Medizinischer Fortschritt ist wichtig - Tierversuche sind der falsche Weg!
15. September 2015
Das Versagen des Tierversuchs ist heute noch größer als vor 10 Jahren
Tierversuche dienen angeblich dazu, unsere Medikamente wirksam und sicher zu machen – so zumindest die gängige Rechtfertigung. Tatsächlich fallen 95% der im Tierversuch für sicher und wirksam befundenen Arzneien durch, wenn sie am Menschen getestet werden. Nach den Tierversuchen, die sich üblicherweise über viele Jahre erstrecken, erfolgen die so genannten klinischen Studien am Menschen. Hier zeigt sich, dass beim Menschen nicht funktioniert, was bei Maus, Ratte und Co. „erfolgreich“ war.
Aktuelle Publikationen belegen, dass der Tierversuch in der Übertragung auf den Menschen heute sogar noch stärker versagt als vor 10 Jahren:
- Eine Studie aus 2014 zeigt, dass von 4.451 Medikamenten, die zwischen 2003 und 2011 von 835 Firmen entwickelt wurden, nur 7,5 % auf den Markt kamen. D.h. 92,5 % kamen nicht durch die klinische Prüfung am Menschen. Als besonders schlecht erwiesen sich Medikamente zur Behandlung von Krebs, Herzleiden und psychischen Erkrankungen. (1)
- Eine Studie aus 2012 von zwischen 2006 und 2008 gesammelten Daten von 14 Arzneimittelherstellern offenbart, dass 95 % der neuen Medikamente beim Test am Menschen (klinische Prüfung) versagen und nicht zugelassen werden. (2)
- Eine weitere Auswertung aus 2012, die Daten von 13 großen Arzneimittelherstellern aus den Jahren 2007 bis 2011 unter die Lupe nimmt, kommt ebenfalls zu einer Durchfallquote von 95 %. (3)
Damit wird eine zentrale Studie aus dem Jahr 2004 von der amerikanischen Arzneimittelbehörde (FDA), die per se keine Tierschutzinteressen vertritt, nicht nur bestätigt, sondern die Fakten alarmieren noch stärker hinsichtlich des Versagens des Tierversuchs. So kam die FDA bereits 2004 zu dem Ergebnis, dass 92 % aller im Tierversuch erfolgreich getesteten Wirkstoffkandidaten nicht durch die klinische Studie, in der diese erstmals am Menschen erprobt werden, kommen. Sie wirken gar nicht, anders und richten sogar häufig Schaden an. (4)
Dass trotz zunehmender tierexperimenteller Forschung sich noch mehr Substanzen als Niete erweisen, zeigt, dass auch noch so viele Tierversuche unsere Medikamente nicht sicher und wirksam machen. Im Gegenteil: Unsere Ärztevereinigung warnt schon lange vor der mangelhaften Übertragbarkeit von Tierversuchsergebnissen auf den Menschen. Denn zahlreiche weitere wissenschaftliche Studien zeigen auf, dass der Tierversuch ein reines Glückspiel und damit ein unkalkulierbares Risiko für Patienten ist – oft mit schwerwiegenden oder gar tödlichen Folgen.
Die Durchfallrate bei neuen Wirkstoffen für sich genommen ist schon höchst alarmierend. Zusätzlich berücksichtigen muss man, dass zwischen 20 und 50 % der Medikamente, die es auf den Markt schaffen, wieder zurückgerufen oder mit Warnhinweisen versehen werden müssen, da sie beim Menschen Nebenwirkungen hervorrufen, die im Tierversuch nicht erkannt wurden. (5, 6) Und ganz zu schweigen von den potentiell nützlichen Medikamenten, die dem Patienten vorenthalten bleiben, weil sie fälschlicherweise im Tierversuch aussortiert wurden. Unser Ärzteverein sieht daher die Notwendigkeit des Ausstiegs aus dem Tierversuch im Sinne einer effektiven und sicheren Medizin sowie aus ethischen Gründen erneut für dringend geboten.
Quellen
(1) Clinical development success rates for investigational drugs. (2014). Nature Biotechnology 2014 (32): 1; 40-51.
(2) Arrowsmith, J.: A decade of change. Nature Reviews Drug Discovery 2012: (11); 17-18.
(3) KMR Group Inc.: Annual R&D General Metrics Study Highlights New Success Rate and Cycle Time Data CHICAGO, Illinois, 8. August 2012
(4) U.S. Food and Drug Administration Report: Innovation or Stagnation - Challenge and Opportunity on the Critical Path to New Medical Products, 2004
(5) Lexchin J.: New Drugs and Safety: What Happened to New Active Substances Approved in Canada Between 1995 and 2010? Arch Intern Med. 2012: 172(21); 1680-1681
(6) U.S. General Accounting Office. FDA Drug Review: Postapproval Risks 1976-1985. Publication GAO/PEMD-90-15, Washington, D.C., 1990
21. September 2015
Nach Ansicht der Autoren einer im Jahr 2010 in der Zeitschrift PlosMedicine veröffentlichten Studie bleibt der Nutzen von Tierversuchen für die Vorhersage therapeutischer Möglichkeiten in der Klinik umstritten. Obwohl Tierversuche zur Aufklärung von Krankheitsmechanismen beigetragen hätten, versagten Behandlungserfolge aus Tierversuchen bei der Übertragung auf den Menschen. Eine Auswertung von rund 900 als hochrangig geltenden Publikationen ergab, dass bei nur rund einem Drittel eine mögliche klinische Relevanz gegeben ist und nur bei 10 % eine klinische Anwendung erfolgt, 90 % also nutzlos in der Übertragung auf den Menschen sind. So versagten unter anderem potentielle Therapien in den Bereichen Schlaganfall, Bauchspeicheldrüsenentzündung oder Herzinfarkt in der Anwendung beim Menschen. Beim Schlaganfall etwa zeigten sich rund 500 Medikamente im Tierversuch als vielversprechend, beim Patienten dagegen blieben nur zwei übrig (Anmerkung: darunter Aspirin, welches ohne Tierversuche entwickelt und erst im Nachhinein an Tieren getestet wurde).
Nach Ansicht der Autoren kann diese mangelhafte Übertragbarkeit zum Teil durch methodische Fehler, aber auch aufgrund von erheblichen, meist Krankheits-spezifischen Unterschieden zwischen dem „Tiermodell“ und der darauf folgenden klinischen Studie am Menschen erklärt werden. Eine verzerrte, zu positive Darstellung der Datenlage könne ebenfalls verantwortlich sein und wahrscheinlich auch in anderen Krankheitsmodellen eine Rolle spielen (Publikationsbias). Eine systematische Durchsicht der Tierstudien (Meta-Analyse) könnte nach Ansicht der Autoren helfen, um eventuell vielversprechende Ansätze für die Klinik herauszufiltern. Weiter geben die Autoren Empfehlungen, welche Punkte einer Tierstudie im Ergebnisprotokoll besser beschrieben sein sollten. An dieser Stelle möchten wir einräumen, dass unserer Meinung nach das „Tiermodell“ generell nicht zuverlässig ist und das Bestreben eher dahin gehen sollte, tierversuchsfreie Methoden weiter zu fördern!
Gründe für die mangelnde Übertragbarkeit
Zu einem gewissen Teil könne dies mit Ausführungsmängeln klinischer Studien erklärt werden, was zu einer geringen statistischen Aussagekraft führe. Unzureichende Daten und eine zu optimistische Interpretation der Ergebnisse aus Tierversuchen seien weitere Gründe für eine fehlende Übertragbarkeit (Internal validity). Das Fehlen einer „externen“ Gültigkeit bzw. die Tatsache, dass „Tiermodelle“ die entsprechende Krankheit im Menschen nur mangelhaft widerspiegeln (External validity), trage ebenfalls dazu bei. Außerdem würden neutrale oder negative Ergebnisse aus Tierstudien oft nicht veröffentlicht, im Gegensatz zu negativen Ergebnissen aus klinischen Studien. Dies erwecke den Eindruck, dass die Tierversuche öfter positiv sind als die entsprechenden Studien am Menschen.
Verbesserungsstrategien
Folgende Aspekte sollten nach Ansicht der Autoren bei der Durchführung von Tierstudien besser berücksichtigt und dokumentiert werden, um die Übertragung in die Klinik zu optimieren. Die Anzahl der Tiere pro Versuchsgruppe, die Auswahlkriterien, der Ausschluss einzelner Tiere, das Verblinden der Durchführung, die Überwachung physiologischer Parameter, die Kontrolle der Versuchsdurchführung wie auch die Anwendung statistischer Methoden. Diese Strategien berücksichtigen aber leider in keiner Weise die völlig sterilen, nicht artgerechten Haltungsbedingungen der „Versuchstiere“ sowie die Tatsache, dass Tier und Mensch z.B. ganz unterschiedlich auf ein und dieselbe Substanz reagieren. Unserer Meinung nach ist schon deshalb mit Tierversuchen kein klinisch aussagekräftiges Ergebnis zu erzielen.
Fünf wegweisende Veröffentlichungen
Nach Angaben der Autoren gäbe es fünf Studien, welche die Problematik der Übertragbarkeit von Tierversuchen deutlich machen. Die Veröffentlichung von Hackam im Jahr 2006 zeigte, dass nur etwa ein Drittel der hochrangig publizierten Tierversuchsergebnisse zu klinischen Studien, d.h. zu Tests am Menschen, führt (Anmerkung: Anderen Untersuchungen zufolge erweisen sich in der klinischen Phase 92-95 % der „erfolgreich“ im Tierversuche getesteten Wirkstoffkandidaten als nicht erfolgreich beim Menschen). Sena fordert im Jahr 2007 Minimalstandards für präklinische Tierversuche und Dirksen diskutierte über die Diskrepanz zwischen vielversprechenden präklinischen Daten aus Tierversuchen und enttäuschenden Ergebnissen entsprechender klinischer Studien am Menschen. Scott postulierte 2008, dass Behandlungseffekte im Fall der Krankheit ALS (Amyotrophe Lateralsklerose) eher unspezifisch sind als tatsächlich durch die verwendeten Wirkstoffe hervorgerufen. Weiter veröffentlichte Sena 2010 die erste Studie über den Einfluss einer verzerrten Darstellung der Daten aus Tierversuchen (Publikationsbias), was natürlich zu falschen Interpretationen führe.
Quelle
Van der Worp, B. H., Howells, D.W., Sena, E.S., Porritt, M.J., Rewell, S., O`Collins, V. and Macleod, M.R.: Can Animal Models of Disease Reliably Inform Human Studies? PlosMedicine 2010: 7; e10000245
9. Dezember 2015
Aus einem 2014 in dem Fachjournal Drug Discovery Today veröffentlichten Artikel geht hervor, dass in der Alzheimer-Forschung seit Jahrzehnten an der "Alzheimer-Maus" festgehalten wird, obwohl diese sog. Tiermodelle teuer, zeitaufwändig und schlecht reproduzierbar sind und obwohl hunderte von neuen Therapiemethoden, die im Tierversuch vielversprechend waren, in klinischen Studien jedes Mal versagt haben. Wie auch andere "Tiermodelle "ist die "Alzheimer-Maus" nie wissenschaftlich evaluiert worden und trotzdem wird einfach angenommen, die Ergebnisse aus dem Tierversuch seien direkt übertragbar auf den Menschen. Trotz jahrzehntelanger tierexperimenteller Forschung gibt es bisher weder genaue Erkenntnisse über die Pathophysiologie der Erkrankung noch Medikamente, die eine Alzheimer-Demenz heilen oder zumindest in ihrem Verlauf verlangsamen können. Ebenso ineffektiv sind Tierversuche auch bei anderen Erkrankungen wie Schlaganfall, Asthma, Amyotrophe Lateralsklerose, Entzündungen oder Chorea Huntington. Dennoch verlässt sich die Forschung nach wie vor auf Tierversuche und "-modelle". Doch längst gibt es fortschrittliche, verlässliche, sichere und reproduzierbare Methoden, die die Alzheimer-Forschung ohne Tierversuche wesentlich voranbringen könnten.
Die Autorin Langley belegt, dass die standardmäßig an der Maus praktizierten Alzheimer-Versuche medizinisch vollkommen erfolglos sind und die wesentlichen Erkenntnisse und Therapiemöglichkeiten ohne Tierversuche errungen wurden. Auch gibt sie einen Überblick über diese tierversuchsfreien Methoden und zeigt deren vielversprechendes Potenzial auf.
Transgene Alzheimer-Maus ungeeignet
Die mit Abstand am häufigsten in den letzten 15 Jahren für die Alzheimer-Forschung verwendeten Tiere sind transgene Mäuse (Tg-Mäuse), d.h. Mäuse, in die menschliches Erbgut eingebracht wurde. Typisch für eine Alzheimer-Erkrankung sind Ablagerungen von Plaques bzw. Neurofibrillen im Hirn. Zwar entwickeln einige Mäuse diese Ablagerungen, jedoch gibt es kein einziges "Tiermodell", bei dem sich eine Alzheimer-Demenz, so wie sie beim Menschen vorkommt, vollständig ausprägt. Zudem sind die Ergebnisse der Tierversuche art- und zuchtabhängig, d.h. je nachdem mit welcher Tierart oder welcher Mäuse- (oder Ratten)züchtung die Versuche durchgeführt werden, sind die Symptome und Hirnveränderungen unterschiedlich.
Während beim Menschen hauptsächlich die sporadische (also nicht erbliche) Alzheimer-Demenz vorkommt, wird bei den Maus"modellen" die familiäre (erbliche) Alzheimer-Demenz erzeugt. Diese betrifft jedoch lediglich 5% aller Demenzpatienten und ist hier assoziiert mit Mutationen im APP-Gen (Amyloid-Precursor-Protein) bzw. in den Präsenilin-Genen 1 und 2. Bei Mäusen führt keine einzige dieser Mutationen allein oder in Kombination zum vollen Spektrum einer Alzheimer-Erkrankung. Beispielsweise entwickeln Mäuse mit einer APP-Mutation keine kognitiven oder Verhaltensdefizite, die denen einer Alzheimer-Demenz beim Menschen nahekommen. Anders verhält es sich mit den sog. Tau-Proteinen, die einige Tg-Mäuse zwar produzieren, jedoch sind diese Tau-Proteine wie sie Mäuse ausbilden, wiederum beim Menschen mit keiner einzigen Form von Alzheimer assoziiert. Bei der sporadischen Form von Alzheimer-Demenz spielen genetische Varianten im sog. ApoE-Gen eine Rolle, die ausschließlich beim Menschen vorkommen. Um diese Varianten trotzdem bei anderen Lebewesen, wie der Maus, zu erzeugen, sind hochkomplexe genetische Manipulationen nötig, die unvorhersehbare Störfaktoren in die Forschung einbringen können.
Einer der Hauptgründe für das Versagen der Alzheimer-Forschung mit Mäusen und anderen Tieren sind die unüberwindbaren artspezifischen Unterschiede. Nager und Menschen haben sich im Lauf der Evolution bereits vor 65 bis 85 Millionen Jahren auseinanderentwickelt. Entsprechend groß sind artspezifische Unterschiede in Genetik, Pharmakologie, Stoffwechsel, Biochemie, Physiologie und nicht zuletzt Lebenserwartung.
Mehr als 300 Therapiemethoden sind bisher an der "Alzheimer-Maus" und anderen Tieren getestet worden, trotzdem ist daraus auch nach jahrzehntelanger Forschung kein einziges Medikament o.ä. entstanden, das die Erkrankung heilen oder aufhalten kann. Im Gegenteil, die jetzt auf dem Markt erhältlichen Demenzmedikamente sind nicht im Tierversuch entwickelt oder entdeckt worden. Die Verbindung zwischen zu geringen Acetylcholinkonzentrationen (ein Botenstoff) im Hirn und Demenz wurde in den 70er und 80er Jahren durch Analysen an postmortalem Hirngewebe aufgezeigt. Aus dieser Erkenntnis heraus entwickelte man Medikamente, die den Acetylcholinspiegel im Hirn anheben (sog. Cholinesterasehemmer). Und auch wenn diese Medikamente Alzheimer-Demenz nicht heilen können und nur wenige Patienten davon profitieren, so stellten sie doch einen ersten Therapieansatz dar. Seit schließlich vor mehr als zehn Jahren Memantin, ein Medikament, das an einem anderen Botenstoff im Hirn, dem Glutamat ansetzt, entwickelt wurde, sind keine weiteren neuen Arzneimittel mehr auf den Markt gekommen.
Versuche mit transgenen Mäusen können die Wirksamkeit eines neuen Medikamentes nicht (sicher) vorhersagen und somit auch nicht die eventuellen Nebenwirkungen, die diese Medikamente haben könnten. So mussten klinische Studien mit Alzheimer-Patienten abgebrochen werden, weil die Patienten unvorhergesehen zum Beispiel eine Entzündung von Hirn und Hirnhäuten (sog. autoimmune Meningoenzephalitis im Falle des Arzneimittels "AN1792") entwickelten oder sich die Alzheimer-Symptome unter Medikamentengabe sogar verschlimmerten (wie bei "Semagacestat"). Ob ein neues Medikament Alzheimer-Symptome beeinflusst, kann durch Tierversuche nicht vorhergesagt werden.
Die transgene Alzheimer-Maus erweist sich als ungeeignet zur Erforschung der menschlichen Erkrankung und ist, wie auch "Tiermodelle" für andere menschliche Erkrankungen, niemals systematisch evaluiert worden, obwohl von verschiedener Seite empfohlen wird, vor (!) der Durchführung klinischer Studien die klinische Relevanz der präklinischen Versuche (d.h. in aller Regel Tierversuche) z.B. durch systematische Reviews (Übersichtsarbeiten, die zahlreiche Studien systematisch in einen Kontext bringen und zusammenzufassen) zu überprüfen. Zum Zeitpunkt der hier vorliegenden Studie (Veröffentlichung 2011) ist kein einziges systematisches Review über die Vorhersagevalidität der transgenen "Alzheimer-Maus" publiziert worden. Das heißt ihre Validität ist nach wie vor unbewiesen und die Gefährdung von freiwilligen Probanden und Alzheimer-Patienten in klinischen Studien, die auf der Basis dieser Tierversuche durchgeführt werden, wird in Kauf genommen.
Forschung mit menschlichen Zellen
In den letzten Jahren gab es große Fortschritte beim Einsatz menschlicher Zellen für die medizinische Forschung. Im Fokus stehen insbesondere sog. humane induzierte pluripotente Stammzellen (hiPSC), d.h. Zellen, die noch „unreif“ sind und somit umprogrammiert werden können in Nervenzellen (oder je nach Erkrankung in Leber-, Nieren, Muskelzellen etc.). Aus ihnen können zum Beispiel Gewebs- und Krankheitsmodelle konstruiert werden (sog. Tissue Engineering), durch die Einblicke in die Entstehung und den Verlauf von Alzheimer-Demenz und die Rolle verschiedener Nervenzelltypen gewonnen werden können. Mit Stammzellen können Arzneimittel-Screenings durchgeführt und die Reaktion des menschlichen Organismus auf diese Arzneimittel überprüft werden.
Die Forschung mit Stammzellen und menschlichem Gewebe liefert schneller und kostengünstiger patientenrelevante Daten zu Wirksamkeit und möglicher Toxizität neuer Arzneimittel. In Zukunft wäre ein direkter Übergang vom Reagenzglas in klinische Studien möglich, ohne den Umweg über Tierversuche. Mit Zellen und Gewebe können innerhalb kurzer Zeit zahlreiche Medikamente in verschiedenen Dosierungen überprüft werden, was erheblich kostengünstiger wäre als Tierversuche. Zudem kann dadurch das Risiko eines Versagens vielversprechender Arzneimittel im klinischen Versuch minimiert werden.
Forschung an menschlichem Gewebe Verstorbener
Die ersten Alzheimer-Medikamente sind ein Verdienst der Forschung mit dem Gewebe verstorbener Patienten. Dennoch gab es seitdem kaum weitere Forschungen in dieser Richtung, und das obwohl mittlerweile die verfügbaren Gewebsproben von wesentlich besserer Qualität sind als noch in den 70er Jahren und eine Aufschlüsselung der Erbinformation und damit die Identifizierung möglicher krankheitsauslösender Gene heutzutage viel schneller und genauer möglich ist.
Bildgebung
Die Bildgebung verbessert sich stetig. Mittels MRT kann man heute zum Beispiel die Ablagerungen im Hirn eines Alzheimer-Patienten sowie den Verlust an Hirngewebe direkt am Patienten darstellen. Etwas, das früher nur am Gewebe Verstorbener möglich war. Dadurch kann frühzeitig eine Diagnose gestellt und mit der Therapie begonnen werden.
Mit Hilfe der MR-Spektroskopie können Botenstoffe im Hirn identifiziert werden. Daraus ergeben sich Erkenntnisse über den Energiestoffwechsel oder entzündliche Prozesse im Hirn, den Zustand von Nerven- und Gewebszellen oder über die Veränderung der Botenstoffe unter dem Einfluss von Medikamenten.
Die Positronen-Emissions-Tomografie (PET) liefert Informationen über die Verteilung der Plaques im Hirn und damit über den Verlauf einer Alzheimer-Erkrankung.
Das Human Connectome Project nutzt die MRT-Bilder von hunderten Menschen, um eine detaillierte Karte, eine Art Schaltkreis, des menschlichen Hirns zu erstellen. Weiterhin beschäftigt sich das Projekt mit genetischen und Umweltfaktoren, die Einfluss auf das Nervensystem haben könnten und schloss dazu mehr als 300 Zwillingspaare in ihre Studien mit ein. Die Folge ist eine Vielzahl von Daten, die wiederum von anderen Forschungsgruppen genutzt und erweitert werden kann.
Genomweite Assoziationsstudien (GWAS)
Bei vielen Erkrankungen werden Mutationen als (Mit-)Ursache vermutet. Um die entsprechenden Gene zu identifizieren werden genomweite Assoziationsstudien durchgeführt. Hierbei wird die Erbinformation "gesunder" Probanden mit der von Patienten verglichen. Dadurch konnten bereits neun neue Gene identifiziert werden, die mit der sporadischen, also häufigsten, Form der Alzheimer-Demenz assoziiert sind. Da diese Gene u.a. auch das Immunsystem und den Fettstoffwechsel beeinflussen, können sich daraus neue Forschungsansätze oder Therapiemöglichkeiten ergeben. Die deCODE Iceland Study entdeckte eine spezielle Mutation im APP-Gen, die gegen Alzheimer-Demenz schützt, und fand damit die erste schützende Genvariante.
AlzPathway erstellte auf der Basis von über 100 Publikationen mittels eines Computerprogramms eine Art Karte, in der alle bekannten Signalwege, die bei der Alzheimer-Demenz eine Rolle spielen, dargestellt sind. Damit können eventuelle Risikogene, die durch GWAS identifiziert worden sind, ausgewertet werden. Die Daten sind frei verfügbar und können somit von anderen Forschungsgruppen genutzt werden.
Fazit
Trotz fehlender Aussagekraft der Alzheimer-Tierversuche an Mäusen und dem Vorhandensein moderner Methoden ohne Tierversuche wird weiterhin an diesen festgehalten. Forscher machen es sich deshalb oft zur Aufgabe "bessere" Tiermodelle zu entwickeln. Dies erscheint jedoch obsolet, angesichts der unüberwindbaren Artunterschiede und der zur Verfügung stehenden humanspezifischen Modelle. Wenn es um menschliche Erkrankungen geht, sollte auch der Mensch im Mittelpunkt der Forschung stehen, um klinisch relevante Ergebnisse zu erzielen.
Quelle
Langley GR: Considering a new paradigm for Alzheimer´s disease research. Drug Discovery Today 2014: 19(8), 1114-1124
13. Januar 2016
Ein in der Fachzeitschrift Drug Discovery Today erschienener Artikel zeigt die Schwächen der tierexperimentellen Asthma-Forschung auf. So stützt sich auch dieser Forschungszweig stark auf Tierversuche, dennoch – oder gerade deshalb - haben es nur zwei neue Klassen von Asthmatherapeutika in den letzten 50 Jahren von der Forschung in die Klinik geschafft. In den vergangenen 10 Jahren investierte allein das „UK Medical Research Council“ 35 Millionen Pfund. Trotz internationalen Bemühungen ist die Pathophysiologie von Asthma noch immer verhältnismäßig schlecht verstanden. Dies hängt zum Teil mit den Beschränkungen der momentan erhältlichen Modelle zusammen. Heute leiden ca. 300 Millionen Menschen weltweit an Asthma und dies ist die häufigste chronische Erkrankung in Kindern. Schätzungsweise einer von 250 Todesfällen weltweit ist auf Asthma zurückzuführen und die Zahl nimmt weiter zu.
Zahlreiche Tierarten werden in der Asthma-Forschung eingesetzt. Vor allem Mäuse, aber auch Ratten, Hunde, Meerschweinchen, Katzen, Schafe und Primaten. Die Autorin stellt zusammenfassend Asthma-Forschung an diversen Tierarten dar und führt aus, welche beschränkte Aussagekraft und welche Nachteile diese Modelle aufweisen. Sie warnt davor, die Daten aus Tierversuchen auf den menschlichen Patienten zu übertragen. Einige von der Autorin angeführte Kritikpunkte am Asthma-„Tiermodell“ sind:
- Tiere, mit Ausnahme von Katzen und Pferden, bei denen eine sehr ähnliche Erkrankung vorkommt, entwickeln nicht spontan Asthma, wie dies beim Menschen der Fall ist. Die pathophysiologischen Unterschiede zwischen den verschiedenen Tierarten und dem Menschen sind groß, so dass eine Übertragung unzuverlässig ist.
- Das sogenannte Ovalbumin-Protokoll, bei dem ein Eiweiß in die Bauchhöhle des Tieres injiziert wird, um das Immunsystem herauszufordern, ist eine „Standard-Methode“ an Mäusen, Ratten und Meerschweinchen. Abhängig vom verabreichten Hilfsstoff kann die Reaktion stark variieren und insofern ist die Übertragbarkeit auf den Menschen noch weniger gegeben. Ein Ansatz für ein Modell ohne Hilfsstoffe ist mäuselinienspezifisch.
- Die Relevanz des „Maus-Modells“ zur Erforschung von Asthma im Kindesalter ist fraglich, da sich die Physiologie des Immunsystems bei der Geburt zwischen Maus und Mensch wesentlich unterscheidet. Bei Mäusen dauert die Entwicklung zum Erwachsenenstadium Wochen, beim Menschen Jahre.
- Die am häufigsten verwendeten Mäuselinien unterscheiden sich deutlich hinsichtlich eines bestimmten Entzündungsbotenstoffes (Zytokin) und Reaktion auf bestimmte Stoffe.
- Bei BALB/c und C57BL/6 Mäusen sind die Unterschiede derart groß, dass die Wahl der Mäusezuchtlinie wesentlich das Ergebnis beeinflusst.
- Primaten zeigen weder episodisches Niesen, noch Verengung der Bronchien.
- Stresshormone beeinflussen die allergischen Reaktionen und Th2-Antworten bei Primaten. (Th2: Eine Untergruppe der T-Helferzellen, also Zellen, welche bei der Erkennung von Allergenen bestimmend sind.)
- Den meisten „Mausmodellen“ fehlen die Charakteristika einer chronischen Asthmaerkrankung, da sie sich auf die akute Situation konzentrieren.
- Bei Mäusen, Ratten und Meerschweinchen konnte gezeigt werden, dass ein allergener Stoff eine Reaktion hervorrufen kann, eine wiederholte Exposition mit dem Stoff aber eher zu Toleranz statt zu einer chronischen Situation führt.
- Viele Wirkstoffe, welche beim Schaf erfolgreich waren, waren kaum wirksam beim Menschen.
- Während die Asthmaerkrankung beim Menschen von vielerlei Faktoren abhängt, insbesondere von Bedingungen in utero (in der Gebärmutter), arbeiten „Tiermodelle“ hauptsächlich mit erwachsenen Tieren. Unterschiede im Immunsystem von Kindern und Erwachsenen werden im „Tiermodell“ vernachlässigt.
- Kein „Tiermodell“ kann die multifaktorielle (durch viele Faktoren beeinflusste) Entwicklung der menschlichen Erkrankung wiedergeben.
- Die Reaktion auf Zytokine (Entzündungsbotenstoffe) unterscheidet sich zwischen Maus und Mensch. IL-3 ruft bei Mäusen eine größere Reaktion hervor als beim Menschen. Ebenso gibt es Unterschiede bei der Regulation und Produktion von TGF-β.
- Mit genmanipulierten Mäusen wurden einige therapeutische Ziele entwickelt, deren Wirksamkeit jedoch beim Menschen nicht gegeben war. Beim transgenen Tier verursachte Erkrankungen der Luftwege weisen mehr Ähnlichkeit mit einer chronischen Lungenerkrankung als mit Asthma auf.
- Viele „(Tier-)Modelle“ weisen Charakteristika auf, welche bei Patienten mit Asthma nicht auftreten, wie beispielsweise eine Entzündung des Lungenstützgewebes und Gefäßentzündung (in Mäusen).
- Hunde zeigen keine Asthma-ähnlichen Reaktionen in den Luftwegen, was hauptsächlich auf die einzigartige Luftwegsanatomie von Hunden zurückzuführen ist.
- Ein Großteil der „Modell“-Tiere sind Vierbeiner, was bedeutet, dass die Gravitation und der Brustkorb anderen Druck auf die Lunge ausüben.
- Die Luftwegsverzweigung und deren Anatomie variieren stark zwischen den Arten und können die Ablagerung von Aerosol (Schwebeteilchen in der Luft) beeinflussen.
- Mäuse sind obligate Nasenatmer, d.h., sie können nicht durch den Mund atmen.
- Forschungsmethoden üben Stress auf die Tiere aus, was wiederum Einfluss auf Physiologie und Verhalten hat.
- Mit Bezug auf Lungenfunktion stellt die Größe der unterschiedlichen Tierarten im Vergleich untereinander und im Vergleich zum Menschen ein Problem dar.
- Die Messung der Lungenfunktion in kleineren Tierarten ist technisch eine Herausforderung.
- Die genauesten Methoden sind zugleich die invasivsten und damit auch jene, welche am weitesten von der natürlichen Atemumgebung sind. Umgekehrt müssen bei der Beobachtung der natürlichen Atmung Abstriche in der Präzision hingenommen werden. Invasive Methoden, welche Anästhesie, Einführung eines Schlauches über den Kehlkopf oder durch einen Schnitt in der Luftröhre sowie mechanische Beatmung erfordern, können nur sehr schwer auf die menschliche Situation übertragen werden.
- Anästhesie hat Einfluss auf Asthma-Modelle an Mäusen (auf Luftwege, Lungenumgebung und Lungendruck).
Quelle
Buckland, Gemma L.: Harnessing opportunities in non-animal asthma research for a 21st-century science. Drug Discovery Today 2011: 16 (21-22); 914-927
24. März 2016
…und wie man sie überwinden kann
Archibald et al. geben einen Überblick über die Gründe, warum trotz bereits vorhandener tierversuchsfreier Methoden Tierversuche weiterhin durchgeführt werden und als Standard gelten. Dabei spielen Schwierigkeiten bei der Weiterentwicklung tierversuchsfreier Methoden eine Rolle, vor allem aber Hindernisse bei der Validierung und der rechtlichen Einordnung neuer Methoden.
Es gilt als unethisch, Menschen für Versuche zu „benutzen“, um neue Medikamente auf ihre Wirksamkeit und Sicherheit zu überprüfen. Doch letztendlich tun wir genau das. Mehr als 90% aller Medikamente, die im Tierversuch als sicher und wirksam eingestuft werden, fallen in den klinischen Studien, d.h. den Studien an gesunden Probanden und Patienten durch, entweder weil sie entgegen der Annahme beim Menschen nicht wirken oder, was schlimmer ist, weil sie beim Menschen Nebenwirkungen hervorrufen, die im Tierversuch nicht auftraten. Da Tierversuche also offensichtlich nicht vorhersagen können, ob und wie ein neues Medikament sich auf den menschlichen Körper auswirkt, werden letztlich unsichere Medikamente am Menschen getestet.
Wir sollten uns darauf konzentrieren, so wenig Schaden wie möglich anzurichten. Eine Möglichkeit ist das sog. Microdoising, bei dem freiwilligen Probanden winzigste Dosen einer Substanz verabreicht werden. Weiterhin stehen sog. in vitro- (z.B. Zellkulturen) und in silico-Methoden (z.B. computerbasierte Organmodelle) zur Verfügung. Solche tierversuchsfreien Methoden können, so die Autoren, zusammen mit wenig riskanten klinischen Studien Tierversuche in Zukunft ersetzen.
Um zu zeigen, welche Tierversuche ungeeignet sind, werden immer wieder Untersuchungen durchgeführt. Systematische Analysen zeigen dass Tierversuche keinen oder einen allenfalls minimalen Einfluss auf die klinische Forschung bei verschiedenen Erkrankungen wie ADHS, Magersucht, Bulimie, Schlaganfall und Schädel-Hirn-Trauma hatten.
Der Validierungsprozess für neue (tierversuchsfreie) Methoden ist lang und aufwendig. Außerdem garantiert eine Validierung noch keine rechtliche Anerkennung der Methode und umgekehrt ist eine Validierung nicht zwangsläufig notwendig, um eine rechtliche Anerkennung zu bekommen. Meist sind die Tierversuche der Goldstandard, dem die neuen Methoden gegenübergestellt werden. Da Tierversuche aber sehr unzuverlässige Ergebnisse liefern und oft mehr Fragen aufwerfen als sie beantworten, ist es fraglich, ob sie als Goldstandard geeignet sind. Der Vergleich einer neuen tierversuchsfreien Methode mit einem unzuverlässigen und ungeeigneten Tierversuch, der selbst niemals validiert worden ist, ist Zeit- und Geldverschwendung. Die Validierung an sich wird von den Autoren nicht in Frage gestellt, nur die Validierungsmethode. Denn es verhindert die Einführung neuer und besserer Testmethoden. Die Autoren fordern: neue Testmethoden, die die alten Methoden übertreffen, sollten diese auch ersetzen. Auch wenn es dadurch nur zu einer partiellen und schrittweisen Verbesserung kommt.
Nach der Validierung kommt eventuell die rechtliche Einordnung. Die meisten Firmen gehen davon aus, dass die Behörden Daten aus Tierversuchen fordern. Doch eigentlich wollen Behörden nur Daten, die ein gewisses Maß an Sicherheit geben, dass eine Substanz keinen Schaden anrichten wird. Die amerikanische FDA akzeptiert auch Daten aus tierversuchsfreien Methoden, jedoch haben sie den Text ihrer Regularien, in dem immer noch Tierversuche gefordert werden, bisher nicht geändert. Wird diese Formulierung also nicht an den neuen Tenor in der FDA angepasst, werden Firmen tierversuchsfreie Methoden weiterhin nicht durchführen bzw. sie maximal als Ergänzung zum Tierversuch einsetzen.
Ein gutes Beispiel ist der Draize-Test, der 1944 entwickelt wurde, um zu testen, ob eine neue Substanz Augen- oder Hautschäden verursacht. Bereits 2005 stellte die FDA fest, dass der Draize-Test nicht länger erforderlich ist, um eine neue Substanz zuzulassen. Trotzdem wurden 24% der 137 Substanzen, die zwischen 2011 und 2014 von der FDA zugelassen wurden, auf Haut- und Augenreizung getestet. In 94% (Hautreizung) bzw. 60% (Augenreizung) der Fälle wurde dazu der Draize-Test genutzt. Besonders schlimm dabei: die meisten der getesteten Substanzen (76%) waren für die systemische Anwendung gedacht und nicht für die äußere. Die Haut- und Augenreizungstests waren demnach völlig unnötig. Trotzdem ergaben sich für die betreffenden Firmen keinerlei negative Konsequenzen. Die Autoren fordern, dass so etwas nicht einfach toleriert wird. Firmen, die weiterhin Tierversuche nutzen, obwohl bessere und sicherere tierversuchsfreie Methoden zur Verfügung stehen, sollten nicht länger geschützt werden.
Quelle
Kathy Archibald, Tamara Drake, Robert Coleman: Barriers to the Uptake of Human-based Test Methods and How to Overcome Them. ATLA 2015: 43; 301-308
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12. April 2016
Eine Anfang 2016 erschienene Veröffentlichung in der wissenschaftlichen Fachzeitschrift ATLA attestiert der Affenhirnforschung fehlenden Nutzen und empfiehlt die klinische Forschung mit Fokus auf den Menschen zu betreiben, um zu relevanten Erkenntnissen zu kommen.
Die Autoren gehen den von Tierexperimentatoren getroffenen Aussagen nach, die Affenhirnforschung sei von großem medizinischem Nutzen und würde den Tieren kaum Leid zufügen. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass es für den Nutzen keine Belege gibt, sondern dieser vielmehr spekulativen Charakter hat und die Versuche zudem ethisch nicht vertretbar sind.
Kernaussagen des Artikels sind:
- Aufgrund der Unterschiede zwischen Affen- und Menschenhirn sind die am Tier gewonnenen Erkenntnisse irreführend
- Die Bedeutung der Erkenntnisse aus der ethisch vertretbaren Forschung am Menschen von Affenexperimentatoren wird unterbewertet und der angebliche Nutzen der Affenhirnforschung überbewertet.
- Es wird fälschlicherweise behauptet, einige medizinische Errungenschaften wie die Funktionelle Magnetresonanztomografie (fMRT) oder die Tiefe Hirnstimulation, die unter anderem im Rahmen der Parkinsonforschung zum Einsatz kommen, gingen auf die Affenhirnforschung zurück.
Tatsachlich jedoch wurde beispielsweise die fMRT bereits in den 1980er Jahren durch zwei unabhängige Forschungsgruppen in den USA ohne den Einsatz von Affenversuchen entwickelt und geht demnach nicht auf die Affenhirnforschung zurück.
Die Autoren der Studie folgern, dass es für das Festhalten an der Affenhirnforschung keine Rechtfertigung gibt und fordern eine auf den Menschen bezogene Forschung beispielsweise mittels Transkranieller Magnetstimulation (TMS), Elektroenzephalografie (EEG) oder Magnetenzephalografie (MEG).
Originalartikel
Bailey J. & Taylor K.: Non-human Primates in Neuroscience Research: The Case Against its Scientific Necessity. ATLA 2016: 44, 43-69
24. März 2016
Auch nach 17 Jahren gibt es immer noch keinen Hinweis, dass 17 Tierversuchsprojekte aus Bayern zu irgendeiner Umsetzung in die Klinik geführt haben.
In ihrer 2005 veröffentlichten Arbeit untersuchten Lindl und Völkl 51 bei der Genehmigungsbehörde Würzburg genehmigte Tierversuchsprojekte aus den Jahren 1991-1993. 17 davon wurden rückblickend als „erfolgreich“ erachtet, d.h. sie erreichten ihr im Genehmigungsantrag genanntes Ziel bezüglich des verwendeten „Tiermodells“. Daraus resultierten 65 Primärpublikationen. Lindl und Völkl gingen der Zitierhäufigkeit dieser Arbeiten in den Jahren 1993-2004 nach und fanden heraus, dass keine einzige in einer klinischen Therapie resultiert hatte.
Nun wurde diese Zitationsanalyse fortgesetzt für die Jahre 2005-März 2011. Es wurden zwar insgesamt 1.462 Zitierungen gefunden, diese waren aber überwiegend der Grundlagenforschung zuzuordnen. Nur sieben Zitierungen hatten einen therapeutischen Bezug, aber selbst für diese gab es keinen Hinweis auf eine direkte Korrelation zwischen den Tierversuchen und den Therapien.
Quelle
Toni Lindl, Manfred Völkl: No clinical relevance of approved animal experiments after seventeen years. ALTEX 2011: 28; 242-243
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29. April 2016
Klinischer Nutzen Fehlanzeige
Ein 2014 in The Lancet erschienener Fachartikel fokussiert auf die Verschwendung an Geldern in unterschiedlichen Forschungsbereichen. Tierversuche werden darin nicht direkt thematisiert, üblicherweise ist die biologische Grundlagenforschung jedoch mit einem großen Maß an Tierversuchen behaftet.
Die Autoren äußern, dass große Summen in die biomedizinische Grundlagenforschung fließen, aber nur wenig dabei herauskommt und folglich ein großer Teil der Investitionen Verschwendung ist. Dies liege daran, dass wissenschaftliche Fragestellungen häufig auf das grundlegende Verständnis bestimmter Mechanismen abzielen, jedoch für die menschliche Gesundheit nicht relevant sind.
Belege für den Nutzen der Grundlagenforschung gibt es nach Ansicht der Autoren kaum. So wurden in einer Studie über 25.000 Veröffentlichungen aus führenden Fachjournalen zur Grundlagenforschung aus den Jahren 1979 bis 1983 analysiert. 101 enthielten klare Aussagen, dass die Ergebnisse großes Potential für die klinische Anwendung haben, aber nur 5 davon führten bis 2003 zu eingeschränkten klinischen Anwendungen und nur in einem Fall folgte eine weit verbreitete klinische Anwendung.
Das heißt also, die „Erfolgsquote“ für klinische Anwendungen kann mit nur 0,024 % als marginal bezeichnet werden und ein Zusammenhang zur voraussichtlichen späteren klinischen Anwendung wurde nur in 0,4% der Veröffentlichungen angegeben.
Originalartikel
Chalmers Iain et al.: Research: increasing value, reducing waste 1: How to increase value and reduce waste when research priorities are set. The Lancet 2014: 383 (9912); 156–165, DOI: 10.1016/S0140-6736(13)62229-1
22. April 2016
Ethische Aspekte der Nutzung von Tieren in der Forschung
Ein Bericht der Arbeitsgruppe des Oxford Zentrums für Tierethik
Herausgegeben von Andrew & Clair Linzley
Im Auftrag von BUAV und Cruelty Free International, 2015Deutsche Zusammenfassung durch Ärzte gegen Tierversuche e.V.Im vorliegenden Bericht wird der zentralen ethischen Frage, ob Tierversuche moralisch gerechtfertigt sind, nachgegangen. Im Gegensatz zu anderen Berichten steht hier die ethische Dimension im Vordergrund, die interdisziplinär aus Sicht der Philosophie, Naturwissenschaft, Geschichte, Theologie, Rechtswissenschaft, den kritischen Animal-Studies und der Soziologie beleuchtet wird. Der bewusste und routinemäßige Missbrauch (Zufügen von Schäden, Schmerzen und Leiden, Handel und Tod) von unschuldigen, leidensfähigen Tieren sollte eigentlich undenkbar sein. Tierversuche sind aber genau das: die Normalisierung des Undenkbaren.
Originalartikel
Normalising the Unthinkable: The ethics of using animals in research. A report by the working group of the Oxford Centre for Animal Ethics. Edited by Andrew & Clair Linzley. Commissioned by The BUAV and Cruelty Free International. 2015
26. Juli 2016
Ein Beitrag im Fachjournal Physiology vom November 2014 geht der Frage nach, ob es für die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf den Menschen eine Rolle spielt, dass Mäuse im Labor standardmäßig „gekühlt“, d.h. unterhalb ihrer „Wohlfühltemperatur“ gehalten werden. Zu kalt gehaltene Mäuse zeigen kältebedingte Stresssymptome, haben einen zu hohen Blutdruck und verstärkten Stoffwechsel, altern nicht so schnell und sind weniger anfällig für Fieber, dafür aber für Tumore.
Hinsichtlich der Körpertemperatur und der Temperaturregulierung im Austausch mit der Umgebung gibt es große artspezifische Unterschiede. Größere Arten haben eine geringere Stoffwechselrate (Energieumsatz pro Zeiteinheit) pro Gramm als kleinere. D.h. um zu überleben, müssen Mäuse viel mehr Energie pro Gramm verarbeiten als Menschen und geben deshalb pro Gramm mehr metabolische Wärme ab. Hätte zum Beispiel ein 500 kg schweres Rind die Stoffwechselrate einer Maus, würde seine Oberflächentemperatur mehr als 100°C betragen, um die Ruhe-Wärmeproduktion ableiten zu können.
Die normale Körpertemperatur von Säugetieren variiert zwischen den Spezies aber nur um wenige Grad, z.B. zwischen Maus und Elefant, und alle erhalten ihre Körpertemperatur in Umgebungstemperaturen aufrecht, die weit unter dieser liegen.
Unter einer bestimmten Temperatur (kritische Temperatur; lower critical temperature (LCT)), kann ein Säugetier die normale Körpertemperatur jedoch nicht mehr aufrechterhalten, ohne über den einen erhöhten Stoffwechsel mehr Wärme zu produzieren. Da Mäuse mehr Wärme pro Gramm abgeben als Elefanten, verlieren sie in einer kühleren Umgebung schneller Wärme als Elefanten, d.h. die kritische Temperatur ist bei kleinen Tieren höher als bei großen.
Zum Beispiel liegt die kritische Temperatur eines leicht bekleideten Menschen bei 21°C, die von Mäusen bzw. Ratten aber bei 30 bzw. 28°C. Verhalten, Alter, Geschlecht, Züchtung und Tageszeit beeinflussen thermische Präferenzen, so dass eine Verallgemeinerung der Haltungstemperatur schwierig ist. Der US National Research Council empfiehlt die Haltung von Mäusen bei 20-26°C, also unterhalb ihrer kritischen Temperatur. In 3 von 50 von den Autoren gesichteten tierexperimentellen Veröffentlichungen fanden sich Hinweise auf eine Haltung der Tiere in diesem Temperaturbereich, bei 47 Studien wurde die Temperatur gar nicht erst erwähnt.
Nach Aussage der Autoren gibt es tausende von Studien an Knockout-Mäusen, bei denen die Tiere unterhalb der kritischen Temperatur gehalten werden. Das heißt, Mäuse in Tierversuchslaboren stehen meist unter dauerndem Kältestress. Dies erkennt man u.a. an Mäusejungen, die bei Temperaturen unter 27°C ständig Stressrufe ausstoßen, jedoch nicht bei Temperaturen über 33°C. Der Kältestress zeigt sich auch in der metabolischen Aktivität: der Stoffwechsel ist bei 22°C ca. 50% höher als bei 30°C, d.h. wenn eine Maus bei 22°C aufwächst, ist ihre Futteraufnahme 50% höher, ihre Körpermasse sowie ihre Leber, Nieren und ihr sind Herz größer als bei Mäusen, die bei höheren Temperaturen gehalten werden. Eine solche Maus hat nicht denselben metabolischen und thermischen Phänotyp wie Mäuse die bei Neutraltemperatur (thermoneutrale Zone; Temperaturbereich, in dem ein gesundes Tier seine Körpertemperatur aufrechterhalten kann ohne mehr Energie zu verbrauchen) aufgezogen werden.
Tagsüber sollten die Herzfrequenz einer Maus bei 30°C bei 375/min und der Blutdruck bei 80 mmHg liegen; aber für jedes Grad darunter steigt die Herzfrequenz um 25/min und der Blutdruck um 2 mmHg. Hinzu kommt, dass Mäuse, die bei 20°C gehalten werden viel länger wach sind als bei 30°C.
Der erhöhte Blutdruck bei den niedrigeren Temperaturen ist allerdings physiologisch und nicht pathologisch, d.h. jede Intervention, die den Blutdruck verringert, beeinflusst die normale physiologische Regulation und heilt keine Erkrankung. D.h. ein Arzneimittel oder ein Gen, das den Einfluss des sympathischen Nervensystems auf das Herz vermindert, würde innerhalb der Neutraltemperatur kaum Einfluss auf die Herzfrequenz haben. Ein Arzneimittel oder Gen, das die Herzfrequenz oder den Blutdruck bei 22°C senkt, hat demnach keinen Effekt auf eine Maus bei 30°C.
Neben dem Anstieg der Stoffwechselrate unter chronischem Kältestress, verändern sich auch die Stoffwechselprodukte der Tiere. Wird eine Maus plötzlich für zwei Stunden von der Neutraltemperatur in eine Umgebung mit 21°C verbracht, verstoffwechselt sie mehr Kohlenhydrate.
Die Langzeithaltung von Mäusen bei 22°C führt zudem zu einer höheren Fettaufnahme in Herz, Lungen und das braune Fettgewebe, so dass die Triglyceride und Cholesterol im Plasma geringer sind als bei 30°C. Zudem wird die Wahrscheinlichkeit der Entwicklung von Lymphknotentumoren vermindert und die Entstehung und Entwicklung anderer Tumore sowie die Immunreaktion beeinflusst.
Die Haltung unterhalb der Neutraltemperatur führt zu einer geringeren Konzentration von weißen Blutkörperchen, zur Unterdrückung der Freisetzung entzündungsfördernder Cytokine und Anstieg der Freisetzung entzündungshemmender Cytokine. Dadurch entstehen wahrscheinlich die großen Unterschiede der Akut-Phase-Reaktion bei unterschiedlichen Temperaturen. Beispielsweise führt die Injektion von Lipopolysacchariden (entzündungsauslösende Bakterienbestandteile (LPS)) bei Mäusen bei Neutraltemperatur zu starkem Fieber mit einem Temperaturanstieg von 2°C. Dieselbe Dosis LPS führt jedoch bei Temperaturen unterhalb der Neutraltemperatur zu einem Schock und die Körpertemperatur fällt unter 34°C. D.h. entsprechende Forschungen in dem Bereich führen zu falschen Ergebnissen.
Daher stellt sich die Frage: Haben Studien mit Mäusen unterhalb der kritischen Temperatur überhaupt Relevanz für den Menschen? Es ist eher unwahrscheinlich, dass der Aktivitäts-Stoffwechsel „freilebender“ Menschen physiologisch oder genetisch Ähnlichkeit mit dem durch Kälte beeinflussten Stoffwechsel von Mäusen mit Bluthochdruck und Schlafstörungen hat. Dennoch stammt nahezu alles, was wir über das Herz-Kreislauf-System von Ratten und Mäusen wissen, von Tieren mit chronisch zu hohem Blutdruck und erhöhtem Stoffwechsel unter Schlafentzug, was die ohnehin nicht gegebene Übertragbarkeit auf den Menschen zusätzlich fragwürdig macht.
Nach Aussage der Autoren werfen die Unterschiede zwischen verschiedenen Tierarten auch generell Probleme auf, wenn es darum geht, Erkenntnisse über die menschliche Physiologie und Gesundheit zu erlangen. So würden sich beispielsweise Hunde und Katzen nicht eignen, um Zusammenhänge zwischen Herzrhythmusstörung und Hyperkaliämie (Kaliumüberschuss im Blut) zu untersuchen, da sie im Gegensatz zum Menschen auf ihren roten Blutkörperchen keine Natrium-Kalium-Pumpe haben, die für den Transport von Kalium-Ionen in die Zelle verantwortlich ist, und somit auch keinen hohen Kaliumspiegel. Trotz ähnlicher Mechanismen bei Maus und Mensch bei der Depolarisation im Herzen, sind für die Repolarisation jeweils unterschiedliche Kanäle verantwortlich, so dass Gene oder Medikamente, die bei Mäusen diesen Vorgang beinflussen, beim Menschen keinen Effekt haben.
Quelle
Maloney S.K., Fuller A., Mitchell D. et al.: Translating Animal Model Research: Does It Matter That Our Rodents Are Cold? Physiology. 2014: 29, 413-420