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Tierversuche dürfen laut Tierschutzgesetz nur durchgeführt werden, wenn sie „ethisch vertretbar“ und „unerlässlich“ sind. Doch das Tierschutzgesetz und die Tierversuchsverordnung verwalten Tierversuche lediglich, schützen die Tiere aber nicht davor, als Messinstrumente missbraucht zu werden. Juni 2021 wurde ein neues Tierschutzgesetz verabschiedet, das zusammen mit der neuen, noch ausstehenden Tierversuchsverordnung die tierexperimentelle Forschung regelt. 

Geschichtlicher Rückblick

Das erste deutsche Tierschutzgesetz trat 1933 in Kraft. 1972 wurde eine komplette Neufassung verabschiedet. 1986 wurde das Gesetz auf Grundlage der EU-Richtlinie 86/609/EU erneut stark überarbeitet und erstmals eine Genehmigung von Tierversuchen und eine beratende Kommission eingeführt. Mit der Verabschiedung der EU-Richtlinie 2010/63/EU (1) im Jahr 2010 musste das Europäische Tierversuchsrecht erneut in nationales Recht umgesetzt werden. Das neue Regelwerk – jetzt bestehend aus Tierschutzgesetz (2) und Tierversuchsverordnung (3) - trat in Deutschland erst 2013 in Kraft. Zudem hatte die Bundesregierung weite Passagen falsch zu Ungunsten der Tiere umgesetzt. 2018 leitete die EU ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland ein. Im Januar 2021 wurde schließlich eine überarbeitete Fassung vorgelegt, die zumindest die meisten Kritikpunkte der EU beheben sollte.

Die folgenden beschriebenen Regelungen beziehen sich auf die Fassung des Tierversuchsrechts von 2021.

Definitionen

Tierversuche sind nach § 7 des Tierschutzgesetzes (TierSchG) definiert als Eingriffe oder Behandlungen zu Versuchszwecken

  1. an Tieren, wenn sie mit Schmerzen, Leiden oder Schäden für diese Tiere verbunden sein können,
  2. an Tieren, die dazu führen können, dass Tiere geboren werden oder schlüpfen, die Schmerzen, Leiden oder Schäden erleiden, oder
  3. am Erbgut von Tieren, wenn sie mit Schmerzen, Leiden oder Schäden für die erbgutveränderten Tiere oder deren Trägertiere verbunden sein können.

Als Tierversuche gelten auch Eingriffe oder Behandlungen, die nicht Versuchszwecken dienen, und

  1. die zur Herstellung, Gewinnung, Aufbewahrung oder Vermehrung von Stoffen, Produkten oder Organismen vorgenommen werden,
  2. durch die Organe oder Gewebe ganz oder teilweise entnommen werden, um zu wissenschaftlichen Zwecke
  1. a) die Organe oder Gewebe zu transplantieren,
  2. b) Kulturen anzulegen oder
  3. c) isolierte Organe, Gewebe oder Zellen zu untersuchen,

oder 3. die zu Aus-, Fort- oder Weiterbildungszwecken vorgenommen werden.

Nicht als Tierversuch gilt das Töten eines Tieres, soweit dies ausschließlich erfolgt, um dessen Organe oder Gewebe zu wissenschaftlichen Zwecken zu verwenden sowie eine veterinärmedizinische klinische Prüfung, die für die Zulassung eines Tierarzneimittels verlangt wird.

Für Tierversuche muss nach § 7a TierSchG eine „Unerlässlichkeit“ bestehen. Außerdem sind sie nur für bestimmte Zwecke zulässig:

  1. Grundlagenforschung,
  2. sonstige Forschung mit einem der folgenden Ziele:a) Vorbeugung, Erkennung oder Behandlung von Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder körperlichen Beschwerden bei Menschen oder Tieren,
    b) Erkennung oder Beeinflussung physiologischer Zustände oder Funktionen bei Menschen oder Tieren,
    c) Förderung des Wohlergehens von Tieren oder Verbesserung der Haltungsbedingungen von landwirtschaftlichen Nutztieren,
  3. Schutz der Umwelt im Interesse der Gesundheit oder des Wohlbefindens von Menschen oder Tieren,
  4. Entwicklung und Herstellung sowie Prüfung der Qualität, Wirksamkeit oder Unbedenklichkeit von Arzneimitteln, Lebensmitteln, Futtermitteln oder anderen Stoffen oder Produkten mit einem der in Nummer 2 Buchstabe a bis c oder Nummer 3 genannten Ziele,
  5. Prüfung von Stoffen oder Produkten auf ihre Wirksamkeit gegen tierische Schädlinge,
  6. Forschung im Hinblick auf die Erhaltung der Arten,
  7. Aus-, Fort- oder Weiterbildung,
  8. gerichtsmedizinische Untersuchungen.

Die Auflistung der Zwecke erlaubt Tierversuche für alle nur denkbaren Versuchsansätze und deren Genehmigung ist reine Formsache. Versuche, die nicht bereits durch die Punkte 2 bis 8 abgedeckt sind, finden ihre pauschale Genehmigungsfähigkeit unter der Rubrik Grundlagenforschung. Diese dient per Definition dem „Streben eines Forschers nach Erkenntnis. Unmittelbar anwendbare Ergebnisse sind nicht das erste Ziel“. Kurzum, auch wenn ein Experiment einer noch so realitätsfernen Befriedigung wissenschaftlicher Neugier oder persönlicher Profilierungssucht dient, kann es als Beitrag zur Grundlagenforschung gekennzeichnet werden. „Unerlässlich“ werden damit auch abstruse Fragestellungen, wie beispielsweise, wie lange Nacktmulle ohne Sauerstoff auskommen können.

Genehmigung von Tierversuchen

Das Tierschutzgesetz unterscheidet bei Tierversuchen seit seiner letzten in Kraft getretenen Überarbeitung im Juni 2021 zwischen Genehmigungsverfahren und vereinfachtem Genehmigungsverfahren, das die vorherige bloße Anzeigepflicht ersetzt. Genehmigt werden müssen jetzt also alle Tierversuche, wenn auch nicht unter denselben Bedingungen.

Zu den Tierversuchen des vereinfachten Genehmigungsverfahrens zählen vor allem gesetzlich vorgeschriebene Tests, z.B. toxikologische Untersuchungen, also Tests, bei denen die Giftigkeit von Stoffen an Tieren getestet wird, sowie die Prüfung von Impfstoffen. Mit anderen Worten, für diese besonders qualvollen Versuche gelten niedrigere Hürden.

Andere Tierversuche, vor allem im Bereich der Grundlagen- und Arzneimittelforschung, aber auch der Aus-, Fort- und Weiterbildung, bedürfen einer erweiterten Genehmigung durch die zuständige Behörde, meist das Regierungspräsidium. Der Genehmigungsbehörde steht eine so genannte Tierversuchs- oder §15-Kommission genannt (fälschlich auch „Ethikkommission“ genannt) beratend zur Seite. Sie besteht in der Regel zu zwei Dritteln aus Wissenschaftlern und nur zu einem Drittel aus Tierschutzvertretern. Viele Wissenschaftler befürworten Tierversuche und sind selbst Tierexperimentatoren. Oftmals gelangen sogar Tierexperimentatoren als Vertreter von „Pseudo“-Tierschutzorganisationen in die Kommission. Aufgrund der zahlenmäßigen Überlegenheit der Befürworter werden nur selten Tierversuchsanträge abgelehnt. Weiterhin hat die Kommission nur beratenden Charakter. Die Entscheidung liegt bei der Genehmigungsbehörde.

Der Genehmigungsantrag beruht auf den Vorgaben der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Durchführung des Tierschutzgesetzes und umfasst gut 40 Fragen. Es müssen unter anderem Zweck, Unerlässlichkeit und ethische Vertretbarkeit des Versuchsvorhabens gerechtfertigt werden, warum der Versuchszweck nicht auch mit tierversuchsfreien Methoden erreicht werden kann, Art und Anzahl der Tiere sowie die zu erwartende Belastung für die Tiere und so weiter.

Irgendeinen in ferner Zukunft liegenden, möglichen Nutzen für den Menschen anzugeben fällt nicht schwer, denn diese Behauptung ist nicht nachprüfbar. Auch die Frage nach dem Vorhandensein von tierversuchsfreien Methoden lässt sich für den Experimentator leicht verneinen, denn nachzuweisen, dass es für genau die gewünschte Fragestellung andere Verfahren gibt, überfordert so manche Kommission und Genehmigungsbehörde nach wie vor. Insofern ist die Beantragung eines Tierversuchs mehr ein rein bürokratischer Akt, bei dem das Leid der Tiere in der Regel kaum berücksichtigt wird und vage Aussagen des Experimentators über den möglichen Nutzen ausreichen, um Versuche jedweder Art durchführen zu können.

Mit dem Inkrafttreten der durch die EU-Kommission erzwungenen Überarbeitung des Tierschutzrechts vom Juni 2021 verbessert sich zwar die Prüfungskompetenz der Behörde, besonders viel für die Tiere jedoch nicht.

Die EU fordert eine unabhängige Abwägung zwischen dem Leid der Tiere und dem postulierten Nutzen des Versuchs. Eine solche Abwägung war den deutschen Behörden aufgrund einer falschen Umsetzung des EU-Rechts jedoch nicht erlaubt. Laut § 8 Abs. 1 TierSchG war die Genehmigung eines Versuchsvorhabens zu erteilen, wenn alle formalen Vorgaben erfüllt sind, d.h. der Antrag korrekt ausgefüllt wurde. Die EU-Kommission zwang Deutschland diesen Passus zu ändern. Nun besagt er, die Prüfung der Behörde muss ergeben, dass der Tierversuch aus wissenschaftlicher und pädagogischer Sicht gerechtfertigt sei. Die Prüfungskompetenz der Behörde ist dadurch jetzt gestärkt. Inwieweit sich dies auf die Genehmigungspraxis auswirkt, wird sich zeigen. 

Zu kritisieren ist weiterhin, dass die Kommissionsmitglieder der strikten Schweigepflicht unterliegen, d.h., durch das Genehmigungsverfahren wird noch nicht einmal die Transparenz der zu großen Teilen durch unsere Steuergelder subventionierten tierexperimentellen Forschung erhöht. Fehlentscheidungen gelangen so nicht an die Öffentlichkeit.Mitunter gelingt es den Kommissionen bei einzelnen Genehmigungsanträgen die Anzahl der Tiere zu reduzieren oder das Leid für die Tiere herabzusetzen. Die Prinzipien des 3R – Vermeidung, Verminderung und Verbesserung - sind in der EU-Richtlinie und seit 2021 auch im Tierschutzgesetz grundlegend verankert. Dieses 3R-Prinzip lehnen wir aber als nicht zielführend ab, denn der Tierversuch als Methode wird damit nicht in Frage gestellt.

Letztendlich ist die derzeitige Genehmigungspraxis aber auch weiterhin nicht mehr als eine bürokratische Hürde. Die Ablehnungsquote liegt zwischen 0,3 % (Niedersachsen) und 1,4 % (Baden-Württemberg). Die EU hat 2020 für Deutschland sogar eine Ablehnungsquote von 0 % veröffentlicht (4)

Weitere Vorgaben

  • Jeder Tierversuch muss in eine Schweregradkategorie eingeteilt werden. Es gibt: „keine Wiederherstellung der Lebensfunktion“ (z.B. Tötung unter Narkose), „gering“, „mittel“ und „schwer“. Für die Einteilung hat die EU Vorgaben mit Beispielen vorgegeben. Allerdings entscheidet jeder Experimentator selbst, in welche Kategorie er sein Tierexperiment einteilt. Aus Studien weiß man, dass Experimentatoren das Leid der Tiere regelmäßig zu niedrig einstufen. „Schwerstbelastende“ Tierversuche gänzlich zu verbieten verweigert der deutsche Gesetzgeber nach wie vor.
  • Der Antragsteller muss seinem Genehmigungsantrag eine nicht-technische Zusammenfassung beifügen, die aber keine Orts- und personenbezogenen Daten enthalten darf. Diese Zusammenfassungen werden innerhalb von 12 Monaten nach Antragstellung in der öffentlich zugänglichen zentralen Datenbank animaltestinfo.de veröffentlicht.
  • Für Tierversuche an Primaten und solchen des Schweregrads „schwer“ muss die Genehmigungsbehörde nach Abschluss des Tierversuchs eine rückblickende Bewertung vornehmen. Hierbei soll überprüft werden, ob der angegebene „Nutzen“ den „Schaden“ für die Tiere überwiegt. Für andere genehmigte Tierversuche kann die Behörde bei Bedarf eine Bewertung vornehmen.
  • Zwar wurden in Deutschland seit 1991 keine Menschenaffen mehr verwendet, im Sinne der Forschungsfreiheit wird diese Option auf Kosten des Tierschutzes aber offengehalten. Das heißt, Versuche an Menschenaffen wie Schimpansen sind zwar verboten, Ausnahmen sind aber erlaubt, so dass letztendlich nur eine höhere Einschränkung besteht, als für andere Tierversuche.
  • Für Tierversuche an aus der Wildnis gefangenen und herrenlosen Tieren besteht ein grundsätzliches Verbot. Ausnahmen sind trotzdem möglich. Wir halten es jedoch für Deutschland für ausgeschlossen, dass Katzen und Hunde von der Straße gefangen werden, um an Tierversuchslabore verkauft zu werden. Das liegt schon allein daran, dass die Experimentatoren für ihre Versuche, die unter konstanten Laborbedingungen stattfinden, Tiere mit bekannter Herkunft und Eigenschaften bevorzugen und daher kein Interesse an herrenlosen Haustieren besteht.

Wer kontrolliert die Einhaltung des Tierschutzgesetzes?

Ist ein Tierversuch erst einmal genehmigt, gibt es nur wenig wirksame Kontrollen. Jede Tierversuchseinrichtung muss nach § 10 des Tierschutzgesetzes einen sogenannten Tierschutzbeauftragten benennen, der verpflichtet ist „in besonderem Maße auf den Schutz der Tiere zu achten“. Da diese Person aber von dem jeweiligen Tierversuchsinstitut angestellt ist, kann von einer unabhängigen Kontrolle nicht die Rede sein. Meist sind diese Personen sogar selbst Tierexperimentatoren. Der „Tierschutzbeauftragte“ berät außerdem den Antragsteller beim Ausfüllen des Genehmigungsantrages.

Für die Kontrolle der Einhaltung der Tierversuchsvorschriften ist die zuständige Behörde (meist die regionalen Veterinärämter) zuständig. Kontrollen sollen nach § 16 des Tierschutzgesetzes regelmäßig erfolgen, vorgeschrieben ist eine Kontrolle jährlich bei mindestens einem Drittel der Verwender. In Einrichtungen mit Primaten muss mindestens einmal jährlich kontrolliert werden, außerdem muss ein angemessener Teil der Kontrollen ohne Vorankündigung erfolgen. Wie weit dieser „angemessene Teil“ reicht, lässt das Gesetz offen.

Gesetzlich vorgeschriebene Tierversuche

Ein Weltbild, welches das Tier als Modell für den Menschen akzeptierte, führte zu dem Dogma, dass jedes Medikament und jede Operationstechnik zuerst am Tier zu erproben ist. Aus einer Wirkung am Tier wird dann, meist unreflektiert, auf eine Wirksamkeit beim Menschen geschlossen. Dieses Dogma schlug sich weltweit in der Gesetzgebung nieder, so dass heute keine Medikamente, Chemikalien oder andere Stoffe zugelassen werden, ohne ein stures System von Tierversuchen durchlaufen zu haben. In rund 20 deutschen und EU-Gesetzen, Verordnungen und Richtlinien sind Tierversuche vorgesehen, z.B. im Arzneimittelgesetz, Chemikaliengesetz, Futtermittelgesetz, Gentechnikgesetz, Infektionsschutz-Gesetz, Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz, Pflanzenschutzgesetz oder Tierseuchengesetz. Gesetzlich vorgeschriebene Tierversuche unterliegen einem vereinfachtem Genehmigungsverfahren.

Die Anzahl der aufgrund von Rechtsvorschriften durchgeführten Tierversuche war jahrelang rückläufig. Im Jahr 1991 lag ihr Anteil bei 35 % (rund 842.000 Tiere), 2003 waren es „nur“ noch 23 % (479.000), 2013 noch 333.698 (11%). Aufgrund veränderter Zählweise seit 2014 sind die Zahlen mit den Vorjahren nur eingeschränkt vergleichbar. 2019 lag die Zahl der für regulatorische, also gesetzliche Zwecke, bei 474.902 Tieren (21,5%).

Warum ist es so schwierig, gesetzliche Änderungen durchzusetzen?

Gesetze fallen nicht vom Himmel, sondern sind das Ergebnis knallharter Lobbyarbeit. Hinter dem Tierversuch stehen mächtige Interessen. Verbesserungen im Tierschutz werden von der Tierversuchslobby mit Einschnitten in ihre Forschungsfreiheit gleichgesetzt. Entsprechend vehement ist ihr Widerstand. Der Druck dieser am Tierversuch interessierten Wirtschaftskreise und der universitären Forschungsmacht auf den Gesetzgeber haben strengere Vorschriften für Tierversuche oder gar ein gesetzliches Verbot bislang verhindern können. Gewisse Verbesserungen konnten nur gegen den erbitterten Widerstand der Tierversuchslobby erreicht werden.

Als in den 80er Jahren das Tierschutzgesetz novelliert wurde und ein Verbot des Hunde- und Katzenhandels aus dubiosen Quellen sowie die Einrichtung von „Ethikkommissionen“ bevorstand, prognostizierten die Interessengruppen der Forschung das Ende jeglichen medizinischen Fortschrittes. Während der zwölf Jahre intensiver Kampagnenarbeit, die der Verankerung des Tierschutzes im Grundgesetz vorausgingen, drohte die Forschung immer wieder mit Abzug ins Ausland und mit gravierenden Einbußen bei der medizinischen Versorgung der Bevölkerung, sollte der Tierschutz tatsächlich Verfassungsrang erhalten. Der medizinische Super-GAU, wie ihn die Experimentatoren gern an die Wand malen, ist trotz Umsetzung der genannten Verbesserungen ausgeblieben.

Auch bei der letzten Novellierung der Tierschutzgesetzgebung, die auf EU-Ebene 2010 und in Deutschland 2013 verabschiedet wurde, hat die Tierversuchslobby massiv Einfluss genommen und die wenigen von der EU geplanten Verbesserungen torpediert. So ist der Tierversuchslobby und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung zu „verdanken“, dass Ausnahmen für ein ursprünglich vorgesehenes absolutes Verbot von Versuchen an Menschenaffen und „schwerstbelastenden“ Tierversuche in das Regelwerk eingefügt wurden. Auch die Unterteilung in Genehmigung und vereinfachte Genehmigung ist auf den Einfluss der Tierversuchslobby zurückzuführen.  Die Tierversuchslobby hat auch Einschränkungen bei der Verwendung von Primaten verhindert, wie sie in einem Artikel stolz verkündet: 

„Eine hart erkämpfte Klausel – die nach intensiver Lobbyarbeit von biomedizinischer Seite noch quasi in letzter Minute aufgenommen wurde – erlaubt ausdrücklich Grundlagenforschung an nichtmenschlichen Primaten für den Fall, dass Studien an anderen Tieren nicht durchführbar sind.“ (5)

Tierschutz im Grundgesetz

2002 wurde in Artikel 20a GG die Worte „und die Tiere“ eingefügt. Artikel 20a lautet:

„Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.“

Die Freiheit der Wissenschaft, Forschung und Lehre sind gemäß Art. 5 des Grundgesetzt (GG) als schrankenloses Grundrecht geschützt. Dies führte dazu, dass der Tierschutz regelmäßig durch das höhere Grundrecht ausgehebelt werden konnte.

Die Aufnahme des Tierschutzes in das Grundgesetz im Jahr 2002 konnte nur erreicht werden, weil der überwiegende Teil der Bevölkerung hinter dieser Idee stand. Sie ist damit Ausdruck unseres Kulturbewusstseins und des hohen Stellenwertes, der dem Tierschutz in weiten Bevölkerungskreisen beigemessen wird. Die Aufnahme des Tierschutzes in die Verfassung ist ein Meilenstein, denn der Freibrief der Experimentatoren zum Quälen und Töten von Tieren ist damit nicht mehr schrankenlos - zumindest in der Theorie. Für die Tiere in den Laboren hat sich allerdings trotzdem nichts geändert.

Bislang ist nur ein Fall bekannt, bei dem ein Tierversuchsvorhaben durch die Behörden aufgrund der Grundgesetzänderung verhindert wurde. Das Regierungspräsidium (RP) Gießen hatte im Jahr 2003 den Tierversuchsantrag eines an der Universität Marburg tätigen Tierexperimentators abgelehnt. In dem Versuch ging es um die Untersuchung der Nebenwirkung eines seit zehn Jahren zugelassenen Medikamentes. An Ratten sollte erforscht werden, warum menschliche Patienten bei Einnahme dieses Medikamentes an Gewicht zunehmen. Das RP verweigerte die Genehmigung, die Universität zog vor Gericht. Am Ende der gerichtlichen Auseinandersetzung urteilte das Verwaltungsgericht Gießen zugunsten der Genehmigungsbehörde und gestand ihr damit das Recht zu, beantragte Tierversuche wissenschaftlich überprüfen zu dürfen.

Im Fall des Bremer Affenexperimentators Kreiter hatte die zuständige Genehmigungsbehörde beantragte Tierversuche im Jahr 2008 abgelehnt. Am Ende des darauffolgenden langjährigen Rechtsstreits durch verschiedene Instanzen entschied das Bundesverwaltungsgericht jedoch zuungunsten der Tiere und vertrat die Meinung, der Genehmigungsbehörde stehe kein Ermessensspielraum zu, einen Tierversuch abzulehnen. Der grundgesetzlich verankerte Tierschutz blieb unberücksichtigt.

Strafverfolgung

Zusätzlich dazu, dass Tierversuche kaum je abgelehnt werden, entscheiden Gerichte auch in Fällen der Tierquälerei im Zusammenhang mit Tierversuchen meist zuungunsten der Tiere. Nach § 17 TierSchG begeht eine Straftat, wer ohne vernünftigen Grund ein Tier tötet oder diesem aus Rohheit erhebliche, oder länger anhaltende erhebliche Schmerzen oder Leiden zufügt.

Besonders bekannt geworden sind die Gerichtsurteile zum LPT im Jahr 2020, nachdem Undercover-Recherchen grausame tierquälerische Praktiken in dem Hamburger Labor zu Tage förderten. Zwar bestätigte das Gericht in erster Instanz die behördliche Schließung der Labore in Mienenbüttel und in Hamburg, letzteres wurde jedoch mit Entscheidung des OVG Hamburg im Juli 2020 wieder geöffnet und darf unter laschen Auflagen weiter Tierversuche durchführen, genau wie vorher.

Für die Tierquälerei wurde bislang kein Experimentator bestraft. Auch in keinem anderen Fall von Tierquälerei in Forschungseinrichtungen wurden die Verantwortlichen angeklagt, entweder wurde das Verfahren eingestellt, oder die Ermittlungen gegen sie wurden gegen Zahlung geringer Geldbeträge eingestellt. Der Tierschutz als Staatszielbestimmung im Grundgesetz hat an diesen Missständen kaum etwas geändert, obwohl der Tierschutz nach allgemeiner Auffassung sogar in der Lage wäre, andere schrankenlos gewährte Grundrechte, wie beispielsweise die Wissenschaftsfreiheit, einzuschränken.

Quellen

  1. Richtlinie 2010/63/EU des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 22. September 2010 zum Schutz der für wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere
  2. Tierschutzgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 18. Mai 2006 (BGBl. I S. 1206, 1313), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 18. Juni 2021 (BGBl. I S. 1828) geändert worden ist
  3. Verordnung zum Schutz von zu Versuchszwecken oder zu anderen wissenschaftlichen Zwecken verwendeten Tieren (Tierschutz-Versuchstierverordnung – TierSchVersV), August 2013 (BGBl. I S. 3125, 3126) die zuletzt durch Artikel 394 der Verordnung vom 31. August 2015 (BGBl. I S. 1474) geändert worden ist
  4. Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949 (BGBl. S. 1), das zuletzt durch Artikel 1 u. 2 Satz 2 des Gesetzes vom 29. September 2020 (BGBl. I S. 2048) geändert worden ist
  5. Alison Abbott: Primatenforschung in Europa, Spektrum, 15.5.2014

 

25.08.2021
Dr. med. vet. Corina Gericke, Lara Casper

Weitere Informationen

Tierschutzgesetz (PDF)

Versuchstierverordnung (PDF)

EU-Recht - Hintergrundinfos >>

Umfangreiches Gutachten von Jens Bülte, Barbara Felde, Christoph Maisack: „Reform des Tierschutzrechts“, 1. Auflage 2022, 740 Seiten, kostenfrei hier downloaden.