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Wem gebührt das „Herz aus Stein 2021“?

Abstimmung über den schlimmsten Tierversuch des Jahres

Natürlich sind alle Tierversuche schlimm und alle Tierlabore haben diesen Negativpreis verdient! Das „Herz aus Stein“ steht für eine herzlose Forschung, bei der fühlende Lebewesen zu bloßen Messinstrumenten degradiert werden. Mit einer öffentlichen Online-Abstimmung wollen wir auf einige besonders absurde und grausame Tierversuche aufmerksam machen, die in Deutschland durchgeführt worden sind. Nominiert sind Einrichtungen aus Oldenburg, Tübingen, Gießen, Köln und Hannover mit Tierversuchen. Die Auswahl beruht auf Einträgen in unserer Tierversuchs-Datenbank und diese basieren auf Fachartikeln der Experimentatoren selbst. Für den Preis 2021 haben wir Publikationen ausgewählt, die in den letzten zwei Jahren veröffentlicht wurden. 

Der „Gewinner“

Knapp die Hälfte der über 4.236 Stimmen  (2066 Stimmen = 49 %) der Abstimmung entfiel auf die AG Neurosensorik / Animal Navigation bzw. das Forschungszentrum Neurosensorik der Carl von Ossietzky Universität für einen Versuch an Mönchsgrasmücken. Dabei werden wild gefangenen Singvögeln Löcher in den Schädel gebohrt und sie werden später getötet. Die AG Neurosensorik / Animal Navigation stand in den vergangenen Jahren mehrfach in der öffentlichen Kritik, weil dort seit Jahren invasive Tierversuche an Rotkehlchen und anderen Singvögeln gemacht werden, um den magnetischen Sinn der Tiere zu ergründen. Nun steht der Forschungsbereich erneut im unrühmlichen Fokus. 

Am 6. Juli 2021 waren wir mit einer kleinen Delegation vor Ort, um den Negativpreis zu verleihen. Erwartungsgemäß wurde die Annahme abgelehnt. Pressemitteilung >>


Die Delegation der Ärzte gegen Tierversuche mit dem Betonherz.

Die Kandidaten

  Ort  Ganz kurz Kurzbeschreibung Hintergrund

1

Forschungszentrum Neurosensorik, Universität Oldenburg

Wildgefangenen Singvögeln werden Substanzen ins Gehirn gespritzt

Wildgefangene Singvögel (Mönchsgrasmücken) in fensterlosen Räumen bei Kunstlicht gehalten; Durch ein Bohrloch im Schädel wird eine Substanz zum Markieren von Nerven injiziert; die Vögel werden in einem runden Plexiglas-Käfig magnetischen Reizen ausgesetzt. Tötung, um Gehirn zu untersuchen. mehr>>

Forschungen zum magnetischen Sinn von Zugvögeln.

2

Medizinische Klinik Innere Medizin II, Universitätsklinikum Tübingen

Schlafentzug ist nicht gut fürs Immunsystem bei Mäusen

Mäuse werden wachgehalten, indem die Einstreu unter dem Tier ausgetauscht wird, um Nestbau zu verhindern, sobald das Tier eine Schlafhaltung einnimmt. Eine Blutvergiftung wird hervorgerufen, indem nach 6 Stunden Schlaf oder Wachheit eine tödliche Dosis Bakterien in die Schwanzvene injiziert wird. Innerhalb von 3-5 Tagen sterben alle Wach-Mäuse, die Schlaf-Mäuse sind nach 5 Tagen alle tot. mehr >>

Die Auswirkung von Schlaf oder Schlafentzug bei einer tödlichen Blutvergiftung wird untersucht. Die Autoren folgern, dass bei Mäusen der Schlaf für eine voll funktionsfähige angeborene Immunantwort unerlässlich ist.

3

Institut für Tierernährung und Ernährungsphysiologie, Justus-Liebig-Universität Gießen

Mäuse müssen rennen bis zum Umfallen

Mäuse bekommen das Vitamin Nicotinsäure (B-Komplex) entweder in normaler Menge oder in überhöhter Dosis ins Futter. Ausdauertrainingsprogramm auf einem Laufband während eines Versuchszeitraums von 42 Tagen. Die Geschwindigkeit des Laufbands wird dabei langsam erhöht, bis zur Erschöpfung der Tiere. Als Erschöpfung gilt, wenn die Maus 2x rückwärts hinfällt. Tötung durch Enthaupten. mehr >>

Im Rahmen der Sportmedizin wird untersucht, ob das Vitamin Nicotinsäure die Ausdauerleistung von Mäusen erhöht.

4

Max-Planck-Institut für Biologie des Alterns, Köln

Mäuse müssen hungern, um Lebenserwartung zu untersuchen

Manche Mäuse werden normal gefüttert, andere erhalten 2 Jahre lang nur halbe Futterration. Dann Wechsel des Nahrungsangebots, d.h. die gehungerten Mäuse erhalten so viel Futter, wie sie möchten und den bisher normal gefütterten Mäusen wird die Nahrung für 4 Wochen um 40% reduziert. Die zuvor unbegrenzt gefütterten Mäuse sterben schneller, als die Gruppe Mäuse, die von Hunger auf normale Menge Futter gesetzt wurde. mehr >>

Es ist seit langem bekannt, dass chronischer Hunger die Lebenserwartung bei verschiedenen Tierarten und auch Menschen verlängert. 800 Mäuse müssen sterben, um zu untersuchen, ob dies auch der Fall ist, wenn der Hunger erst im hohen Alter einsetzt.

5

Klinik für Psychiatrie, Sozialpsychiatrie und Psychotherapie, Medizinische Hochschule Hannover (MHH), Hannover

Alkoholentzug bei alkoholsüchtigen Ratten

Ratten bekommen entweder nur Wasser oder Wasser und Alkohol (5, 10 oder 20%). Alle 4 Wochen Alkoholentzug für 3 Tage, um Tiere süchtig zu machen. Nach einem Jahr werden manche Tiere getötet. Süchtigen Tieren wird Alkohol entzogen, dann 8 Tage lang Hirnhormone in Bauchhöhle gespritzt, um Alkoholverlangen herabsetzen. 3 Tage vor Ende der Hormonbehandlung wieder Alkohol angeboten. Dann Tötung. mehr >>

Es wird die Wirkung von zwei Hormonen des Gehirns auf den Alkoholkonsum bei alkoholsüchtigen Ratten nach einem Alkoholentzug untersucht.

 *Die Bilder sind Symbolfotos

Die Details

Kandidat 1

Institut: Forschungszentrum Neurosensorik, Universität Oldenburg, Carl-von-Ossietzky-Straße 9-11, 26129 Oldenburg

Tiere: 12 Mönchsgrasmücken

Versuch: Die Mönchsgrasmücken (Sylvia atricapilla) werden in der Umgebung der Universität Oldenburg mit sogenannten Japannetzen gefangen. Dabei handelt es sich um speziell für den wissenschaftlichen Vogel- und Fledermausfang konstruierte Netze, die aus sehr feinem Netzwerk bestehen, welches von den Vögeln kaum wahrgenommen wird. Japannetze werden fest aufgestellt so dass sich alle Vögel darin verfangen, die zufällig hineinfliegen. Die gefangenen Mönchsgrasmücken werden in Räumen ohne Fenster mit Kunstlicht zu zweit in Käfigen gehalten. Um den Tieren eine sogenannte Tracersubstanz zu injizieren, wird der Kopf der anästhesierten Vögel in einem speziell angefertigten Apparat fixiert. Nach der Öffnung der Kopfhaut wird der neuronale Tracer, eine Markierungssubstanz, die Nerven markiert, durch ein kleines Fenster im Schädel durch Injektionen in bestimmte Regionen des Gehirns verabreicht. Das Loch im Schädel wird mit chirurgischem Kleber verklebt und die Haut zugenäht. Nach der Operation dürfen sich die Tiere 3-6 Tage erholen.

Für die eigentlichen Versuche werden einzelne Vögel in einem runden Plexiglas-Käfig in einem speziellen Gebäude untergebracht, wo sie unterschiedlichen magnetischen Reizen ausgesetzt werden. Die Vögel werden mit Infrarotkameras überwacht. Zu bestimmten Zeitpunkten werden die Tiere getötet, indem unter Narkose Formalin ins Herz injiziert wird, bis alles Blut ausgetauscht ist. Das Gehirn wird in Scheiben geschnitten und untersucht.   

Hintergrund: Forschungen zum magnetischen Sinn von Zugvögeln.

Quelle: Kobylkov D et al. A newly identified trigeminal brain pathway in a night-migratory bird could be dedicated to transmitting magnetic map information. Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences 2020; 287: doi:10.1098/rspb.2019.2788

Kandidat 2

Institut: Medizinische Klinik Innere Medizin II, Universitätsklinikum Tübingen, Otfried-Müller-Straße 10, 72076 Tübingen

Tiere: mindestens 287 Mäuse

Versuch: 
Für die Versuche werden Mäuse zu Beginn ihrer Schlafphase 6 Stunden lang wachgehalten. Das heißt, wann immer das Tier eine Schlafhaltung einnimmt wird die Einstreu unter dem Tier weggenommen und neue hingelegt, um ein Nestbauverhalten zu verhindern. Andere Gruppen von Mäusen werden nicht gestört und können normal schlafen. Dann werden Mäuse beider Gruppen durch CO2-Erstickung getötet. Blut wird aus dem Herzen entnommen und Milz und Knochenmark untersucht.

Um die Wirkung von bestimmten Rezeptoren während des Schlafes zu analysieren, wird Gruppen von Mäusen das Gift von Keuchhustenbakterien injiziert. Diese Mäuse werden direkt nach 6 Stunden Schlafentzug oder nach Schlaf getötet. Bei anderen Gruppen von Mäusen wird eine Sepsis (Blutvergiftung) mit dem Bakterium Yersinia enterocolitica hervorgerufen. Dazu wird nach 6 Stunden Schlaf oder Wachheit eine tödliche Dosis der Bakterien in die Schwanzvene injiziert. Innerhalb von 3-5 Tagen sterben alle Wach-Mäuse, die Schlaf-Mäuse sind nach 5 Tagen alle tot.

Hintergrund: Die Auswirkung von Schlaf oder Schlafentzug bei einer tödlichen Blutvergiftung wird untersucht. Die Autoren folgern, dass der Schlaf bei Mäusen für eine voll funktionsfähige angeborene Immunantwort unerlässlich ist.

Quelle: Hahn J et al. Sleep enhances numbers and function of monocytes and improves bacterial infection outcome in mice. Brain Behavior, and Immunity 2020; 87: 329-338

Kandidat 3

Institut: Institut für Tierernährung und Ernährungsphysiologie, Justus-Liebig-Universität Gießen, Heinrich-Buff-Ring 26-32, 35392 Gießen

Tiere: 30 Mäuse

Versuch: Die Mäuse werden in drei Gruppen eingeteilt. Gruppe 1 und 2 bekommt Nicotinsäure in normaler Menge ins Futter gemischt, Gruppe 3 in hoher Dosis. Nicotinsäure ist ein Vitamin aus dem B-Komplex und wird auch Vitamin B3 genannt. Die Tiere aus den Gruppen 2 und 3 absolvieren fünfmal pro Woche 35 Minuten pro Tag ein Ausdauertrainingsprogramm auf einem Laufband während eines Versuchszeitraums von 42 Tagen. Die Geschwindigkeit des Laufbands wird dabei langsam erhöht, bis zur Erschöpfung der Tiere. Als Erschöpfung wird angesehen, wenn die Maus zweimal rückwärts auf das Laufband fällt. Alle Mäuse werden am 43. Tag des Experiments unter Kohlendioxid-Anästhesie enthauptet, um ihre Muskeln zu untersuchen.

Hintergrund: Im Rahmen der Sportmedizin soll untersucht werden, ob das Vitamin Nicotinsäure die Ausdauerleistung von Mäuse erhöht. 

Quelle: Ringseis R et al. Nicotinic acid improves endurance performance of mice subjected to treadmill exercise. Metabolites 2020; 10: 138. doi:10.3390/metabo10040138 

Kandidat 4

Institut: Max-Planck-Institut für Biologie des Alterns, Joseph-Stelzmann-Straße 9B, 50931 Köln

Tiere: 800 Mäuse

Versuch: Im Alter von 12 Wochen werden 400 Mäuse normal ernährt, d.h., sie bekommen so viel Futter, wie sie möchten (ad libitum). Bei 400 Mäusen wird die Futtermenge innerhalb von 4 Wochen stark reduziert. An einer Stelle heißt es, die Tiere bekommen 40%, an einer anderen 60% der Futtermenge, die die Ad-libitum-Mäuse essen. In jedem Fall leiden die Mäuse für die nächsten 2 Jahre ständigen Hunger. Hunger wird hier beschönigend als „diet restriction“, also Nahrungsbeschränkung bezeichnet.

Die hungernden Mäuse wiegen die ganzen 2 Jahre lang etwa 30 g, während die ad libitum gefütterten Mäuse durchschnittlich auf 55 g an Gewicht zunehmen. Nach 2 Jahren sind 86 Mäuse der gefütterten Gruppe und 16 Tiere der Ad-libitum-Gruppe gestorben. Mäuse werden normalerweise kaum älter als 2 Jahre. Nun erfolgt bei jeweils etwa der Hälfte der beiden Gruppen ein Wechsel des Nahrungsangebots, d.h. die gehungerten Mäuse erhalten nun so viel Futter, wie sie möchten und den bisher normal gefütterten Mäusen wird die Nahrung über die nächsten 4 Wochen um 40% reduziert. Die zuvor ad libitum gefütterten Mäuse sterben schneller, als die Gruppe Mäuse, die von Hunger auf ad libitum Futter gesetzt wurde. 2 Monate nach dem Futterwechsel werden alle überlebenden Mäuse durch Genickbruch getötet, um ihre Gewebe zu untersuchen.  

Hintergrund: Es ist seit langem bekannt, dass chronischer Hunger die Lebenserwartung bei verschiedenen Tierarten und auch Menschen verlängert. Hier soll an Mäusen untersucht werden, ob dies auch der Fall ist, wenn der Hunger erst im hohen Alter einsetzt.  

Quelle: Hahn O et al. A nutritional memory effect counteracts the benefits of dietary restriction in old mice. Nature Metabolism 2019; 1: 1059-1073

Kandidat 5

Institut: Klinik für Psychiatrie, Sozialpsychiatrie und Psychotherapie, Medizinische Hochschule Hannover (MHH), Carl-Neuberg-Straße 1, 30625 Hannover

Tiere: 90 Ratten

Versuch: 60 Ratten bekommen je drei Flaschen mit unterschiedlichem Alkoholgehalt (5, 10 und 20%) und eine Flasche mit Wasser. 30 Ratten („Kontrolltiere“) bekommen vier Flaschen mit Wasser. Die Ratten werden in 9 Gruppen mit je 10 Tieren eingeteilt – sechs Gruppen bekommen Alkohol und 3 bekommen nur Wasser. Alle vier Wochen wird der Alkohol für drei Tage entzogen, indem die Alkoholflaschen aus den Käfigen entnommen und nach 3 Tagen wieder zurückgesetzt werden. So werden die Ratten süchtig gemacht. Der Flüssigkeitsgehalt jeder Flasche wird täglich gemessen, um den Alkoholkonsum der Tiere zu bestimmen. Ein Jahr nach dem Beginn des Experiments werden 9 Ratten aus der Alkohol-Gruppe und 9 aus der Kontrollgruppe getötet. Die Tötung erfolgt, indem unter CO2-Narkose mit einer Spritze ins Herz gestochen wird, um eine Blutprobe zu entnehmen, und anschließender Köpfung. Nun wird den süchtigen Ratten der Alkohol entzogen und bei den Kontroll-Ratten werden 3 von 4 Wasserflaschen entfernt. 16 Tiere (8 Alkohol- und 8 Kontroll-Ratten) werden einen Tag danach und 18 Tiere (9+9) 6 Tage danach auf die oben beschriebene Weise getötet. Nach sechs Tagen Alkoholentzug wird den restlichen 29 Tieren täglich über 8 Tage entweder ein von zwei unterschiedlichen Hormonen des Gehirns oder eine wirkungslose Lösung in der Bauchhöhle gespritzt. Die Hormone sollen das Alkoholverlangen herabsetzen. An den letzten drei Tagen von dieser Behandlung bekommen die Tiere wieder die Alkoholflaschen. Am achten Tag werden alle 29 Tiere wie oben beschrieben getötet. Neun Tiere sterben aus unbekannten Gründen bevor das Experiment beendet ist.

Hintergrund: Es wird die Wirkung von zwei Hormonen des Gehirns auf den Alkoholkonsum bei alkoholsüchtigen Ratten nach einem Alkoholentzug untersucht.

Quelle: Müschen LH et al. Alcohol withdrawal and proopiomelanocortin neuropeptides in an animal model of alcohol dependence. Neuropsychobiology 2019; 78: 118-127