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Stellungnahme von Ärzte gegen Tierversuche e.V.  zu den Lawinenversuchen der Universität Innsbruck an Schweinen

Im Skigebiet in Vent im Tiroler Ötztal sollten 29 Schweine für ein Lawinenexperiment der Universitätsklinik für Anästhesie Innsbruck bei lebendigem Leib im Schnee begraben werden. Damit sollte die Verschüttung durch Lawinen simuliert werden. Zehn Schweine sind bereits gestorben, bevor das Experiment vorläufig gestoppt wurde.

Die Vereinigung Ärzte gegen Tierversuche beurteilt diesen Tierversuch als besonders grausam und medizinisch irrelevant. Überaus alarmierend sind die verharmlosende Darstellung der Tierversuche und das Fehlen der ethischen Ebene. 

Die Ergebnisse aus Tierversuchen sind nicht geeignet, das Leben menschlicher Lawinenopfer zu retten. Zum einen sind Physiologie und Körperbau von Schwein und Mensch derart unterschiedlich, dass keine zuverlässigen Parallelen gezogen werden können. Eine Übertragung von Erkenntnissen aus Tierversuchen auf den Menschen stellt aufgrund falscher Rückschlüsse wissenschaftlich-medizinisch einen fatalen Irrweg dar. Tierexperimente an Schweinen im Bereich der Herz-Kreislaufforschung verdeutlichen die Fehlleistung des Systems 'Tierversuch' exemplarisch. So wird ein Herzinfarkt bei Schweinen oder auch Hunden durch Verschluss einer Herzkranzarterie, z. B. durch eine aufblasbare Manschette, simuliert. Die künstliche Erzeugung einzelner Symptome hat jedoch nichts mit den komplexen Erkrankungen des Menschen gemein. Bei diesen so genannten 'Tiermodellen' werden die Ursachen der Krankheitsentstehung nicht berücksichtigt. 

Zahlreiche wissenschaftliche Studien führen das Versagen der tierexperimentellen Forschung bei der Vorhersage von für den Menschen wirklich relevanten Ergebnissen, immer wieder vor Augen. Eine 10-jährige Langzeitstudie in Bayern beispielsweise zeigte auf, dass bei 51 untersuchten Tierversuchsanträgen die gewonnenen Erkenntnisse in keinem einzigen Fall in eine neue Therapie für Menschen umgesetzt werden konnten. (1)

Darüber hinaus ist es nicht akzeptabel, dass Tiere als Messinstrumente herangezogen werden. Schweine sind hochsensible, intelligente Lebewesen, deren Würde und Recht auf ein leidenfreies Leben bei diesen Versuchen missachtet wird. Auch eine Narkotisierung der Tiere kann die Experimente nicht rechtfertigen, da sie in jedem Fall mit dem Tod der Tiere enden und bereits Versuchsaufbau und –vorbereitung großen Stress bedeuten. Die von den Forschern und den Medien angeführte Relativierung, dass Millionen von Schweinen für den Fleischverzehr geschlachtet werden, kann ebenfalls nicht als Argument für die Tierversuche an Schweinen gelten. Ein Unrecht kann nicht durch ein anderes gerechtfertigt werden. 

Die Versuchsanordnung stellt in keiner Weise die Realität von Lawinenunglücken dar. Die Schweine sind anästhesiert, d.h. die Narkosemittel beeinflussen die physiologischen Reaktionen der Tiere. Bei einer tatsächlichen Lawine werden Menschen möglicherweise umhergewirbelt und nicht einfach nur eingegraben. Hinzu kommt der psychische Schock. Diese Faktoren können in einem Tierversuch nicht simuliert werden. Die Ergebnisse aus solchen Tierversuchen sind daher von vornherein wertlos. 

Eine gute Medizin funktioniert nur mit Hilfe anwendungsorientierter, praktikabler Methoden. Im Bereich der Grundlagenforschung gehört hierzu auch, zielgerichtete Untersuchungen anzustreben, anstatt realitätsfremde Studien ohne jede ethische Grenze durchzuführen. Erkenntnisse an der Zielspezies Mensch sind hier in jedem Fall aus medizinischer Sicht gewinnbringend und problemlos durchführbar, beispielsweise aufgrund der Möglichkeit, Daten aus tatsächlichen Lawinenunglücken zu sammeln und auszuwerten.

Wie die Wissenschaftler selbst einräumen (2), haben gerade solche Untersuchungen an Verschütteten und Auswertungen von Unfallprotokollen, sowie Versuche mit Probanden, in den letzten 20 Jahren die entscheidenden Erkenntnisse hinsichtlich der notfallmedizinischen Versorgung gebracht und zur Verbesserung und Neuentwicklung klinischer Behandlungsmethoden geführt. Hierdurch sei eine Reduktion der Sterberate von Lawinenopfern auf ein Viertel erreicht worden.

Das von den Antragstellern zur Rechtfertigung der Experimente an Schweinen hervorgebrachte Argument, die bislang unbekannte Ursache des so genannten Triple H Syndroms (Verschüttete ersticken nicht unmittelbar, sondern überleben bis zu zwei Stunden und tragen bei Wiedererwärmung an einer Herzlungenmaschine keinen Dauerschaden durch Sauerstoffmangel davon) untersuchen zu wollen, kann aus Sicht der Ärztevereinigung aufgrund der bereits aufgeführten Fakten weder einer ethischen, noch einer klinischen Relevanzanalyse standhalten. 

In der Stellungnahme der Universität heißt es, man wolle an den Schweinen die Theorie überprüfen, dass eine rasche Abkühlung ein Ersticken der Verschütteten verhindert. So würden Lawinenopfer nicht mehr für tot erklärt, sondern wiedererwärmt werden. Wenn aus entsprechenden Erfahrungsberichten das Phänomen bekannt ist, dass Menschen in Lawinen mehrere Stunden überleben können, ist die einzig logische Folgerung, dass dann alle Verschütteten nach Auffinden aufgetaut werden, bevor sie für tot erklärt werden. 

Die Rettung von Lawinenopfern ist nach Ansicht der Ärztevereinigung zudem am besten gewährleistet, wenn Gelder in die optimale Ausstattung mit Lawinensuchgeräten fließen sowie entsprechend geschultes Personal zur Verfügung steht, das auf Katastrophen und die klinische Situation von menschlichen Lawinenopfern eingestellt ist.

Sowohl aus ethischer, als auch aus medizinisch-wissenschaftlicher Sicht, ist der endgültige Stopp der Versuche an Schweinen zur Simulierung von Lawinenopfern geboten und darüber hinaus sicherzustellen, dass eine wirklich für den Menschen relevante klinische Forschung betrieben wird. Nur mit einer Forschung gänzlich ohne Tiere können für die praktische Anwendung am Menschen geeignete Erkenntnisse gewonnen werden.

22.01.2010
Dipl. - Biol. Silke Bitz

Quellen

(1) Lindl T, Völkl M, Kolar R: Tierversuche in der biomedizinischen Forschung. Altex, 2005; 22 (3); 143-151
(2) Lawinenstudie in Vent abgebrochen, Website der Medizinischen Universität Innsbruck, 15.1.2010