupt einen nachweisbaren Nutzen bringen, bevor man weitere Experimente durchführt.
Quelle
Titel: Where is the evidence that animal research benefits humans?
Autoren: Pandora Pound (1), Shah Ebrahim (1), Peter Sandercock (2), Michael B Bracken (3), Ian Roberts (4)*
Institute: (1) Department of Social Medicine, University of Bristol, Bristol BS8 2PR, (2) Department of Clinical Neurosciences, University of Edinburgh, Western General Hospital, Edinburgh EH4 2XU, (3) Center for Perinatal, Pediatric, and Environmental Epidemiology, Yale University School of Medicine, New Haven, CT 06520 USA, (4) London School of Hygiene and Tropical Medicine, London WC1B 3DP
Zeitschrift: British Medical Journal 2004: 328, 514-517
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