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Zusammenfassung

Eine Auswertung der Daten über die Genehmigungen und Ablehnungen genehmigungspflichtiger Tierversuchsanträge in den Bundesländern zeigt erstmals, dass bundesweit weniger als 1 % der Tierversuche von den Behörden abgelehnt werden. In den einzelnen Bundesländern Deutschlands beläuft sich die Ablehnungsquote häufig auf 0 % und beträgt im Durchschnitt der drei zugrundeliegenden Jahre zumeist unter 1 oder und selten über 1 %. Grundlage sind bei den zuständigen Genehmigungsbehörden angefragte Daten jeweils zur Anzahl der Genehmigungen und Ablehnungen von genehmigungspflichtigen Tierversuchen in den Jahren 2015, 2016 und 2017.

Hintergrund

Nach dem deutschen Tierschutzgesetz bedarf die Genehmigung eines Tierversuchs der Voraussetzung, dass dieser zu bestimmten Zwecken „unerlässlich“ und „die zu erwartenden Schmerzen, Leiden oder Schäden der Tiere im Hinblick auf den Versuchszweck ethisch vertretbar“ sind. (1) Für die Erteilung einer Genehmigung auf Durchführung eines Tierversuchs sind in Deutschland die in jedem Bundesland angesiedelten Genehmigungsbehörden zuständig. Diese kann Versuche ablehnen, genehmigen oder Auflagen erteilen. Allerdings ist die Prüfkompetenz der Behörde infolge eines Urteils des Bundesverwaltungsgerichts 2014 (2) auf eine Plausibilitätsbewertung beschränkt, während die eigentliche Beurteilung dem Projektleiter überlassen bleibt. In der Praxis bedeutet das, dass die Behörde einen Tierversuch genehmigen muss, wenn der Antragsteller selbst die Unerlässlichkeit und ethische Vertretbarkeit wissenschaftlich darlegt. Dies steht im Widerspruch zu den Anforderungen der EU-Tierversuchsrichtlinie, wonach die Projektbeurteilung von der zuständigen Behörde durchgeführt werden muss. Der Genehmigungsbehörde steht eine Kommission nach § 15 des deutschen Tierschutzgesetzes zur Seite, die sich in der Regel aus Zweidritteln Forschern und einem Drittel von Tierschutzseite benannten Personen zusammensetzt und gegenüber der Genehmigungsbehörde beratende Funktion hat.

Vor dem Hintergrund, erstmals einen umfassenden Überblick zu erlangen, welcher Anteil an Tierversuchen in den einzelnen Bundesländern und damit in Deutschland abgelehnt wird, wurden Daten zusammengetragen und ausgewertet.

Datengrundlage und Auswertung

Die zuständigen Genehmigungsbehörden der Bundesländer wurden jeweils für die Jahre 2015, 2016 und 2017 im Zeitraum von Dezember 2016 bis März 2019 schriftlich angefragt und um Auskunft über die Anzahl der Anträge genehmigungspflichtiger Tierversuche und die Anzahl der Rücknahmen und Ablehnungen gebeten. Desweiteren wurden Recherchen angestellt, um entsprechende Informationen über die Ablehnungen von Tierversuchen unter anderem auch in früheren Jahren zu erhalten und damit das Gesamtbild abzurunden. So wurden Drucksachen oder in einem Fall eine Aussage in einem Medienbeitrag herangezogen, welche in der Berechnung der Ablehnungsquote jedoch nicht berücksichtigt sind.

Anhand der Anzahl der bei den Genehmigungsbehörden gestellten Anträge auf Durchführung genehmigungspflichtiger Tierversuche und der Anzahl der Ablehnungen durch die Behörde wurde für die Bundesländer jeweils der prozentuale Anteil abgelehnter Tierversuche ermittelt. Sofern vom Antragsteller Anträge zurückgezogen wurden, diese letztlich der Behörde also nicht zur Genehmigung vorlagen, wurden diese in der Auswertung nicht berücksichtigt. Das heißt, berücksichtigt wurde die Anzahl der Anträge, die der Behörde tatsächlich zur Entscheidung über die Erteilung einer Genehmigung vorlag.

Die bundesweite Ablehnungsquote von Tierversuchen wurde aus der Summe der Anträge der einzelnen Bundesländer und entsprechend der Gesamtzahl der bundesweiten Ablehnungen ermittelt.

Aufgrund einer Gebührenerhebung in zwei Bundesländern (Hamburg, Sachsen) wurde auf die Auskunftserteilung hier verzichtet.

Ablehnungsquote in den Bundesländern

Die Anzahl der Anträge auf Durchführung genehmigungspflichtiger Tierversuche, der Ablehnungen und die daraus ermittelten Ablehnungsquoten sind aus folgender Tabelle zu ersehen. 

Da in Baden-Württemberg die Informationen jeweils bei den vier zuständigen Regierungspräsidien eingeholt werden mussten, liegen hier detaillierte Daten vor. So wurden im Regierungsbezirk Stuttgart in den drei Jahren jeweils alle Tierversuche genehmigt. Im Regierungsbezirk Karlsruhe liegt die Ablehnungsquote zwischen 0 % und 1,25 %, im Regierungsbezirk Tübingen zwischen 0 % und 2,73% und im Regierungsbezirk Freiburg zwischen 0,58 % und 4,14 %. 

Bei Bayern bezieht sich die Auswertung auf die Daten, die die Regierung Oberbayern auf Antrag zur Verfügung gestellt hat, wohingegen die Regierung Unterfranken als zweite zuständige Behörde keine Auskunft erteilte bzw. nicht antwortete. Das Bayerische Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz teilte auf Anfrage nach Auskunft für die Jahre 2015 und 2016 zunächst mit: "Ein Auskunftsrecht nach Art. 36 Abs.1 BayDSG besteht derzeit mangels glaubhafter Darlegung eines berechtigten, nicht auf eine entgeltliche Weitergabe gerichteten Interesses nicht. Wir bitten insofern um Verständnis dafür, dass Ihrem Anliegen derzeit nicht entsprochen werden kann." Auf erneute Nachfrage wurden die Daten jedoch zur Verfügung gestellt. Ergänzend konnte aus einer parlamentarischen Drucksache für das Jahr 2013 bezogen auf Bayern eine Ablehnungsquote von 0,21 % ermittelt werden, die sich aus 467 Anträgen, von denen einer abgelehnt wurde, ergibt. Im Jahr 2014 wurden 423 Anträge gestellt, wovon keiner abgelehnt wurde. Auch in früheren Jahren stellt sich in Bayern die Ablehnungsquote von genehmigungspflichtigen Tierversuchsanträgen ähnlich dar. 2009 wurde von 360 Anträgen einer abgelehnt (0,28 %), 2010 waren es zwei Ablehnungen von 312 Anträgen (0,64 %), 2011 wurden alle der 351 Anträge genehmigt (Ablehnungsquote 0 %) und 2012 schließlich wurde einer von 407 Anträgen abgelehnt (0,25 %). (3)

Aus den Medien ist bezogen auf ganz Bayern nur die Anzahl der Genehmigungen von Tierversuchen bekannt, nicht aber die Anzahl der Ablehnungen und zurückgezogenen Anträge. Im Jahr 2017 waren es 328 Genehmigungen, 2016 waren es 326. Im ersten Halbjahr 2018 wurden in Bayern bereits 204 Genehmigungen erteilt. (4) 

Für Hessen ist ergänzend zu den tabellarisch dargestellten Daten festzustellen, dass auch in vergangenen Jahren die Ablehnung von genehmigungspflichtigen Tierversuchsanträgen eher die Ausnahme darzustellen scheint. So wurden im Zeitraum 2010 bis 2014 fünf Versuchsanträge von Hessischen Hochschulen und 4 Anträge von Hessischen Wirtschaftsunternehmen abgelehnt. (5) 2014 wurde von 39 Anträgen durch Wirtschaftsunternehmen keiner abgelehnt. (6) Im Jahr 2015 wurden von Forschungseinrichtungen der Wirtschaft 21 genehmigungspflichtige Tierversuche beantragt, davon wurden 20 Anträge genehmigt, ein Antrag wurde von der antragstellenden Einrichtung zurückgezogen. Im Jahr 2016 wurden von der Wirtschaft 19 genehmigungspflichtige Tierversuchsanträge gestellt und genehmigt. (7) 

Die Genehmigungsbehörde des Bundeslandes Hamburg antwortete nicht auf die Anfrage (2015/2016) bzw. verwies bei der Anfrage der Daten aus 2017 auf die Gebührenpflicht. 

Für 2017 erteilte das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen der Anfrage auf Auskunft eine Absage, unter anderem mit der Begründung, dass ein dahingehender Antrag nur von einer natürlichen Person, nicht aber von einem Verein gestellt werden kann. Zudem sei die Auskunft gebührenpflichtig. Eine telefonische Anfrage vom 11.3.2019 änderte diesen Sachverhalt nicht. Infofern bleibt festzustellen, dass die Daten für 2015 und 2016 gebührenfrei und problemlos erteilt wurden und anzunehmen ist, dass der prozentuale Anteil abgelehnter Tierversuche 2017 vergleichbar wie in den Vorjahren zwischen 0 und 1 % sein wird. 

Die Genehmigungsbehörde in Niedersachsen wies alle Anfragen auf Auskunft zurück. Recherchen haben ergeben, dass im Jahr 2012 insgesamt 359 Tierversuche beantragt wurden. Davon wurden 20 unter Erteilung von Auflagen genehmigt. Für 12 Anträge wurden zunächst nur Teilgenehmigungen (z.B. in Form von Vorversuchen/Pilotstudien) mit deutlich geringeren Tierzahlen als beantragt erteilt, in vier Fällen davon erfolgten die Teilgenehmigungen mit Auflagen. In sieben Fällen wurde der Antrag nach Prüfung und Rücksprache mit dem Antragsteller von diesem im Einvernehmen zurückgezogen. Ein Antrag wurde rechtskräftig abgelehnt, in zwei Fällen hatte der Antragsteller gegen die Ablehnung bzw. die Teilgenehmigung des Tierversuchs geklagt. (8) Legt man zugrunde, dass abzüglich der sieben zurückgezogenen Anträge 352 Anträge verbleiben, von denen drei durch die Behörde abgelehnt wurden, ergibt sich eine Ablehnungsquote 0,85 %. Für 2016 wird eine Ablehnungsquote von 0,3 % angenommen, resultierend aus einer entsprechenden Äußerung der Ministerin für Wissenschaft und Kultur in Niedersachsen, Gabriele Heinen-Kljajić, in einem Interview. (9) 

Das Land Sachsen erteilte nur eine Teilauskunft infofern, als zwar die Anzahl der Anträge auf Durchführung genehmigungspflichtiger Tierversuche, nicht aber die der Ablehnungen mitgeteilt wurden. Die Anzahl der Anträge belief sich im Jahr 2015 auf 131, 2016 waren es 149 und 2017 schließlich 137. Eine Ablehnungsquote konnte damit nicht ermittelt werden. Die Landesdirektion Sachsen teilte mit, die Auskunftserteilung „würde einen erheblichen Verwaltungsaufwand verursachen, da jeder Vorgang einzeln geprüft werden müsste, um Ihnen die Informationen entsprechend zur Verfügung stellen zu können." Dies sei zudem auch nur gebührenpflichtig möglich. 

In Thüringen betrug die Ablehnungsquote 2015 und 2017 jeweils 0 %, wohingegen 2016 7,44 % der Tierversuchsanträge abgelehnt wurden. Dieser Wert ist jedoch in Betrachtung der ansonsten in allen Bundesländern zwischen häufig 0 % und einem maximalen Wert von 2,6 % liegenden Anteil an Ablehnungen als Ausnahme zu sehen.

Gesamtbild Deutschland

Aus den zur Verfügung gestellten Daten ergibt sich, dass in Deutschland im Jahr 2015 insgesamt mindestens 2.534 Anträge auf Durchführung genehmigungspflichtiger Tierversuche gestellt wurden, von denen 18 von der Behörde abgelehnt worden sind. Daraus ergibt sich eine Ablehnungsquote von 0,71 %. Für 2016 ergeben sich deutschlandweit 2.567 Anträge und 23 Ablehnungen, was in einer Ablehnungsquote von 0,9 % resultiert. Von den im Jahr 2017 insgesamt 1.995 gestellten Anträgen wurden 12 bzw. 0,6 % abgelehnt. Die Bandbreite der Ablehnungsquote im Durchschnitt der drei zugrundeliegenden Jahre reicht in den einzelnen Bundesländern von 0 % bis 3,32 %. 

Mögliche Gründe für die geringe Ablehnungsquote

Die insgesamt geringe Zahl abgelehnter Tierversuche durchgehend in allen Bundesländern zeigt, dass die Ablehnung eines beantragten Tierversuchs eine marginale Rolle spielt. Aus den Ablehnungsquoten, die im bundesweiten Durchschnitt unter 1 % liegen, ergibt sich folglich, dass über 99 % aller Tierversuche das Genehmigungsprozedere erfolgreich passieren, letztlich also kaum ein Tierversuch abgelehnt wird. Die Gründe hierfür können sicher vielfältiger Natur sein. Ein Hauptgrund dafür, dass Tierversuche, von einzelnen Ausnahmen abgesehen, genehmigt werden, kann in der großzügigen Zweckbestimmung liegen, die das deutsche Tierschutzgesetz als Berechtigung für Tierversuche bietet. So lässt sich letztlich nahezu jeder Tierversuch mit einem der dort definierten Zwecke begründen.

Dies und die Einschränkung der behördlichen Prüfkompetenz auf eine bloße Plausibilitätskontrolle bietet den Genehmigungsbehörden eine eingeschränkte Handhabe, einen Tierversuch abzulehnen, wodurch in der Praxis die Genehmigung zur Formsache wird. Das deutsche Tierschutzrecht erlaubt den Behörden nämlich lediglich zu prüfen, ob der Experimentator sein Versuchsvorhaben wissenschaftlich begründet hat. Das widerspricht EU-Recht, demzufolge das Amt eine Abwägung zwischen dem Leid der Tiere auf der einen Seite und dem postulierten ‚Nutzen‘ auf der anderen Seite vornehmen soll. Durch eine solche Abwägung würden zumindest besonders absurde Versuchsanordnungen abgelehnt werden können.

08.08.2019
Dipl. - Biol. Silke Strittmatter

Weitere Infos

Strittmatter S.: Applications for animal experiments are rarely rejected in Germany. ALTEX 2019; 36(3): 470-471 (PDF)

 

Quellen 

(1) Tierschutzgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 18. Mai 2006 (BGBl. I S. 1206, 1313), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 17. Dezember 2018 (BGBl. I S. 2586) geändert worden ist
(2) Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 20. Januar 2014 - BVerwG 3 B 29.13
(3) Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Rosi Steinberger BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 19.11.2015, Tierversuche in Bayern (Drucksache 17/10464 vom 30.03.2016)
(4) Zehntausende von Mäusen für Tierversuche freigegeben. Merkur vom 10.8.2018
(5) Kleine Anfrage der Abg. Ursula Hammann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) vom 23.11.2015 betreffend Ablehnung von Tierversuchsanträgen und Antwort der Ministerin für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (Drucksache 19/2691 vom 14.1.2016)
(6) Kleine Anfrage der Abg. Ursula Hammann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) vom 18.05.2015 betreffend Tierversuche in Forschungseinrichtungen der Wirtschaft in Hessen für das Jahr 2014 und Antwort der Ministerin für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (Drucksache 19/1977 vom 31.07.2015)
(7) Kleine Anfrage der Abg. Hammann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) vom 09.03.2017 betreffend Tierversuche in Forschungseinrichtungen der Wirtschaft in Hessen für die Jahre 2015 bis 2016 - Teil II und Antwort der Ministerin für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (Drucksache 19/4646 vom 15.05.2017)
(8) Anfrage der Abgeordneten Hermann Grupe und Almuth von Below-Neufeldt (FDP), eingegangen am 15.05.2013 (Drucksache 17/396 vom 18.07.2013)
(9) Auf der Suche nach Alternativen: Niedersachsen will die Zahl der Tierversuche reduzieren. Sendung Länderzeit, Deutschlandfunk vom 10.5.2017 

06.08.2019
Dipl. Biol. Silke Strittmatter