Deutschland erlaubt von der EU verbotene Tierversuche
- Gemeinsame Pressemitteilung
Landwirtschaftsminister Schmidt sieht keinen Handlungsbedarf
Mäuse werden in Deutschland Elektroschocks ausgesetzt oder bis zur Erschöpfung zum Schwimmen gezwungen, obwohl die EU ein Verbot besonders leidvoller Tierversuche vorsieht. Ungeachtet bereits mehrerer Gutachten namhafter Juristen, die einen klaren Verstoß Deutschlands gegen Unionsrecht konstatieren, sieht das Ministerium von Bundesminister Schmidt keinen Handlungsbedarf. Einen angefragten Gesprächstermin zur Übergabe von mehr als 100.000 Unterschriften mit den bundesweiten Vereinen Ärzte gegen Tierversuche, Bund gegen Missbrauch der Tiere und TASSO beantwortete Schmidt abschlägig.
Die EU-Tierversuchsrichtlinie verbietet Tierversuche, die „starke Schmerzen, schwere Leiden oder schwere Ängste verursachen, die voraussichtlich lang anhalten und nicht gelindert werden können“ und beabsichtigt damit eine Schmerz-Leidens-Obergrenze einzuführen, ab der ein Tierversuch nicht mehr genehmigungsfähig ist. Die EU ermöglicht den Mitgliedstaaten zwar Ausnahmen hiervon zuzulassen, jedoch nur unter sehr strengen Voraussetzungen. In Deutschland allerdings gelten für solche Tierversuche keine besonderen Einschränkungen. Selbst ganz besonders leidvolle Tierversuche, die über die von der EU geforderte Schmerzgrenze hinausgehen, sind grundsätzlich erlaubt.
Die drei Vereine haben vor wenigen Monaten eine Kampagne gestartet, die ein Verbot besonders leidvoller Tierversuche und zumindest eine korrekte Umsetzung der EU-Vorgaben einfordert. In ihrem Schreiben an Minister Schmidt führten die Vereine zwei Gutachten renommierter Rechtsexperten* ins Feld, die unmissverständlich zu dem Ergebnis kommen, dass Deutschland in diesem und zahlreichen weiteren Punkten eklatant gegen EU-Recht verstößt und den seit 2002 im Grundgesetz verankerten Tierschutz missachtet. Zudem hat der Ärzteverein Beschwerde bei der EU eingelegt, da Deutschland gegen Unionsrecht verstößt.
„In einem Land, in dem der Tierschutz im Grundgesetz steht und der Großteil der Bürger Tierversuche ablehnt und sich für eine deutliche Stärkung des Tierschutzes ausspricht, darf nicht hingenommen werden, dass sogar gegen die minimalen Verbesserungen, die die EU vorgibt, verstoßen wird“, appellierten die Vereine an den Minister und baten um einen Gesprächstermin, um Lösungsmöglichkeiten zu erläutern. Sie bezeichnen es als nicht nachvollziehbar, dass das Ministerium den belegten Rechtsbruch in seiner Antwort lapidar als rechtskonforme Umsetzung postuliert und einen Termin mit gleich drei namhaften, bundesweit etablierten Organisationen ablehnt.
Nach Aussage von Ärzte gegen Tierversuche e.V., Bund gegen Missbrauch der Tiere e.V. und TASSO e.V. ignoriert Bundesminister Schmidt damit auch den Willen von über 100.000 Bürgern, die innerhalb von nur drei Monaten die Forderung nach einem Verbot besonders leidvoller Tierversuche mit ihrer Unterschrift unterstützt haben.
Die Vereine haben zahlreiche Beispiele von Tierversuchen aus deutschen Laboren enthüllt und publik gemacht, die bei korrekter Umsetzung der EU-Richtlinie verboten sein müssten. Beispielsweise wurden an der Universität Bonn Mäuse wochenlang Stressversuchen ausgesetzt, die ein Verhalten ähnlich einer Depression hervorrufen sollen: Die Tiere wurden fixiert, Lichtblitzen sowie Nahrungs- und Wasserentzug ausgesetzt. Vor, während und nach der Stressperiode wurde der „forcierte Schwimmtest“ durchgeführt, bei dem eine Maus in einen mit Wasser gefüllten Behälter gesetzt wird, aus dem es kein Entkommen gibt. Mäuse, die früh aufhören zu schwimmen, gelten als depressiv.
Seit Novellierung der Tierversuchsregelungen in der EU 2010 müssen beantragte Tierversuche in vier Schweregrade eingeteilt werden. Neben dem erzwungenen Schwimmen und Zufügen von Elektroschocks, denen das Tier nicht entgehen kann, sind weitere Beispiele des Schweregrads „schwer“: Tod durch Abstoßung von Organen nach Transplantationen, Versagen mehrerer Organe, Tod durch Vergiftung, metastasierende Tumore oder nicht stabilisierte Knochenbrüche.
Fotos „forcierter Schwimmtest“ zur freien Verwendung (Quelle: Ärzte gegen Tierversuche e.V.): www.schwimmen-bis-zur-verzweiflung.de/fotos
* Gutachten vom 18.1.2016 von Dr. Christoph Maisack, Mit-Autor Kommentar Tierschutzgesetz, zu der Frage, ob und ggf. welche Bestimmungen der Richtlinie 2010/63/EU (EU-Tierversuchs-Richtlinie) durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Tierschutzgesetzes und die Tierschutz-Versuchstierverordnung nicht oder nicht ausreichend in deutsches Recht umgesetzt worden sind.
Rechtsgutachten vom 25. April 2012 von Prof. Dr. iur. Anne Peters, LL.M., Ordinaria für Völker- und Staatsrecht an der Universität Basel, zu verschiedenen Fragen im Zusammenhang mit der EU-Tierversuchsrichtlinie insb. zur Unionsrechts- und Verfassungskonformität des Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Tierschutzgesetzes sowie des Entwurfs einer Verordnung zur Umsetzung der Richtlinie 2010/63/EU