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In Tierversuchen im Bereich der Giftigkeitsprüfungen ist die Verabreichung von Testsubstanzen per Schlundsonde (englisch: Gavage) der Standard. Dabei handelt es sich um ein leicht gebogenes Metallrohr, das den Tieren ohne Betäubung durch Rachen und Speiseröhre in den Magen geschoben wird, um die Substanz direkt dort zu applizieren. Üblicherweise geschieht dies täglich über den Zeitraum der entsprechenden Studie.

Untersuchung über 20 Jahre

Der Artikel von Katy Taylor et al. untersucht erstmals die Häufigkeit von durch Gavage verursachte Schäden bei Ratten über einen Zeitraum von 20 Jahren (2004-2023). Im Fokus stehen dabei Studien mit wiederholter Verabreichung (28- und 90-Tage-Studien) aus der öffentlich zugänglichen REACH-Datenbank der Europäischen Chemikalienagentur ECHA.

Es wurden 300 Arbeiten ausgewählt und geprüft, ob Todesfälle oder klinische Auffälligkeiten (z. B. Atemnot, Veränderungen von Organen etc.) aufgeführt sind, die auf die Verabreichung per Schlundsonde zurückzuführen sind.

Laut Taylor et al. ist diese Applikationsmethode bekannt dafür, dass sie für die Tiere mit großem Stress verbunden ist. So wurden erhöhte Körpertemperatur und Blutkortisolspiegel noch vier Stunden später gemessen. Andere Studien berichteten von Gewichtsverlust und Leberschäden. Durch fehlerhafte Verabreichung können Speise- oder Luftröhre, Mundhöhle; Magen und Lungen perforiert werden oder die Substanz wird statt in den Magen in die Lunge appliziert, was zum Ersticken führt. Diese Vorfälle resultieren in einem schnellen Tod der Tiere.

Dazu wurden Fälle von Reflux (gavage-assoziierter Rückfluss, GRR = gavage-related reflux) beobachtet. Dabei kommt es zu Atemnot, rasselnden Atemgeräuschen und schließlich zum Tod der Tiere. Bei der histopathologischen Untersuchung wurden schwerwiegende Gewebeschäden, Entzündungen oder Blutungen in Kehlkopf, Luftröhre und Lungen gefunden.

Todesfälle und schwere Schäden durch Schlundsonde

In 21 % der 300 Studien trat mindestens ein Todesfall oder eine sonstige klinische Auffälligkeit auf, die ausdrücklich auf die Gavage zurückgeführt wurde. Zusätzlich gaben 16 % der Studien klinische Anzeichen an, die mit GRR assoziiert sein könnten, ohne jedoch die Schlundsonde als Ursache zu nennen.

Das bedeutet für das einzelne Tier, dass die Wahrscheinlichkeit, während einer Gavage-Verabreichung zu sterben, bei 1:250 liegt. Für eine 28- oder 90-Tage-Studie liegt die Wahrscheinlichkeit, dass mindestens ein Gavage-assoziierter Todesfall eintritt, bei 1:7.

Bei den Todesfällen wurden zuvor klinische Symptome wie Atemnot, starkes Speicheln beobachtet, und bei der Obduktion wurden Blut und Flüssigkeit in den Lungen, perforierte Luft- und Speiseröhre und geschädigte Mägen, Lungen und Nasenhöhlen gefunden.

In Studien mit 90-tägiger Dauer waren solche Vorfälle dreimal häufiger als in 28-Tage-Studien. Es zeigte sich eine höhere Wahrscheinlichkeit für Vorfälle, wenn die Testsubstanz (nicht die Kontrolle) appliziert wurde, die Substanz eine hohe Viskosität hatte und die Studie neueren Datums war.

Für andere Faktoren wie Ratten-Zuchtlinie, Größe oder Alter der Tiere, Menge der applizierten Dosis oder Einsatz von reizenden Substanzen, gab es keinen statistisch belegbaren Zusammenhang mit der Häufigkeit von Verletzungen und Todesfällen durch die Schlundsonde.

Die Studie legt nahe, dass Vorfälle durch die Gavage häufiger auftreten als bislang angenommen - nicht nur seltene Ausnahmen, sondern mit beträchtlicher Häufigkeit. Besonders kritisch sind längere Studien (90 Tage), bei denen das Risiko kumuliert.

Abgesehen von den bei den Tieren verursachten Leiden, wird in dem Artikel auch die wissenschaftliche Relevanz der Testergebnisse in Frage gestellt. Da Komplikationen oft nicht klar der Schlundsonde als Ursache zugeordnet werden (z. B. bei GRR), besteht die Wahrscheinlichkeit, dass die potenzielle Giftigkeit der Testsubstanz überschätzt wird. Dies könnte sich auf die Verwendung auswirken, wenn Chemikalien eine Reizwirkung zugeschrieben wird, die tatsächlich harmlos sind. Weiterhin kann Stress zu physiologischen, hormonellen, stoffwechsel- und verhaltensbezogenen Veränderungen führen, die die Studienergebnisse beeinträchtigen können. Durch die Umgehung der Mundhöhle lässt die Verabreichung per Schlundsonde zudem außer Acht, dass Substanzen bereits hier absorbiert werden können.

Aus wissenschaftlichen und Tierschutzgründen fordern die Autoren eine Überprüfung der toxikologischen Studien, bei denen Schlundsonden zum Einsatz kommen.

Zusammenfassung
13.11.2025
Dr. med. vet. Corina Gericke

Quelle

Katy Taylor, Laura Rego Alvarez and Emma Grange: The prevalence of reported gavage incidents in repeated dose toxicity studies involving rats conducted between 2004–2023. Alternatives to Laboratory Animals 2025; 53(3): 154–167