Herz aus Stein 2022
Wem gebührt das „Herz aus Stein 2022“?
Abstimmung über den schlimmsten Tierversuch des Jahres
Natürlich sind alle Tierversuche schlimm und alle Tierlabore haben diesen Negativpreis verdient! Das „Herz aus Stein“ steht für eine herzlose Forschung, bei der fühlende Lebewesen zu bloßen Messinstrumenten degradiert werden. Mit einer öffentlichen Online-Abstimmung wollen wir auf einige besonders absurde und grausame Tierversuche aufmerksam machen, die in Deutschland durchgeführt worden sind. Nominiert sind dieses Mal Einrichtungen aus Bonn, Bochum, Düsseldorf, Greifswald/Insel Riems und Würzburg. Die Auswahl beruht auf Einträgen in unserer Tierversuchs-Datenbank und diese basieren auf Fachartikeln der Experimentatoren selbst. Für den Preis 2022 haben wir Publikationen ausgewählt, die in den letzten zwei Jahren veröffentlicht wurden.
Der Gewinner
Der Negativpreis ging 2022 an die Poliklinik für zahnärztliche Chirurgie des Universitätsklinikums Düsseldorf für Versuche, in denen Hunden Zähne gezogen und Löcher in den Kiefer gebohrt werden. Die Online-Abstimmung lief vom 23.-31. März 2022. 4.304 Menschen nahmen teil. Die Stimmen verteilten sich wie folgt:
- Düsseldorf - 1.447 Stimmen
- Bochum - 1.117 Stimmen
- Insel Riems - 659 Stimmen
- Würzburg - 565 Stimmen
- Bonn - 516 Stimmen
Pressemitteilung vom 5. April 2022 >>
Die Kandidaten
Ort | Ganz kurz | Kurzbeschreibung | Hintergrund | |
1 |
Lehrstuhl für Zellphysiologie, Fakultät für Biologie und Biotechnologie, Ruhr-Universität Bochum |
Mäusen wird das Rückenmark gequetscht |
Neugeborenen Mäusen werden Kanülen in den Schädel gestoßen, durch die Virusvektoren ins Gehirn gespritzt werden. Das Rückenmark der Tiere wird mit einer Pinzette gequetscht. Bei einigen Mäusen werden Löcher in den Schädel gebohrt und verschiedene Substanzen in das Gehirn gespritzt. Das Bewegungsverhalten der Mäuse wird über 8 Wochen untersucht, dann werden sie getötet. mehr>> |
Mäusen wird das Rückenmark gequetscht, um den Einfluss genetischer Veränderungen oder eines bestimmten Stoffes auf die Nervenheilung zu untersuchen. |
2 |
Institut für Medizinische Mikrobiologie, Immunologie und Parasitologie, Universitätsklinikum Bonn |
Wüstenrennmäuse mit 120 Würmern in der Brust |
Mäuse und Gerbils (Wüstenrennmäuse) werden durch den Biss von Ratten-Milben mit einem Parasiten infiziert. Die Tiere erhalten täglich eine Testsubstanz in die Bauchhöhle gespritzt oder mit einer Schlundsonde verabreicht. Die Mäuse werden 35 Tage, die Gerbils 16 bis 18 Wochen nach der Infektion getötet. In der Brusthöhle der Gerbils werden bis zu 120 Würmer gefunden, die mehrere Zentimeter lang werden können. mehr >> |
Ein ausschließlich bei Nagetieren vorkommender Parasit wird als Modell verwendet, um Wirkstoffe gegen andere Parasiten beim Menschen zu untersuchen. |
3 |
Poliklinik für zahnärztliche Chirurgie, Universitätsklinikum Düsseldorf |
Zähne für den Knochenaufbau |
Beaglehunde werden dreimal operiert. In der 1. Operation werden 10 Zähne gezogen und Löcher in den Kiefer gefräst. In der 2. Operation werden zwei weitere Zähne gezogen. Der untere Teil der Zähne wird in die Löcher im Kiefer eingebracht. In der 3. Operation werden Titanimplantate in die zuvor eingebrachten Zahnhälften geschraubt. 3 Wochen danach werden die Hunde getötet. mehr >> |
Es wird an Hunden untersucht, ob sich Zähne als Aufbaumaterial für Kieferknochen eignen. |
4 |
Institut für Virusdiagnostik (IVD), Friedrich-Loeffler-Institut, Bundesforschungs-institut für Tiergesundheit, Greifswald/Insel Riems |
Schafe sterben qualvoll an Pockenseuche |
Schafe werden mit Viren der Pockenseuche angesteckt. Bei fast allen Schafen treten Fieber, Augen- und Nasenausfluss, Atemprobleme und Hautveränderungen auf. Ein Schaf stirbt nach 7 Tagen, andere werden später wegen ihres schlechten Gesundheitszustands getötet. 4 Wochen nach der Infektion werden die noch lebenden Tiere getötet. mehr >> |
Verschiedene Infektionsrouten und Virusstämme werden getestet, um ein „Modell“ für zukünftige Experimente an Schafen zu etablieren. |
5 |
Neurochirurgische Klinik und Poliklinik, Universitätsklinikum Würzburg |
Nach einem Hirntrauma lernen Mäuse schwerer |
Mäusen wird unter Narkose die Kopfhaut aufgeschnitten. Ein 95 g schweres Gewicht wird auf den Kopf fallen gelassen. Später werden Verhaltenstests durchgeführt. Dazu müssen die Tiere u.a. lernen, Türen zu öffnen, um an Wasser zu kommen oder es wird beobachtet, wie die hungrigen Tiere nach Futter greifen. 12 Wochen nach dem Trauma werden die Mäuse mit Kohlendioxid erstickt. mehr >> |
Der Zusammenhang zwischen einem Hirntrauma und den resultierenden Defiziten im Lern- und Erinnerungsvermögen wird untersucht. |
*Die Bilder sind Symbolfotos
Die Details
Kandidat 1
Institut: Lehrstuhl für Zellphysiologie, Fakultät für Biologie und Biotechnologie, Ruhr-Universität Bochum, Universitätsstraße 150, 44780 Bochum
Tiere: mindestens 68 Mäuse
Versuch: Den neugeborenen Mäusen wird unter Narkose die Kopfhaut aufgeschnitten. Kanülen werden durch die noch weiche Schädeldecke gestoßen, durch die Farbstoffe und Virusvektoren ins Gehirn gespritzt werden. Sieben Wochen später wird das Rückenmark der Tiere geschädigt. Dafür wird unter Narkose die Rückenhaut aufgeschnitten, das Dach des 8. Brustwirbels entfernt und das Rückenmark mit einer Pinzette für 2 Sekunden gequetscht. Bei einigen Mäusen werden Löcher in den Schädel gebohrt, durch die Virusvektoren und ein Eiweiß in das Gehirn gespritzt werden. Sechs Wochen später wird einem Teil der Mäuse ein Nervengift ins Gehirn gespritzt. Anderen Mäusen werden virale Vektoren in den Glaskörper der Augen gespritzt.
Das Bewegungsverhalten der durch die Rückenmarksverletzung gelähmten Tiere wird 8 Wochen lang beobachtet. Einige der Tiere erlangen bis zum Ende der Versuche keine Kontrolle über ihre Hinterbeine und leiden unter Spasmen, bei anderen bleiben schwere Beeinträchtigungen im Bewegungsablauf zurück. Acht Wochen nach der Rückenmarkquetschung müssen die Mäuse auf einem sogenannten Catwalk laufen. Dies ist ein schmaler Korridor mit einem Glasboden und einer darunter befindlichen Kamera, die das Laufmuster der Tiere aufzeichnet. Jede Maus überquert den Laufsteg dreimal. Dann wird den Mäusen unter Narkose eine Formaldehydlösung ins Herz gespritzt. Gehirn und Rückenmark werden für weitere Untersuchungen entnommen.
Hintergrund: Mäusen wird das Rückenmark gequetscht, um den Einfluss genetischer Veränderungen oder eines bestimmten Stoffes auf die Nervenheilung zu untersuchen.
Quelle: Leibinger M et al. Transneuronal delivery of hyper-interleukin-6 enables functional recovery after severe spinal cord injury in mice. Nature Communications 2021; 12: 391
Datenbank-ID: 5250
Kandidat 2
Institut: Institut für Medizinische Mikrobiologie, Immunologie und Parasitologie, Universitätsklinikum Bonn, Venusberg - Campus 1, 53127 Bonn
Tiere: mindestens 44 Wüstenrennmäuse und mindestens 42 Mäuse
Versuch: Die Mäuse und Wüstenrennmäuse werden durch den Biss von tropischen Ratten-Milben mit dem Parasiten Litomosoides sigmodontis infiziert. Die durch die Milbe übertragenen Larven wandern durch die Lymph- und Blutgefäße und durch die Lungen in den Brustraum der Tiere und wachsen dort zu Würmern heran. Die mit dem Parasiten infizierten Mäuse werden in verschiedene Gruppen unterteilt. Einem Teil der Mäuse wird täglich eine Testsubstanz in unterschiedlichen Konzentrationen in die Bauchhöhle gespritzt. Einem anderen Teil der Mäuse wird die Testsubstanz über einen Zeitraum von 2 Wochen täglich mit einer Schlundsonde verabreicht. Alle Mäuse werden 35 Tage nach der Infektion getötet.
Die mit dem Parasiten infizierten Wüstenrennmäuse werden 11 Wochen nach der Infektion in verschiedene Gruppen aufgeteilt. Ein Teil der Tiere erhält verschiedene Konzentrationen der Testsubstanz in die Bauchhöhle gespritzt, bei manchen Tieren einmal täglich, bei manchen zweimal täglich. Einige Tiere erhalten zusätzlich einen Wirkstoff, der täglich oral verabreicht wird. Die Wüstenrennmäuse werden 16 bis 18 Wochen nach Beginn der Verabreichung der Testsubstanz getötet. Die Brusthöhle der Tiere wird geöffnet, um die ausgewachsenen Würmer zu entnehmen. Dabei werden bis zu 120 Würmer gefunden, die einer anderen Studie derselben Autoren zufolge 6,5 cm Zentimeter lang werden können.
Hintergrund: Mäuse und Gerbils werden mit einem Parasiten infiziert der ausschließlich Nagetiere befällt. Er dient als Modell für andere Parasiten, die beim Menschen Erkrankungen auslösen.
Quelle: Schiefer A et al. Corallopyronin A for short-course antiwolbachial, macrofilaricidal treatment of filarial infections. PLOS Neglected Tropical Diseases 2020; 14(12): e0008930
Datenbank-ID: 5297
Kandidat 3
Institut: Poliklinik für zahnärztliche Chirurgie, Universitätsklinikum Düsseldorf, Moorenstraße 5, 40225 Düsseldorf
Tiere: 4 Hunde (Beagles)
Versuch: Die etwa einjährigen Beagles werden insgesamt dreimal unter Narkose operiert. In der ersten Operation werden den Hunden im Unterkiefer insgesamt 10 Zähne gezogen (auf jeder Seite 3 vordere Backenzähne und 2 hintere Backenzähne). Dann werden mit einem Metallfräser Löcher in den Knochen gebohrt. Die Wunden werden vernäht. In der zweiten Operation werden die beiden vorderen Backenzähne im Oberkiefer auf beiden Seiten gezogen. Der obere Teil der Zähne wird vom unteren Teil der Zähne abgetrennt. Der untere Teil wird entweder einer Hitze- und Druckbehandlung unterzogen oder nicht weiter behandelt.
Diese Zahnteile werden in die in der ersten Operation geschaffenen Löcher im Unterkiefer eingebracht und mit einer Schraube im Knochen verankert. Die Wundränder werden verschlossen und vernäht. Zwölf Wochen danach werden in einer weiteren Operation die Zahnfleischbereiche, unter den die Zahnteile positioniert sind, wieder aufgeschnitten und die Schrauben entfernt. Die in der zweiten Operation eingebrachten Zahnteile sind inzwischen angewachsen. In sie werden nun kommerziell erhältliche Zahnimplantate aus Titan geschraubt. Nach 3 Wochen Heilungszeit werden alle Hunde mit einer Überdosis eines Betäubungsmittels getötet. Gewebeproben aus den Kiefern werden entnommen und für weitere Untersuchungen verwendet.
Hintergrund: Es gibt bereits eine Reihe von Methoden zum Aufbau von Kieferknochen vor dem Setzen von Implantaten. Dennoch wird an Hunden untersucht, inwieweit sich Zähne mit unterschiedlicher Behandlung als mögliches Knochenaufbaumaterial im Kieferknochen eignen.
Quelle: Parvini P et al. Microstructural volumetric analysis of vertical alveolar ridge augmentation using autogenous tooth roots. Clinical Implant Dentistry and Related Research 2020; 22(5); 647-653
Datenbank-ID: 5238
Kandidat 4
Institut: Institut für Virusdiagnostik (IVD), Friedrich-Loeffler-Institut, Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit, Südufer 10, Insel Riems, 17493 Greifswald
Tiere: 16 Schafe
Versuch: Die 3 Monate alten Schafe werden in zwei Gruppen eingeteilt und mit der Pockenseuche angesteckt, einer Viruserkrankung, die bei Schafen und Ziegen vorkommt. Die erste Gruppe wird mit einem aus kranken Schafen in Indien isolierten Virus infiziert, die zweite Gruppe mit einem ähnlichen Virus aus Ägypten. Es werden drei verschiedene Wege der Ansteckung getestet: das Spritzen der Viren in die Vene, das Sprühen der Viren in die Nase und die Ansteckung durch den Kontakt mit infizierten Artgenossen. In den nächsten 4 Wochen werden wiederholt Blutproben sowie Mund- und Nasenabstriche genommen.
Alle Tiere bis auf eins entwickeln 3-6 Tage nach der Infektion Fieber, das bis zum Ende der Versuche anhält. Bei fast allen Schafen treten Augen- und teilweise blutiger Nasenausfluss, Bauchatmung, Atmungsgeräusche, Hautknoten und Hautwunden auf. Ein mit dem indischen Virus infiziertes Schaf stirbt 7 Tage nach der Infektion, die anderen Tiere dieser Gruppe werden später wegen ihres sehr schlechten Gesundheitszustands getötet. Aus der mit dem ägyptischen Virus infizierten Gruppe werden 6 Schafe „aus ethischen Gründen“ getötet. Vier Wochen nach der Infektion werden auch die 4 noch lebenden Tiere auf nicht genannte Art getötet. Ihre Lymphknoten und verschiedene Organe werden für weitere Analysen entnommen.
Hintergrund: Verschiedene Infektionsrouten und zwei Virusstämme der Pockenseuche der Schafe werden an Schafen getestet, um ein „Modell“ für die tierexperimentelle Erforschung des Virus zu etablieren.
Quelle: Wolff J et al. Establishment of a challenge model for sheeppox virus infection. Microorganisms 2020; 8(12): 2001
Datenbank-ID: 5257
Kandidat 5
Institut: Neurochirurgische Klinik und Poliklinik, Universitätsklinikum Würzburg, Josef-Schneider-Str. 11, Haus B1, 97080 Würzburg
Tiere: 39 Mäuse
Versuch: Den Mäusen wird unter Narkose die Kopfhaut aufgeschnitten und der Experimentator fixiert den Kopf des Tieres mit zwei Fingern. Es wird ein Schädeltrauma verursacht, indem aus 6 cm Höhe ein 95 g schweres Gewicht auf den Kopf der Tiere fallen gelassen wird. Das entspricht in etwa dem 4-fachen des eigenen Körpergewichts der Mäuse. Anschließend wird die Schädeldecke auf Knochenbrüche hin untersucht und die Haut zugenäht. Eine Stunde nach dem Trauma wird der Schweregrad der neurologischen Schäden beurteilt. Vier bis acht Wochen nach der Verletzung werden verschiedene Verhaltenstests durchgeführt. Dazu werden die Tiere (1) in einen Käfig gesetzt und müssen lernen Türen zu öffnen, um an eine Wasserflasche zu kommen, (2) auf eine Plattform gesetzt, von der geschlossene und offene Gänge abgehen, bevorzugt die Maus die dunklen Gänge, gilt das als ängstliches Verhalten, (3) in eine ihnen unbekannte hell beleuchtete Umgebung gebracht (4) und dabei beobachtet, wie sie hungrig nach gesüßten Haferflocken greifen. Zwölf Wochen nach dem Trauma werden die Mäuse mit Kohlendioxid getötet. Ihre Gehirne werden für weitere Untersuchungen entnommen.
Hintergrund: Der Zusammenhang zwischen einem Hirntrauma und den resultierenden Defiziten im Lern- und Erinnerungsvermögen wird untersucht.
Quelle: Lopez-Caperuchipi S et al. Posttraumatic learning deficits correlate with initial trauma severity and chronic cellular reactions after closed head injury in male mice. Experimental Neurology 2021; 341: 113721
Datenbank-ID: 5260