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Studie belegt die Voreingenommenheit von Fachzeitschriften

Die Veröffentlichung von Forschungsergebnissen in wissenschaftlichen Fachzeitschriften spielt in der Forschung eine zentrale Rolle, einerseits, damit andere Wissenschaftler von den Resultaten profitieren können, andererseits, um die eigene Karriere voranzubringen. Zunehmend wird hier eine Voreingenommenheit (Englisch: bias) von Seiten der Redakteure und Gutachter (Reviewer) beobachtet. Im März 2022 erschien die erste wissenschaftliche Studie zu diesem Thema in der Fachzeitschrift BioRxiv.1 Das Ergebnis ist wenig überraschend und zugleich erschütternd: Knapp ein Drittel der befragten Forscher hat Tierversuche gemacht, nur um der Forderung von Redakteuren nach tierexperimentellen Daten zuvorzukommen. Knapp die Hälfte der Forscher gab an, von Journalen aufgefordert worden zu sein, einer tierversuchsfreien Arbeit Tierversuchsdaten hinzuzufügen.

Als Publikationsbias wird die Voreingenommenheit bezeichnet, die Herausgeber oder Gutachter haben und die darüber entscheidet, ob eine Studie veröffentlicht wird oder nicht. In einem Bias-Katalog werden 50 mögliche Gründe aufgeführt, wie Interessenkonflikte, Konkurrenzdenken oder schlichtes Desinteresse an einem Thema.2 Häufig sind es auch negative Studienergebnisse, die aussortiert werden, während positive Resultate leichter Eingang in eine Fachzeitschrift finden. Nicht gemachte Tierversuche werden in diesem Katalog nicht als Grund genannt. In letzter Zeit wird aber häufiger beobachtet, dass es In-vitro-Forschungen schwer haben, veröffentlicht zu werden, während Tierversuchsstudien eher akzeptiert werden.

Ausgebremste Pioniere

Ein Beispiel: Ein Artikel eines der Pioniere der Organoid-Technologie, Prof. Hans Clevers von der Universität Utrecht, Niederlande, ist im Original tierversuchsfrei. Die Organoide („Mini-Organe“) stammten aus Zellen aus Lungenspülungen von Mukoviszidose-Patienten. In der im EMBO-Journal publizierten Version sind plötzlich Tierversuche dabei. Wie kam es dazu? Clevers hatte versucht, seine tierversuchsfreie Studie in 3-4 Journalen unterzubringen. Erfolglos. Schließlich schrieb er Tierversuche hinein – die Organoide wurden in Mäuse verpflanzt, weil der Editor des Magazins es so wollte.3

Ein anderer Organoid-Pionier hat ebenfalls viel Erfahrung mit der „Tierversuchs-Bias“. So berichtete Prof. Donald Ingber vom Wyss Institute in Boston, dass die Publikation seiner ersten Studie über Mikrophysiologische Systeme (MPS) zwei Jahre verzögert wurde, weil Mäusestudien verlangt wurden, die er verweigert hat.

Auch die berühmte Studie von Junhee Soek und Kollegen aus dem Jahr 2013 ist zunächst von mehreren Fachzeitschriften abgelehnt worden, bevor sie schließlich in der Zeitschrift PNAS erschien. Darin wird dargelegt, dass Menschen und Mäuse auf Entzündungsprozesse und verschiedene Verletzungen völlig unterschiedlich reagieren und die Autoren stellen die Übertragbarkeit von Tierstudien auf die komplexe Situation beim menschlichen Patienten in Frage.4 Das passte den angefragten Journalen offensichtlich nicht ins Konzept.

Erste Studie zur Tierversuchs-Bias

Catherine E. Krebs vom US-Amerikanischen Physicians Committee for Responsible Medicine (PCRM)* und Kollegen haben nun erstmals eine Untersuchung zur Häufigkeit und den Gründen der Tierversuchs-Bias veröffentlicht. Zur Auswertung kamen die Antworten von 68 Forschern aus 22 Ländern (überwiegend USA) und verschiedenen Bereichen wie medizinische oder molekularbiologische Forschung, Toxikologie, Neurowissenschaften usw. auf einen Online-Fragebogen mit 33 Fragen. Knapp die Hälfte von ihnen (44%) macht nie Tierversuche, während die anderen manchmal bis oft tierexperimentell arbeiten.

Fast die Hälfte wurde zu Tierversuchen aufgefordert

21 (31%) Forscher gaben an, Tierversuche im vorausschauenden Gehorsam gemacht zu haben, weil die Editoren oder Reviewer diese verlangen könnten. 31 (45%) hatten mindestens einmal die Erfahrung gemacht, dass sie zu Tierversuchen aufgefordert wurden. Von diesen 31 Befragten hielten nur drei dies für gerechtfertigt, 14 Personen hielten dies für manchmal nicht gerechtfertigt und 11 fanden die Aufforderung nicht gerechtfertigt.

Als Beweggründe, warum die Journale Tierversuche einfordern, nannten die Teilnehmer unter anderem: es sei so üblich, die In-vitro-Daten müssten in vivo bestätigt werden oder weil sich die Gutachter nicht mit in vitro auskennen.

Die Wissenschaftler, die nicht der Aufforderung zu Tierversuchen gefolgt sind (eine Zahl wird hier nicht genannt), gaben weitgehend einhellig an, dass sie ihr Paper zurückgezogen und anderweitig untergebracht haben.

Fachzeitschriften, die In-vitro-Studien ablehnen, weil keine Tierversuche drin sind, sind großenteils solche mit hohem ImpactFaktor. Dieser ist ein Maß für die Wertigkeit eines Journals. Da in den hochwertigen Magazinen eher Tierversuchs-Studien angenommen werden und In-vitro-Forscher gezwungenermaßen auf weniger wertige ausweichen müssen, erweckt dies den Eindruck, als seien Tierversuche bessere Wissenschaft. Letztendlich ist dies eine selbsterfüllende Prophezeiung, weil so der Anreiz fehlt, keine Tierversuche zu machen, meint einer der Umfrageteilnehmer.

15 der Teilnehmer sagten aus, dass sie schon selbst als Gutachter Tierversuche verlangt hätten, weil sie Tierversuche vorziehen oder weil sie keine Kenntnis von den tierversuchsfreien Systemen für die Fragestellung haben.

Denkbar ist, dass Forscher, die Tierversuche vermeiden möchten, ein größeres Interesse an der Umfrage hatten und diese möglicherweise überrepräsentiert sind. Dennoch macht die Übersichtsarbeit deutlich, mit welchen Problemen – über die der mangelnden Finanzierung hinaus – tierversuchsfreie Forscher zu kämpfen haben.

Antiquiertes Publikationssystem

Tierfreie Methoden haben in den letzten Jahren riesige Fortschritte gemacht. Aus menschlichen Stammzellen modellierte Organoide sind in Struktur und Funktion den menschlichen Organen sehr ähnlich. Mit mikrophysiologischen Systemen werden die dynamischen Prozesse wie in einem Organismus nachgeahmt. Menschliche Erkrankungen können so sinnvoll und zuverlässig erforscht und sichere und wirksame Behandlungen für Patienten gefunden werden. Doch das antiquierte Publikationssystem hat hier offensichtlich völlig den Anschluss verpasst und hält das ebenfalls gestrige Tierversuchssystem am Laufen.

In der Studie von Krebs et al. wird als Lösung etwa vorgeschlagen, die Gutachter öffentlich zu machen. Mehr Transparenz könnte dazu beitragen, dass sich manch einer überlegt, ob er zusätzliche Tierversuche verlangt. Ebenso soll in einem Paper deutlich gemacht werden, wenn Tierversuchsdaten von dem Journal verlangt worden sind. Auch eine Schulung von Editoren und Reviewern könnte helfen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass mit der Tierversuchs-Bias der tierversuchsfreien Forschung enorme Steine in den Weg gelegt werden. Das „Publish or perish“ (Publizieren oder untergehen), eine der Haupttriebfedern, weshalb Tierversuche durchgeführt werden, gilt natürlich auch für tierversuchsfreie Forscher. Auch sie müssen ihre Arbeiten veröffentlichen, denn letztendlich hängen die Fördergelder und auch das berufliche Vorankommen davon ab. Diese festgefahrenen Gedankenstrukturen bei den Journalen aufzubrechen, ist enorm schwierig, aber gleichzeitig ungeheuer wichtig.

25.11.2022
Dr. med. vet. Corina Gericke

Quellen

  1. Krebs C.E. et al. Animal-reliance bias in publishing is a potential barrier to scientific progress. bioRxiv; 27.02.2022
  2. Catalogue of bias collaboration, Devito N, Gold- acre B: Publication Bias. In Catalogue Of Bias; 2019
  3. Triunfol M. The coming of age of organoids. Biomed Collaboration; 20.06.2021
  4. Seok J. et al. Genomic responses in mouse models poorly mimic human inflammatory diseases. PNAS 2013: 110(9); 3507-3512

*Physicians Committee for Responsible Medicine (PCRM) ist das amerikanische Gegenstück zu Ärzte gegen Tierversuche – wenn auch deutlich größer. Der 1985 gegründeten Nicht-Regierungs-Organisation (NGO) gehören rund 12.000 Ärztemitglieder sowie 150.000 Fördermitglieder an. Der Fokus liegt einerseits auf den gesundheitlichen Vorteilen der pflanzenbasierten Ernährung und andererseits auf der Abschaffung der Tierversuche. Unser Verein pflegt seit Jahren gute Kontakte zu PCRM. So hat Dr. Ann Lam, eine der Autorinnen der hier vorgestellten Studie, bei unserem WIST-Kongress (WIST = Wissenschaft statt Tierversuche) 2018 über human-basierte Neuroforschung gesprochen.