Tierversuchsstatistik
Tierversuchszahlen 2023
Das Deutsche Zentrum zum Schutz von Versuchstieren (Bf3R), Bestandteil des Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), hat die Tierversuchszahlen für das Jahr 2023 veröffentlicht (1). Nachdem diese Aufgabe jahrelang dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) oblag, ging sie 2021 in die Zuständigkeit des BfR über. Seither werden nicht nur Tiere erfasst, die für Tierversuche oder Organentnahmen genutzt wurden, sondern auch solche, die zwar gezüchtet, jedoch nicht verwendet und anschließend als „Überschusstiere“ getötet wurden. Insgesamt umfasst die Statistik 3.501.693 Tiere. Trotz eines Rückgangs gegenüber dem Vorjahr sieht der Verein Ärzte gegen Tierversuche diese Zahl als alarmierend und sieht sich in seiner Forderung bestärkt, Tierversuche durch moderne, humanrelevante Forschungsmethoden zu ersetzen und damit einen grundlegenden Paradigmenwechsel herbeizuführen.
Gesamtzahl der Tiere
Die offiziell vom BMEL bzw. BfR veröffentlichte Gesamtzahl der Versuchstiere (2023: 1.456.562) bezieht sich seit einigen Jahren ausschließlich auf Tiere, die tatsächlich in Experimenten eingesetzt wurden. Diese Darstellung vermittelt den Eindruck eines deutlichen Rückgangs im Vergleich zu früheren Jahren, in denen auch die „zu wissenschaftlichen Zwecken getöteten“ Tiere in die Statistik einbezogen wurden. Dadurch wird ein direkter Vergleich der Zahlen über die Jahre erheblich erschwert. Darüber hinaus variieren die Definitionen dessen, was als „Gesamtzahl“ gilt, erheblich: Während ÄgT und andere Tierschutzorganisationen unter der Gesamtzahl sämtliche Tiere subsumieren, die für Experimente leiden und sterben – insgesamt 3.501.693 –, führt die Ausklammerung von Überschusstieren und der zu wissenschaftlichen Zwecken getöteten Tiere zu einer niedrigeren und vermeintlich weniger alarmierenden Zahl.
Zweck |
Anzahl 2023 |
In Tierversuchen verwendet (§7 Abs. 2 TSchG) |
1.456.562 |
...davon erstmalig verwendet |
1.424.848 |
...davon mehrfach verwendet |
31.714 |
Zu wiss. Zwecken getötet (z.B. Organentnahme) |
671.958 |
Tierversuche + zu wiss. Zwecken getötet |
2.128.520 |
„Überschusstiere“: aus weiteren Gründen getötete Tiere (z.B. nicht gewünschte |
1.373.173 |
Gesamt |
3.501.693 |
Tabelle 1: Übersicht über die Gesamtzahl der im Bereich Tierversuche verwendeten Tiere
Entwicklung der Tierversuchszahlen
Seit Beginn der Datenerhebung im Jahr 1989 sank die Zahl der Versuchstiere zunächst von 2,6 Millionen auf ihren bisherigen Tiefpunkt von 1,5 Millionen im Jahr 1997. Danach setzte ein kontinuierlicher Anstieg ein, der 2011 mit 2,8 Millionen Tieren seinen Höhepunkt erreichte. Seither stagnierte die Zahl mit leichten Schwankungen auf einem ähnlich hohen Niveau. Ab 2020 zeichnet sich jedoch ein leichter Rückgang ab, der in den letzten zwei Jahren deutlicher geworden ist. Diese Entwicklung ist vor allem auf eine vergleichsweise starke Reduktion der sogenannten Überschusstiere zurückzuführen, deren Zahl recht plötzlich um fast die Hälfte reduziert wurde. Es ist fraglich, wie eine derart drastische Reduktion innerhalb so kurzer Zeit erreicht werden konnte. Diese Entwicklung wirft zudem die grundsätzliche Frage auf, wie ernsthaft das Problem der Überschusstiere in der Vergangenheit behandelt wurde.
Tierarten, die in Versuchen leiden
Wie bereits in den Vorjahren stellen Mäuse mit 1.062.632 Individuen (73 %) die mit Abstand am häufigsten in Versuchen eingesetzte Tierart dar. An zweiter Stelle folgen Fische mit 161.713 Tieren (11,1 %), gefolgt von Ratten mit 102.731. Darüber hinaus werden weiterhin Kaninchen (67.524), Vögel (20.521), Schweine (9.643), Meerschweinchen (7.863), Hunde (2.550), Affen (1.676), Katzen (544) und weitere Tierarten verwendet.
Die genannten Zahlen beziehen sich auf „in Tierversuchen verwendete Tiere“.
Grafik 1: Die Grafik veranschaulicht, wie viele Tiere einzelner Tierarten und -gruppen 2023 in Tierversuchen und zu wissenschaftlichen Zwecken getötet wurden.
Affen in Tierversuchen
Die Zahl der in Versuchen eingesetzten Affen ist von 2.267 im Jahr 2022 auf 1.676 im Jahr 2023 gesunken. Das Bf3R zieht jedoch Zahlen aus 2018 als Referenz heran, als mit 3.324 ein Höchststand an genutzten Affen verzeichnet wurde. Dies suggeriert einen Rückgang um 49 %, der die tatsächliche Entwicklung verzerrt. Besonders in diesem Bereich unterliegen die Zahlen erheblichen Schwankungen, ein deutlicher Abwärtstrend ist langfristig nicht ersichtlich.
187 der 1.676 in 2023 verwendeten Affen wurden aus dem Vorjahr erneut verbraucht. Unter den Primaten ist der Anteil von mehrfach verwendeten Tieren mit 11 % vergleichsweise hoch.
Von den erstmals in Versuchen eingesetzten Affen stammten 1.318 aus Nicht-EU-Ländern, insbesondere aus Staaten in Asien oder Afrika. Zum Vergleich: Nur 171 Tiere wurden von registrierten Züchtern innerhalb der EU bezogen.
Der Großteil der Affen (1.493) wurde für regulatorische Zwecke wie Giftigkeitsprüfungen verwendet. Die meisten Affen in Deutschland werden im Labor „Lapcorp“ (früher Covance) verbraucht (2).
Zweckfreie Grundlagenforschung ist größter Tierverbraucher
Besonders auffällig ist, dass die Zahl der Tiere, die für die per Definition zweckfreie Grundlagenforschung eingesetzt werden und dabei leiden oder sterben müssen, seit Jahren auf einem konstant hohen Niveau bleibt. Diese Tierversuche machen seit Jahren mehr als die Hälfte aller Tierversuche aus, und erneut ist diese Zahl gestiegen.
1999 wurden 438.000 Tiere in der Grundlagenforschung eingesetzt, vier Jahre später waren es schon rund doppelt so viele Tiere (851.000 Tiere). 2016 erreichte die Grundlagenforschung mit 1.175.664 Tieren den bisherigen Höchststand.
Von 2017 bis 2022 wurden in der offiziellen Statistik die „zu wissenschaftlichen Zwecken getöteten“ Tiere nicht berücksichtigt, was den Vergleich der Zahlen vor und nach diesen Jahren erschwert. Im Jahr 2023 erfolgte jedoch wieder eine detaillierte Aufschlüsselung der „zu wissenschaftlichen Zwecken getöteten“ Tiere. Darunter fallen Tiere, die etwa zur Gewebe- oder Organentnahme getötet werden. Demnach wurden 615.246 dieser Tiere (91,6 %) in der Grundlagenforschung „verbraucht“.
Laut den aktuellen Zahlen für 2023 wurden in diesem Jahr 852.209 Tiere direkt in Versuchen im Rahmen der Grundlagenforschung verwendet, was einem Anteil von 58,5 % entspricht und einen Anstieg von 3 % im Vergleich zum Vorjahr darstellt. In absoluten Zahlen ist die Anzahl der Tiere für die Grundlagenforschung jedoch um fast 105.000 Tiere gesunken.
Die vom Bf3R angegebenen Zahlen beziehen sich nur auf direkt in Versuchen verwendete Tiere.
Gesetzlich vorgeschriebene Tierversuche gehen weiter zurück
Der erhoffte Abwärtstrend im Bereich der gesetzlich vorgeschriebenen Tierversuche setzte sich leider nicht fort: Nach einem Anteil von 15,8 % im Jahr 2022 stieg dieser wieder auf 16,9 %.
Zum Vergleich: 2018 lag der Anteil der Tierversuche in diesem Bereich bei 484.254 Tieren (22,6 %). Er ging in den folgenden Jahren bis 2022 auf 272.452 Tiere (15,8 %) zurück.
Positiv ist, dass die absolute Zahl der in diesem Bereich verwendeten Tiere gesunken ist, von 272.452 im Jahr 2022 auf 246.650 im Jahr 2023.
Zu den gesetzlich vorgeschriebenen Tests zählen Verfahren wie Medikamententests für Mensch und Tier sowie Prüfungen für Medizinprodukte, Biozide, Pflanzenschutzmittel und auch Lebens- und Futtermittel.
Der Abwärtstrend der letzten Jahre in diesem Bereich ist auf die zunehmende Verfügbarkeit tierversuchsfreier Methoden zurückzuführen. Dazu gehören Verfahren, die ohne den Einsatz lebender Tiere auskommen, wie etwa Organchips, Zellkulturen und computergestützte Rechenmodelle. Auch die klinische und epidemiologische Forschung zählt zu diesen tierversuchsfreien Ansätzen. Es ist dringend erforderlich, diese modernen Forschungsmethoden weiter zu fördern. Im Gegensatz zu Tierversuchen liefern tierversuchsfreie Testsysteme verlässliche, auf den Menschen übertragbare Ergebnisse.
Die vom Bf3R angegebenen Zahlen in diesem Bereich beziehen sich nur auf direkt in Versuchen verwendete Tiere.
Genmanipulation für Tierversuche weiter auf dem Vormarsch
Im Jahr 2023 wurden 738.066 Tiere genetisch manipuliert, was einem Anteil von 50,6 % entspricht. Die am häufigsten genetisch veränderten Tiere sind Mäuse, Fische und Ratten. Im Vergleich zum Vorjahr hat sich hier wenig geändert, jedoch lag der Anteil 2011 noch bei nur 25 %.
Zwar ist die Zahl der genetisch manipulierten Tiere im Jahr 2023 mit 738.066 niedriger als im Vorjahr (918.276), jedoch liegt die tatsächliche Zahl deutlich höher, da diese Statistik nur die Tiere in Tierversuchen berücksichtigt. Viele der sogenannten Überschusstiere, die ebenfalls genetisch manipuliert sind, werden nun erstmals in einer eigenen Aufschlüsselung erfasst. Insgesamt wurden 1.070.422 genetisch veränderte Tiere, vorwiegend Mäuse und Fische, als Überschuss getötet, was 78 % aller Überschusstiere ausmacht.
Auch die Zahlen der „zu wissenschaftlichen Zwecken getöteten Tiere“ mit genetischer Veränderung werden nun detailliert aufgeschlüsselt: Von 380.986 Tieren, die genetisch manipuliert wurden, wurden Organe oder Gewebe für wissenschaftliche Zwecke entnommen.
50.741 Tiere erlitten „schweres“ Leid
Mit einem prozentualen Anteil von 3,5 % bleibt der Anteil der Tierversuche im Schweregrad „schwer“ nahezu gleich im Vergleich zum Vorjahr. Absolut ist die Zahl jedoch von 62.377 (2022) auf 50.741 (2023) gesunken, was einen erfreulichen Rückgang darstellt. Dennoch muss berücksichtigt werden, dass auch im Jahr 2023 weiterhin über 50.000 Tiere schweres Leid erfahren haben.
Versuche mit geringer Belastung machen 63,8 % (Vorjahr 66,3 %) aus, Versuche mit mittlerer Belastung 27,5 % (Vorjahr 25,4 %). Die Versuche, die „keine Wiederherstellung der Lebensfunktion“ vorsehen, lagen 2023 bei 5,3 % (Vorjahr 4,7 %). Letzteres bedeutet, dass der Versuch darauf ausgelegt ist, dass die Tiere z.B. unter Narkose getötet werden.
Mit der Neureglung der EU-Tierversuchsrichtline werden seit 2014 auch die Schweregrade erfasst, denen die Tiere im Labor ausgesetzt sind. Es ist jedoch zu beachten, dass die Einteilung der Schweregrade von den Forschern selbst vorgenommen wird – also von denjenigen, die das größte Interesse daran haben, dass diese Versuche genehmigt werden. Eine Auswertung von ÄgT zeigt, dass die Schweregrade häufig zu gering angegeben werden.
Verschwiegenes Tierleid
Eine grundlegende Neuerung bei den Tierversuchszahlen seit 2021 ist, dass nun auch Tiere erfasst werden, die für wissenschaftliche Zwecke in Laboren gezüchtet, jedoch nicht verwendet und daher als sogenannte Überschusstiere getötet wurden. Im Jahr 2023 wurden 1.373.173 Tiere (2022: 1.769.437) aufgrund mangelnden Verwendungszwecks getötet, meist aus rein wirtschaftlichen Gründen.
Tiere, die diesem Bereich zugeordnet werden, sind beispielsweise solche, die genetisch manipuliert wurden, aber nicht die gewünschte Veränderung tragen und daher für die Forschung wertlos sind. Da für diese Tiere keine Verwendung im Labor besteht, werden sie getötet. Ebenso kann es vorkommen, dass Tiere das falsche Alter oder Geschlecht aufweisen, sodass sie nicht in das vorgegebene Raster der geplanten Versuche passen und somit ebenfalls für die Forschung wertlos werden.
Dunkelziffer
Die Zahlen weisen bezüglich der Transparenz eine weitere erhebliche Schwäche auf: All die Tiere, die bereits in den Zuchteinrichtungen, beim Transport zum Labor oder vor Eingang bzw. nach Beendigung in ein Versuchsvorhaben unabsichtlich versterben, sind keine sogenannten Überschusstiere und werden somit bislang in keiner Statistik erfasst. (4)
Eine weitere Lücke in der Statistik gibt es den wirbellosen Tieren. Außer Kopffüßern (wie Tintenfischen und Kraken) werden wirbellose Tiere wie Insekten und Krebse überhaupt nicht erfasst. Im Jahr 2022 wurden 55 Kopffüßer verwendet, 2023 waren es 70.
Entwicklung der Tierversuchszahlen seit 1989
Grafik 2: In der Verlaufsgrafik ist die Anzahl der Tiere, die in Tierversuchen verwendet und zu wissenschaftlichen Zwecken getötet wurden, dargestellt.
Tierversuchsstatistiken des BMEL/Bf3R
2023 Bf3R: Verwendung von Versuchstieren im Jahr 2023 >>
2022 Bf3R: Verwendung von Versuchstieren im Jahr 2022 >>
2021 Bf3R: Verwendung von Versuchstieren im Jahr 2021 >>
2020 ÄgT-Zusammenstellung (PDF) / Tabelle des Bf3R (PDF)
2019 Tabelle (PDF)
2018 Tabelle (PDF)
2017 Tabelle (PDF)
2016 Tabelle (PDF)
2015 Tabelle (PDF)
2014 Tabelle (PDF)
2013 Tabelle (PDF)
2012 Tabelle (PDF)
2011 Tabelle (PDF)
2010 Tabelle (PDF)
2009 Tabelle (PDF)
2008 Tabelle (PDF)
2007 Tabelle (PDF)
2006 Tabelle (PDF)
2005 Tabelle (PDF)
2004 Tabelle (PDF)
Tierversuchstatistik der EU
Ausführliche Berichte der EU finden sich hier >> Unten haben wir die Zahlen im Ländervergleich zusammengefasst. Dabei sind nur die Tiere erfasst, die in Tierversuchen leiden und sterben, nicht aber die zu wissenschaftlichen Zwecken getöteten Tiere. Für Deutschland sind hier daher niedrigere Zahlen als in der Statistik des BMEL angegeben.
Tabelle 2019 (PDF)
Tabelle 2018 (PDF)
Tabelle 2017 (PDF)
Tabelle 2011 (PDF)
Tabelle 2008 (PDF)
Tabelle 2005 (PDF)
Letzte Bearbeitung: 16.12.2024
Quellen
- Deutsches Zentrum zum Schutz von Versuchstieren: Verwendung von Versuchstieren im Berichtsjahr 2023
- Gericke C. Lapcorp (Covance) - das größte Affenlabor Deutschlands. 15.08.2024
- Europäische Kommission. Commission staff Working document accompanying the document report from the commission to the European Parliament and the council on the implementation of Directive 2010/63/EU on the protection of animals used for scientific purposes in the Member States of the European Union. 05.02.2020
- Ärzte gegen Tierversuche. Was hat es auf sich mit der Transparenz? 01.08.2024