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Mehr noch als die Computertechnologie werden Nanomaterialen die Welt revolutionieren. Nie mehr Fensterputzen, da kein Dreck auf den Scheiben haftet, fleckfreie Kleidung, weil Kaffee auf dem Hemd einfach abperlt, Revolution bei der Energieversorgung, Lebensmittel, die auf Wunsch ihren Geschmack verändern, die Wunderwaffe gegen Krebs, ultraharte Tennisschläger und megawirksame Hautpflegemittel. Der neue Boom wird in der Öffentlichkeit überwiegend als positiv wahrgenommen. Doch niemand ahnt, dass dafür unzählige Ratten, Mäuse, Kaninchen und andere Tiere leiden und sterben müssen.

Möglichen Gefahren sollen so abgeschätzt werden. Dabei haben die Ergebnisse aus solchen Tiertests keine Relevanz für den Menschen. Die Ärzte gegen Tierversuche fordern, bei dieser neuen Technologie von Anfang an aussagekräftige In-vitro-Systeme zu entwickeln und anzuwenden, anstatt auf nutzlose Tierversuche zu setzen.

Nanoteilchen sind unvorstellbar klein. Ein Nanometer ist der millionste Teil eines Millimeters. Ein menschliches Haar beispielsweise ist 80.000 Nanometer dick. Eigentlich sind die Winzlinge (Nano = Griechisch »Zwerg«) nichts Neues. Sie umgeben uns in Form von Ruß und Feinstaub der Autoabgase. Alte Baumeister nutzten Goldpartikel in Glas, um Kirchenfenster in verschiedene Farben schimmern zu lassen. Das Besondere daran: In den winzigen Abmessungen verändern Materialien wie Kohlenstoff, Silber, Titan- oder Zinkoxid ihre Eigenschaften. Anwendungsgebiete ungeahnten Ausmaßes eröffnen sich. Mehrere Hundert Nano-Produkte sind bereits auf dem Markt, vor allem in Form von Funktionskleidung, Sportartikeln, Kosmetika und Unterhaltungselektronik.

Risiken nicht abschätzbar

Anders als bei der Gentechnik und der Atomkraft wird die Nanotechnologie in der Bevölkerung überwiegend positiv wahrgenommen. Nur 10% der deutschen Bevölkerung befürchteten Risiken.(1) Erstaunlich - denn niemand weiß bisher, ob und wenn ja, welchen Schaden die Zwerge im menschlichen Körper und in der Umwelt anrichten. Besonders bei Haut- und Sonnencremes sowie Nano-Food kommen die Partikel direkt mit dem Menschen in Berührung. Wegen ihrer Winzigkeit wird befürchtet, dass sie die normalerweise kaum zu überwindende Blut-Hirn-Schranke durchbrechen und sich im Gehirn ablagern. Schon werden die Nanos mit Alzheimer und Krebs in Verbindung gebracht. Eingeatmet können sie in den Lungen verweilen. Die Immunabwehr des Körpers kann sie nicht abbauen, wodurch es möglicherweise zu asbestähnlichen Schäden kommt. Da ihre Werkstoffeigenschaften anders sind, als ihre Ausgangsmaterialien, kann auch die Giftigkeit eine vollkommen andere sein.

Noch ist alles offen

Noch gibt es keine gesetzliche Verpflichtung zur Prüfung der Gesundheitsrisiken von Nanomaterialien. So muss nach dem Chemikaliengesetz zwar zum Beispiel Titandioxid getestet werden. In Nanogröße verwendet, werden jedoch keine extra Tests gefordert, obwohl die Risiken ganz andere sein können. Auch in den Bereichen Lebensmittel, Bedarfsgegenstände und kosmetische Mittel sind Nanopartikel bisher nicht speziell geregelt.(2)

Mehrere wissenschaftliche Gremien der EU und in Deutschland haben sich mit der Problematik beschäftigt. Der Wissenschaftliche Ausschuss für neu auftretende und neu identifizierte Gesundheitsrisiken (SCENIHR) der EU setzt auf eine schrittweise Strategie. Zunächst soll in silico (z.B. QSAR-Computermodelle) und in vitro (z.B. Zellkulturen) getestet werden. Erst, wenn hier schädliche Wirkungen festgestellt werden oder wenn die Wirkungen vollkommen anders sind als bei den Ausgangsmaterialien, sollen Tierversuche stattfinden.

(3) In dem Bericht einer anderen EU-Expertenkommission (Scientific Committee on Consumer Products - SCCP) heißt es, dass es zurzeit keine mit Nanopartikeln validierten In-vitro-Methoden gäbe, weswegen Tierversuche unumgänglich seien.(4)

Das Bundesinstitut für Risikobewertung vertritt zwar eine vorwiegend Pro-in-vitro-Strategie, plant aber auch eine ganze Reihe von Tierstudien, zum Teil sogar als Grundlage, um die Eignung von In-vitro-Studien messen zu können.(2)

Die Forderung, Tierversuche durchführen zu müssen, weil keine validierten In-vitro-Verfahren vorhanden sind, ist wissenschaftlich unlogisch und ethisch nicht zu rechtfertigen. Bei der Validierung werden moderne Methoden in aufwendigen Testreihen mit Tierversuchen verglichen. Erst wenn sie die gleichen Ergebnisse liefern, werden sie anerkannt. Diese Art der Überprüfung der Tauglichkeit ist unsinnig. Tierversuche wurden selbst nie validiert und schon gar nicht für Nanopartikel. Der Plan des BfR, erst einmal Tierversuche durchzuführen, um neue, intelligente Verfahren damit vergleichen zu können, ist absurd.

Qualvoller Tod

Grausamste Tierversuche stehen also bevor. Ratten, Mäusen, Kaninchen und anderen Tieren werden Nanolösungen mit einer Schlundsonde in den Magen eingegeben, auf die Haut geschmiert oder die Tiere müssen sie einatmen. Schwere Schmerzen, Leiden und der Tod von unzähligen Tieren sind vorprogrammiert. In bereits durchgeführten Tierversuchen erlitten Ratten und Mäuse, die Nanopartikel eingeatmet hatten, zum Teil tödliche Lungenschäden.

Im Bereich der Grundlagenforschung wird bereits ausgiebig an Tieren geforscht. Goldummantelte Nanokugeln werden in Tumorzellen von Mäusen geschleust. Dort werden sie mit Infrarot bestrahlt. Die Strahlen schaden dem Gewebe nicht, aber die Nanokugeln erhitzen sich so stark, dass sie die Tumorzellen abtöten.(5) In den USA wurde mit Hilfe von Nanopartikeln das Sehvermögen von künstlich erblindeten Hamstern wiederhergestellt, indem Fasern aus Peptiden die durchtrennten Enden des Sehnervs überbrückten.(6) Blinde können wieder sehen, Lahme wieder laufen und Krebs und Schlaganfall sind besiegt. Solche fantastischen Verheißungen kennen wir schon von der Gentechnik und Stammzellforschung. Doch was im Tierversuch funktioniert, klappt beim Menschen noch lange nicht. Von dem frenetisch gefeierten Durchbruch hört man nie wieder etwas. Der Mensch ist eben doch keine Maus.

Russisches Roulette

Die Technik macht einen Quantensprung, aber in der medizinischen Forschung und bei der Risikobewertung verlässt man sich noch auf Methoden aus dem vorletzten Jahrhundert. Tierversuche erwiesen sich immer wieder als äußerst unzuverlässig, gerade auch im Bereich der Toxikologie. Unzählige Beispiele beweisen dies. Ratten bekommen zwar vom für den Menschen harmlosen Süßstoff Saccharin Krebs, vertragen aber Asbest in 300mal höheren Dosen als der Mensch, bevor auch bei ihnen Krebs entsteht.(7) Cortison verursacht bei Mäusen Missbildungen, bei Menschen nicht, bei Contergan ist es umgekehrt. In einer Vergleichsstudie wurde der Ätzungstests am Kaninchenauge (Draize-Test) von 20 Stoffen in 24 Laboratorien überprüft. Jeder dieser Stoffe wurde dabei in den verschiedenen Labors von 'nicht reizend' bis 'stark reizend' eingestuft.(8) Mit anderen Worten, beim Tierversuch kommt mal dies, mal jenes heraus. Die Sicherheit der Verbraucher kann mit einem solchen russischen Roulette auf jeden Fall nicht garantiert werden.

Genauer, schneller, besser, billiger

Die In-vitro-Forschung bietet heute schon eine ganze Palette an intelligenten Teststrategien. Die Frage, ob und wie Nanopartikel in den Körper gelangen, kann mit Hilfe von Kulturen von menschlichen Darm-, Lungen- und Hautzellen beantwortet werden. Die molekularen Mechanismen, d.h., was die kleinen Teilchen in der Zelle anrichten, kann im Reagenzglas erforscht werden. So vermischte ein Forscherteam aus Irland, Schweden und Großbritannien Nanopartikel mit menschlichen Beta-2-Mikroglobulinen. Diese, in jeder Zelle vorkommenden Eiweiße bildeten daraufhin verstärkt Fibrillen (Fasern), die die normale Zellfunktion blockierten. Ein solcher, Fibrillierung genannter Vorgang, tritt auch bei Alzheimer und BSE auf.(9) Mit Hilfe von Mikrochips kann die Aufnahme, Verstoffwechslung und Ausscheidung von Nanoteilchen erforscht werden, ähnlich wie in einem richtigen Organismus. Die Partikel zirkulieren dabei in einem System aus mit menschlichen Zellen verschiedener Organe ausgekleideten winzigen Röhren und Kammern auf einem Mikrochip.

Chance für einen Neuanfang

Es steht außer Frage, dass die Bevölkerung vor möglichen Schäden geschützt werden muss. Doch Tierversuche sind der falsche Weg. Sie sind nicht nur aus ethischen Gründen abzulehnen, sondern auch, weil sie eine ungeeignete Methode sind, um mögliche Risiken sicher einschätzen zu können. Der Tierversuch darf nicht länger Standard sein, an dem sich alles Neue messen lassen muss. Bei der Nanotechnologie besteht jetzt die seltene Chance, Tierversuche gleich von Anfang an zu vermeiden und damit den längst überfälligen Paradigmenwechsel einzuleiten. Der einzig richtige Weg ist, keinerlei Gelder in Tierversuche zu stecken, sondern ausschließlich in die Entwicklung von aussagekräftigen In-vitro-Systemen.

07.11.2008
Dr. med. vet. Corina Gericke

Quellen

(1) René Zimmer: Die Nanotechnologie in der gesellschaftlichen Wahrnehmung. Bundesinstitut für Risikoforschung. Vortrag am 22.03.2006 auf der Fortbildung für den Öffentlichen Gesundheitsdienst
(2) Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (bauna), Bundesamt für Risikoforschung (BfR), Bundesumweltamt: Nanotechnologie: Gesundheits- und Umweltrisiken von Nanopartikeln - Entwurf einer Forschungsstrategie, 1. August 2006.
(3) Scientific Committee on Emerging and Newly-Identified Health Risks (SCENIHR): Opinion on the appropriateness of the risk assessment methodology in accordance with the Technical. Guidance Documents for new and existing substances for assessing the risks of nanomaterials. Adopted on 21-22 June 2007 after public consultation.
(4) Scientific Committee on Consumer Products (SCCP): Perliminary Opinion on Safety of Nanomaterials in Cosmetic Products. Approved for public consultation on 19 June 2007.
(5) Kahn, J.: Neues aus der Nanotechnologie. National Geographic, Juni 2006, 132-156
(6) Nanotechnologie lässt blinde Hamster wieder sehen. 14. März 2006, N24.de, Netzzeitung
(7) Rodelsperger, K & Woitowitz, H-J (1995). Airborne fibre concentration and lung burden compared to the tumour response in rats and humans exposed to asbestos. Ann. Occup. Hyg. 39:715-725
(8) H. Spielmann: Alternativen in der Toxikologie, in: H.P. Gruber/H. Spielmann (Hrsg.): Alternativen zu Tierexperimenten, Spektrum Verlag, 1996, 108-126
(9) Linse, S., et al: Nucleation of protein fibillation by nanoparticles. PNAS 2007, 104(2), 8691-8696