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8. Januar 2019

Jährlich werden weltweit mindestens 115 Millionen Tiere in der biomedizinischen Forschung benutzt. Tierversuche sollen dabei Rückschlüsse auf Biologie und Krankheiten des Menschen ermöglichen, sowie der Sicherheit und Wirksamkeit potenzieller Behandlungen dienen. Aber trotz dieses immens hohen Aufwands an Ressourcen, das Leid der Tiere eingeschlossen, wurde die Effektivität von Tierversuchen bisher viel zu wenig systematisch überprüft.

Auch die weitgehende Akzeptanz, dass Medizin evidenzbasiert sein soll, führte nicht dazu, dass Tierversuche an diesem Standard gemessen wurden. Tierexperimentelle Forschung gilt weiterhin als Goldstandard der vorklinischen Testung. Eine kritische Untersuchung der Gültigkeit dieser Prämisse findet bisher nicht statt.

Das Problem der Übertragung tierexperimenteller Daten auf den Menschen

Obwohl die Unzuverlässigkeit und die Grenzen der Tierversuche zunehmend erkannt werden, besteht in der biomedizinischen Wissenschaft die allgemeine Meinung, dass diese Probleme überwunden werden können. Dagegen sprechen aber folgende Punkte, die unterstreichen, warum Tierversuche keine zuverlässigen Informationen über die menschliche Gesundheit liefern können: 

  1. Der Einfluss von Laborumgebung und Prozeduren auf die tierexperimentellen Ergebnisse: Viele Studien belegen mittlerweile die Auswirkungen der künstlichen Laborbedingungen. Dabei ist nicht nur das Handling der Tiere von Bedeutung, sondern auch z.B. Parameter wie Bodenbelag, Käfiggröße, Lärmpegel usw. Es kommt dadurch bei den Tieren beispielsweise zu Veränderungen in der Neurochemie, Genexpression und Nervenregeneration. Der Cortisonspiegel steigt an und Blutdruck und Herzfrequenz erhöhen sich z.B. durch Manipulationen oder, wenn die Tiere ihre Artgenossen leiden sehen.
  2. Die Diskrepanz zwischen menschlicher Krankheit und „Tiermodell“: Menschliche Krankheiten sind in ihrer Entstehung und Ausprägung sehr komplex. Deshalb, und weil die Symptome der Krankheiten im Tier künstlich erzeugt werden, ermöglicht die Forschung an „Tiermodellen“ kaum klinisch relevante Ergebnisse. Beispiele für den erfolglosen Einsatz von „Tiermodellen“ findet man in der Forschung bezüglich Schlaganfall, Krebs, Amyotrophe Lateralsklerose (ALS), Schädel-Hirn-Trauma, Alzheimer-Krankheit und entzündlichen Zuständen.
  3. Artübergreifende Unterschiede in Physiologie und Genetik Neben den Abweichungen zwischen dem „Tiermodell“ und der menschlichen Krankheit, gibt es starke Unterschiede zwischen den Spezies in Bezug auf Physiologie, Verhalten, Pharmakokinetik und Genetik, die die Zuverlässigkeit von Tierversuchen erheblich in Frage stellen. Sogar Tiere derselben Art, aber verschiedener Stämme oder desselben Stammes „produzieren“ unterschiedliche Testergebnisse. Auch beträchtliche Eingriffe in die Genetik der Tiere im Rahmen der Gentechnik konnten dieses Manko nicht umgehen. Denn selbst wenn menschliche Gene in das Erbgut der Tiere eingebaut werden, ist der Wirtsorganismus immer noch kein Mensch. Sogar aus Tierversuchen an nichtmenschlichen Primaten lassen sich keine übertragbaren Aussagen zu menschlichen Reaktionen ableiten. Daraus ist zu folgern: Wenn Ergebnisse aus Tierversuchen an unseren engsten genetischen Verwandten nicht zuverlässig sind, wie können wir erwarten, dass Tierversuche an  anderen Tieren zuverlässig sind?

Der kollektive Schaden, der aus fehlgeleiteten Tierversuchen resultiert

Vielfach wird argumentiert, dass Informationen, die wir durch Tierversuche erhalten, besser sind als gar keine Informationen. Diese These negiert, dass irreführende Informationen schlimmer sein können als gar keine Informationen. Denn der Einsatz von Tierversuchen kann menschliches Leid auf mindestens zwei Arten verursachen: 

  1. Die Untersuchung der Giftigkeit einer Substanz an Tieren hat einen geringen Vorhersagewert, ob diese für den Menschen giftig ist. Durch Tierversuche wird eine Sicherheit und Effektivität vorgetäuscht, welche nicht vorhanden ist (s.o.).
  2. Menschen erleiden indirekt Schaden dadurch, dass erfolgversprechende Medikamente nicht weiter verfolgt werden, da die Ergebnisse im Tierversuch nicht ausreichend waren. Beispiele hierfür sind Tamoxifen (ein sehr wirksames Mittel gegen bestimmte Arten von Brustkrebs) und Gleevec (hilfreich bei einer Blutkrebsart). Beide Medikamente verursachen – im Gegensatz zum Menschen – bei mehreren Tierarten hochgradige Nebenwirkungen.

Tierversuche können also Forscher in eine falsche Richtung leiten, Zeit und Ressourcen werden verschwendet, über 96 Prozent der getesteten Substanzen fallen durch. Dabei gibt es mittlerweile eine ganze Reihe von Testmethoden an menschlichen Organzellen, welche für die Forschung eingesetzt werden können. Diese weiter zu entwickeln ist eine Frage der Priorität!

Originalartikel

Akhtar A: The flaws and human harms of animal experimentation. Cambridge Quarterly Healthcare Ethics 2015; 24: 407-419