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Deutschland bleibt ambitionslos

Die US-amerikanische Gesundheitsbehörde National Institutes of Health (NIH) hat eine wegweisende Initiative vorgestellt, die auf eine verstärkte Förderung humanrelevanter Forschungsmethoden abzielt und gleichzeitig den Einsatz von Tierversuchen deutlich reduzieren soll (1). Die Maßnahme steht im Einklang mit der kürzlich veröffentlichten Roadmap der US-Arzneimittelbehörde FDA zur Minimierung von Tierversuchen in der Medikamentenentwicklung (2). Der bundesweite Verein Ärzte gegen Tierversuche begrüßt diesen Schritt und fürchtet, dass in Deutschland der politische Wille fehlt, mit den internationalen Entwicklungen Schritt zu halten.

Die NIH, eine der bedeutendsten biomedizinischen Forschungseinrichtungen weltweit, richten ihre Förderpraxis neu aus: Zukünftig werden innovative, auf den Menschen ausgerichtete Verfahren wie Organoide, Multi-Organ-Chips und computergestützte Modelle bevorzugt gefördert. Gleichzeitig wird die Anzahl von Tierversuchen reduziert. Ziel ist es, die Forschung effizienter und ethischer zu gestalten. Dazu wird ein eigenes Büro für Forschungsinnovation, Validierung und Anwendung eingerichtet, das die Umsetzung der neuen Strategie koordinieren wird.

„Dieser menschenzentrierte Ansatz wird Innovationen beschleunigen, die Gesundheitsversorgung verbessern und lebensverändernde Behandlungen ermöglichen“, sagt NIH-Direktor Dr. Jay Bhattacharya zu der Initiative, von der er sich eine „neue Ära der Innovation“ verspricht (1). Auch die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA verfolgt diesen Paradigmenwechsel konsequent: So sollen Tierversuche bei der Entwicklung therapeutischer Antikörper und weiterer Medikamente durch präzisere und für den Menschen relevantere Methoden ersetzt werden (2).

Während in den USA Forschung und Regulierungsbehörden gemeinsam das Ziel verfolgen, Tierversuche zu reduzieren, herrscht in Deutschland Stillstand. Eine von der scheidenden Bundesregierung angekündigte nationale Reduktionsstrategie wurde bis zuletzt für den 24. April angekündigt. Die Veröffentlichung der Strategie wurde jedoch offenbar kurzfristig und ohne offizielle Erklärung abgesagt (3). Gleichzeitig wehren sich Teile der wissenschaftlichen Gemeinschaft gegen Neuerungen und versuchen am Status Quo von Tierversuchen festzuhalten (4).

„In den USA sehen wir ein klares politisches und wissenschaftliches Bekenntnis zur tierversuchsfreien Forschung. Deutschland hingegen verspielt seine Chancen – durch Intransparenz, fehlende Umsetzungskraft und mangelnden politischen Willen“, kritisiert Dr. Johanna Walter, wissenschaftliche Referentin bei Ärzte gegen Tierversuche.

Ein weiteres Signal in diese Richtung ist der Tierschutzforschungspreis des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL). Der Preis sollte in drei Kategorien Preisgelder in einer Gesamthöhe von bis zu 220.000 € vergeben. Verliehen wurden am 22. April allerdings nur zwei Preise an internationale Forscher. Ausgerechnet die mit bis zu 100.000 € dotierte Auszeichnung für den nationalen wissenschaftlichen Nachwuchs wurde nicht vergeben. Laut Staatssekretärin Dr. Ophelia Nick habe es keinen geeigneten Kandidaten gegeben (5).

Offensichtlich wurde es versäumt, die Ausschreibung so zu gestalten, dass überhaupt genug Nominierungen eingingen (6). „Die Bf3R-Kommission empfahl bereits im Oktober 2024 eine Verbesserung der Kommunikation der Ziele des Preises und des Nominierungsprozesses (7). Nachgebessert wurde offensichtlich nicht – oder nur unzureichend“, kritisiert Walter. „Dass ein erheblicher Teil des Preisgeldes nun ungenutzt bleibt, ist angesichts der chronischen Unterfinanzierung humanrelevanter Forschung besonders bedauerlich.“ Dass es in Deutschland durchaus genug exzellente Forscher gibt, die tierfreie Verfahren entwickeln, weiß der Verein aus erster Hand. So vergibt Ärzte gegen Tierversuche alle 2 Jahre den mit 20.000 € dotierten Herbert-Stiller-Preis für tierversuchsfreie Forschungsprojekte und muss dabei unter einer Vielzahl hervorragender Bewerber entscheiden (8).

ÄgT sieht Deutschland mit seiner zögerlichen Haltung international zunehmend isoliert. Die USA unternehmen konkrete Schritte hin zu einer tierversuchsfreien Forschung, wobei neben FDA und NIH auch die US-Umweltbehörde EPA die Reduzierung von Tierversuchen vorsieht (9). Die EU arbeitet an einer Roadmap zur Abschaffung von Tierversuchen in der Chemikalientestung (10). Auch in Australien gibt es fortgeschrittene Strategien zum Umstieg auf tierversuchsfreie Innovation (11). Ob Deutschland es sich leisten kann, diese Entwicklungen zu ignorieren, ist fraglich. Wer an überholten Methoden festhält, riskiert, dass Innovationen und Wettbewerbsvorteile künftig aus anderen Ländern kommen – zum Nachteil der deutschen Wissenschaft und Industrie.

Wenn Deutschland international mithalten und eine Führungsrolle bei der Entwicklung zukunftsfähiger Technologien einnehmen will, ist ein klarer politischer Kurswechsel notwendig: mehr Förderung für tierversuchsfreie Verfahren, eine verbindliche Ausstiegsstrategie und transparente Ausschreibungsprozesse.

Quellen:

(1) NIH to prioritize human-based research technologies, National Institutes of health, 29.04.2025 >> 

(2) USA streben Arzneimitteltestung ohne Tierversuche an, Ärzte gegen Tierversuche, 24.04.2025 >> 

(3) Martin Rücker: Nach Protesten: Geplante Reduktionsstrategie für Tierversuche ist gescheitert, Riffreporter, 24.04.2025 >> 

(4) Fragwürdige Pro-Tierversuchskampagne geplant, Ärzte gegen Tierversuche, 15.04.2025 >> 

(5) Verleihung des Tierschutzforschungspreis 2025, BMEL (ab 1 h 13 min) >> 

(6) Berlin: Bundesforschungspreis und Tierschutzpreis gehen an zwei internationale Wissenschaftler, InVitro+Jobs, 23.04.2025 >> 

(7) Ergebnisprotokoll der 14. Sitzung der Bf3R-Kommission, Bf3R, 11.10.2024 >> 

(8) Herbert-Stiller-Förderpreis 2025 – Ausschreibung, Ärzte gegen Tierversuche >> 

(9) US-Umweltbehörde kippt Stichtage zum Verbot von Tierversuchen, Ärzte gegen Tierversuche, 18.01.2024 >> 

(10) EU-Fahrplan zum Ausstieg aus Tierversuchen in der Chemikalientestung, Ärzte gegen Tierversuche 17.10.2024 >> 

(11) Australien setzt auf eine Zukunft ohne Tierversuche, Ärzte gegen Tierversuche, 14.04.2025 >>