Massives Scheitern von Alzheimer, Brust- und Prostatakrebs-Medikamenten aufgrund schlechter Vorhersagbarkeit durch Tierversuche
Die Publikation analysiert kritisch die Misserfolge in der Forschung zu Alzheimer, Brustkrebs und Prostatakrebs bei der Übertragung in die Klinik. Obwohl die Forschung weltweit dazu beigetragen hat, das Verständnis der pathologischen Mechanismen, die diesen Krankheiten zugrunde liegen, zu verbessern, ist die Misserfolgsquote bei der Entwicklung von Medikamenten nach wie vor sehr hoch. Es wird beleuchtet, wie die Dominanz von Tierversuchen maßgeblich dazu beiträgt, dass Forschungsergebnisse oft nicht auf den Menschen übertragbar sind. Die Autoren betonen, dass neue, humanrelevante Modelle dringend benötigt werden, um den Fortschritt in der biomedizinischen Forschung und der Entwicklung wirksamer Therapien zu verbessern.
Hintergrund und Relevanz
Krankheiten wie Alzheimer, Brust- und Prostatakrebs sind die häufigsten Todesursachen in westlichen Ländern und führen zu enormen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Belastungen. Dabei machen sowohl in der Grundlagen- als auch in der angewandten / translationalen Forschung die Erkrankungen des zentralen Nervensystems (einschließlich Demenz und Alzheimer) sowie die Onkologie (einschließlich Brust- und Prostatakrebs) weltweit einen extrem hohen Anteil am Tierverbrauch aus. Trotz jahrzehntelanger Forschungsförderung – allein die EU investierte für Alzheimer 947 Millionen Euro in 614 Projekte, für Brustkrebs 700 Millionen Euro in 411 Projekte und für Prostatakrebs 288 Millionen Euro – bleibt der Durchbruch in der Therapie aus.
Probleme der „Tiermodelle“
Die Autoren verdeutlichen am konkreten Beispiel, dass „Tiermodelle“ wesentliche Eigenschaften menschlicher Krankheiten nicht nachbilden können und so die Übertragbarkeit der Ergebnisse stark einschränken: Sogenannte „Alzheimer-Mausmodelle“ zeigen die bekannten Biomarker wie Amyloid-Ablagerungen oder Tau-Phosphorylierung, spiegeln aber genetische, pathophysiologische und klinische Facetten der Erkrankung beim Menschen nicht wider. Insbesondere das späte Erkrankungsalter, Begleiterkrankungen und die spezifischen Verlaufsformen werden nicht adäquat dargestellt.
Die Zulassungsrate von Medikamenten, die zuvor im Tier erfolgreich waren, liegt bei Alzheimer bei nur 1%, bei Krebs bei 3%. Die meisten Wirkstoffe, die im Versuch an Tieren vielversprechend sind, scheitern am Menschen – hauptsächlich wegen mangelnder Wirksamkeit oder unerwarteter Nebenwirkungen, was durch die vorangegangenen Tierversuche nicht vorhergesagt werden konnten.
Brustkrebs- und Prostatakrebsmodelle im Tier replizieren die Verschiedenartigkeit von Tumoren, Entwicklung von Medikamentenresistenz und Metastasierung nicht akkurat genug. Beispielsweise entstehen in Mäusen kaum Tumore, die tatsächlich metastasieren oder die Vielgestaltigkeit menschlicher Krebszellen widerspiegeln.
Bei Alzheimer wurden zahlreiche Therapien basierend auf dem Amyloid-Kaskadenmodell in Tierstudien entwickelt – alle scheiterten klinisch.
Bei Brustkrebs legt das Beispiel des Wirkstoffs Iniparib offen: Er zeigte im Versuch an Tieren positive Ergebnisse, fiel jedoch in klinischen Studien u. a. aufgrund mangelnder Wirksamkeit durch.
Für Prostatakrebs ergaben sich bei Kandidaten wie Orteronel und AZD3514 im Tierversuch vielversprechende Resultate, doch in klinischen Studien versagten sie – teils mit schweren Nebenwirkungen.
Humanrelevante Alternativen
Die Autoren heben hervor, dass innovative humanbasierte Modelle wie induzierte pluripotente Stammzellen (iPSCs), 3D-Tumorsphäroide, Organ-on-Chip-Technologien und fortschrittliche Datenanalyseverfahren (z.B. maschinelles Lernen) deutlich besser geeignet sind, um Krankheitsverläufe und medikamentöse Wirkungen am Menschen vorauszusagen. Sie fordern, Forschungsförderung gezielt auf die Entwicklung und systematische Anwendung solcher Methoden auszurichten.
Monitoring: Indikatoren für Innovation und Impact
Ein zentraler Aspekt ist die Notwendigkeit, den tatsächlichen Output und Impact der Forschung zu erfassen. Hierfür schlagen die Autoren 18 Indikatoren für verschiedene Kategorien vor, darunter die Förderung, Verbreitung, wissenschaftliche und regulatorische Indikatoren sowie die Beteiligung der Öffentlichkeit.
Kategorie |
Indikator-Nr. |
Indikatorbeschreibung |
Förderung/ |
1 |
Anzahl der Projekte innerhalb eines bestimmten EU-Rahmenprogramms (FP) |
2 |
Wert der Projekte innerhalb eines bestimmten EU-FP |
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3 |
Wert der Projekte von anderen EU (aber nicht EK) Förderorganisationen |
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Verbreitung |
4 |
Anzahl der Publikationen (im Rahmen eines bestimmten Forschungs-FP) zu neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen (z. B. neuer Biomarker, neue Signalwege oder Wirkmechanismen) und ob sie unter Verwendung von Tier- vs. nicht-tierischen Ansätzen erzielt wurden |
5 |
Anzahl der Publikationen (im Rahmen eines bestimmten Forschungs-FP) zu neuen Methoden, Werkzeugen und Ansätzen (z. B. neues Diagnoseverfahren, neue Therapieansätze, neue Präventionsmaßnahme) und ob sie mittels Tier- vs. nicht-tierischen Methoden und Ansätzen erzielt wurden |
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6 |
Anzahl der Zitationen der oben genannten Arbeiten (also solche, die entweder eine neue wissenschaftliche Erkenntnis oder neue Methoden, Werkzeuge und Ansätze beschreiben) |
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Wissenschaftlich und technologisch |
7 |
Anzahl der Patente und ob sie auf tierischen vs. nicht-tierischen Erkenntnissen basieren (z. B. geeignet zur Erforschung ausgewählter Krankheiten und/oder zum Testen neuer Medikamente) |
8 |
Anzahl der Diagnoseverfahren und ob sie auf tierischen vs. nicht-tierischen Erkenntnissen basieren |
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9 |
Anzahl der zugelassenen Medikamente, Therapien oder Medizinprodukte und ob sie auf tierischen vs. nicht-tierischen Erkenntnissen basieren |
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10 |
Anzahl der klinischen Studien für neue Medikamente und ob sie auf tierischen vs. nicht-tierischen Erkenntnissen basieren |
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11 |
Anzahl der neuen Präventionsmaßnahmen und ob sie auf tierischen vs. nicht-tierischen Erkenntnissen basieren |
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Regulatorisch und politisch |
12 |
Anzahl der öffentlichen Leitlinien/Optionen im regulatorischen Medizin-/Gesundheitsbereich (z. B. durch EMA, nationale Regierungen, OECD, etc.) |
13 |
Anzahl der neuen regulatorischen politischen Maßnahmen |
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14 |
Anzahl der neuen nicht-regulatorischen gezielten politischen Maßnahmen auf nationaler und EU-Ebene |
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Öffentliche und gesellschaftliche Beteiligung |
15 |
Grad der öffentlichen/gesellschaftlichen Einbindung (zur Verbreitung von Erkenntnissen aus EU-geförderter Forschung) |
16 |
Globale Indikatoren: Trends der öffentlichen Gesundheit bei ausgewählten Krankheiten (z. B. Krankheitsprävalenz, Sterblichkeit, krankheitsassoziierte Risikofaktoren) |
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Bildung, Ausbildung und Beschäftigung |
17 |
Neue Beschäftigungsmöglichkeiten, die durch EU-geförderte Forschungsaktivitäten entstehen |
18 |
Neue Lernmöglichkeiten, die durch EU-geförderte Forschungsaktivitäten entstehen |
Ausblick und Fazit
Die Erfolgsrate von auf Tieren basierenden Experimenten ist insgesamt extrem niedrig – die Forschung verläuft oft „ins Leere”, was auch daran liegt, dass negative Daten aus präklinischen und klinischen Studien oft jahrelang nicht oder gar nicht veröffentlicht werden.
Die Kombination aus humanrelevanten Zellmodellen, maschinellem Lernen und systemischer Forschung bietet dagegen die Möglichkeit, Innovation und Wirksamkeit deutlich zu erhöhen und ethische wie finanzielle Ressourcen besser zu nutzen.
Die Autoren fordern daher ein grundsätzliches Umdenken in der Forschungsstrategie: Vom Tierversuch hin zu humanbasierter, multidisziplinärer Forschung für echten gesellschaftlichen und medizinischen Fortschritt.
Zusammenfassung
06.10.2025
Dipl.-Biol. Julia Radzwill