IMPACT-Projekt: Humanbasierte toxikologische Testungen unter Einbeziehung sämtlicher Umweltfaktoren
Die Publikation stellt mit dem „Implementation Moonshot Project for Alternative Chemical Testing (IMPACT)“ einen Fahrplan für den Aufbau eines Human Exposome Project vor. Ziel ist es, Umweltbelastungen und deren Einflüsse auf die menschliche Gesundheit umfassend abzubilden, innovative Testmethoden zu fördern und statt Tierversuchen in der Toxikologie humanrelevante Methoden zu nutzen.
Hintergrund und Motivation
Die Exposom-Forschung befasst sich mit der Gesamtheit aller Umweltfaktoren, denen Menschen über ihr gesamtes Leben hinweg ausgesetzt sind – von Chemikalien und Nahrungsmitteln bis hin zu psychosozialen Faktoren. Im Gegensatz zur statischen genetischen Information ist das Exposom dynamisch und komplex und beeinflusst maßgeblich das Entstehen von Krankheiten. Der Aufbau eines Human Exposome Projects orientiert sich am Erfolg des Human Genome Projects, will aber darüber hinaus die Ursachen von Krankheiten entschlüsseln und präzisere Präventionsmaßnahmen ermöglichen.
Defizite der klassischen Toxikologie und Rolle von IMPACT
Die klassische Toxikologie verlässt sich noch stark auf Tierversuche zur Risikobewertung von Chemikalien. Diese Herangehensweise ist mit ethischen und wissenschaftlichen Einschränkungen behaftet:
- Geringe Übertragbarkeit auf den Menschen: Tierversuche spiegeln aufgrund physiologischer und metabolischer Unterschiede die Reaktion des Menschen nicht wider.
- Hohe Kosten und Zeitaufwand: Traditionelle Tests sind teuer, langwierig und mit der Verwendung tausender Tiere verbunden.
- Mangelnde Abdeckung realer Bedingungen: Komplexe Mischungen, neue Materialien wie Nanopartikel oder individuelle Lebensstilelemente werden nicht angemessen adressiert.
Das IMPACT-Programm (gefördert durch CAAT; Center for Alternatives to Animal Testing) fokussiert die Entwicklung, Validierung und Implementierung von Neuen Ansatzmethoden (New Approach Methods, NAMs) wie mikrophysiologischen Systemen (MPS), Organoiden und künstlicher Intelligenz (KI), um humanrelevante, effiziente und ethisch vertretbare Teststrategien zu ermöglichen.
Methodische Innovationen
1. Microphysiologische Systeme (MPS) und Organoide
MPS und humanbasierte Organoide modellieren die Gewebe- und Funktionsarchitektur menschlicher Organe weitaus präziser als Tierversuche. Sie werden bereits erfolgreich für Toxizitätsstudien verschiedener Organe (z.B. Gehirn, Leber, Herz) eingesetzt und ermöglichen das Testen komplexer Schadstoffauswirkungen unter humanähnlichen Bedingungen.
Die Qualitätssicherung wird durch Standards wie GCCP 2.0 (Good Cell Culture Practice) und internationale Netzwerke (z.B. International MPS Society) vorangetrieben.
2. Integration von Künstlicher Intelligenz (Exposome Intelligence, EI)
KI-Methoden analysieren große und komplexe Datensätze (Big Data), verknüpfen Expositions- mit Omics-, Biomonitoring- und klinischen Daten und identifizieren relevante Muster und krankheitsauslösende Faktoren. KI wird insbesondere für die Vorhersage toxikologischer Endpunkte (z.B. Kanzerogenität, Entwicklungsstörungen) und für die Systematisierung von Validierungs- und Entscheidungsprozessen genutzt.
3. Digitale Zwillinge
Als langfristiges Ziel werden individuelle „digitale Zwillinge“ verfolgt – virtuelle Abbilder realer Personen, die deren Biologie, Expositionen und Krankheitsrisiken simulieren und personalisierte Präventions- bzw. Therapieempfehlungen ermöglichen.
4. Evidenzbasierte Methoden und Systematische Reviews
Evidence-Based Toxicology und systematische Reviews sorgen dafür, dass neue Methoden und Erkenntnisse robust, transparent und vergleichbar sind und regulatorische Akzeptanz finden.
Implementierungsstrategie und Infrastruktur
Das Paper beschreibt einen ausdifferenzierten Handlungsplan:
- Zieldefinition und Ethik: Klare Zielsetzungen, Aufbau vorbildlicher ethischer und rechtlicher Rahmenbedingungen (insbesondere Datenschutz und fortlaufende Einwilligung).
- Infrastruktur: Entwicklung zentraler, zugänglicher Datenbanken; fortschrittliche Labore; Förderung von Trainings, Fortbildungen und Online-Angeboten (z.B. Coursera-Kurse für Regulatoren und Forschende).
- Stakeholder-Engagement: Aufbau einer Public-Private-Partnership, Einbindung von Behörden (z.B. FDA, EPA, ECHA), Industrie, Wissenschaftsnetzwerken und internationaler Partner.
- Qualitätssicherung: Entwicklung von Good Laboratory Practices, systematischen Literaturbewertungen und Benchmarking neuer Methoden.
Erwartete Auswirkungen
Die Umsetzung dieses Programms soll zu folgenden Durchbrüchen führen:
- Besseres Verständnis und Prävention von Krankheiten: Identifikation bislang unbekannter Zusammenhänge zwischen bestimmten Umweltexpositionen und gesundheitlichen Langzeitfolgen.
- Reduktion und schrittweise Abschaffung von Tierversuchen: Die regulatorische Anerkennung und breite Implementierung von MPS/KI hat gegenüber Tierversuchen wirtschaftliche, wissenschaftliche und ethische Vorteile.
- Verbesserung regulatorischer Entscheidungen: Präzisiertes Risikomanagement und gezielte Interventionen, insbesondere für gefährliche Chemikalien, beim Verbraucherschutz und in der öffentlichen Gesundheit.
- Förderung von Innovation, Vernetzung und Bildung: Interdisziplinäre Forschung, gesellschaftliches Bewusstsein und internationale Harmonisierung werden durch die Projektstruktur systematisch gestärkt.
Die Forschung steht allerdings vor der Herausforderung, komplexe und vielfältige Expositionen aus heterogenen, hochdimensionalen Datenquellen zu integrieren. Dies erfordert erhebliche Ressourcen für Infrastruktur, Ausbildung und eine nachhaltige Finanzierung durch staatliche, industrielle und philanthropische Förderung. Hinzu kommen globale Unterschiede in Expositionsmustern, regulatorischen Standards und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Methodisch bestehen Grenzen, etwa die Gefahr, Korrelationen irrtümlich als Kausalitäten zu deuten, was eine kontinuierliche Weiterentwicklung sowie sorgfältige Datenauswertung und Ergebnisinterpretation notwendig macht.
Fazit und Ausblick
Das Paper fordert zu einer konzertierten, globalen Aktion auf, um das Human Exposome Project zu realisieren – als Voraussetzung für eine neue Ära der präzisen Prävention, modernen Toxikologie und personalisierten Gesundheitsförderung. Durch die strategische Bündelung von Technologien (KI, Omics, MPS), Qualitätssicherung, ethischer Reflexion und internationaler Kooperation verspricht das Projekt, sowohl wissenschaftlichen Durchbruch als auch gesellschaftlichen Wandel zu bewirken – insbesondere durch die Ablösung von Tierversuchen durch humanbasierte, innovative Methoden.
Zusammenfassung
29.08.2025
Dipl.-Biol. Julia Radzwill