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…und die Zahl kann noch steigen

Die Chemikalienverordnung REACH (Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals) verpflichtet Hersteller und Importeure von Chemikalien, diese zu registrieren und ihre Eigenschaften und insbesondere Giftigkeit (Toxizität) zu bewerten. Dass dafür meist Tierversuche durchgeführt werden, ist kein Geheimnis. Doch wie viele Tiere der Verordnung tatsächlich zum Opfer fallen, war bisher nicht öffentlich bekannt. Nun publizierte das Center for Alternatives to Animal Testing (CAAT) eine Studie, die das wahre Ausmaß des „Tierverbrauchs“ ans Licht bringt.

REACH trat 2007 in Kraft und betrifft eine breite Palette von Chemikalien, die in Mengen von einer Tonne oder mehr pro Jahr in der EU hergestellt oder importiert werden. Die Verordnung verlangt eine umfassende Sicherheitsbewertung der Chemikalien, wofür Tiere in verschiedenen Testabläufen der zu untersuchenden Chemikalie ausgesetzt werden, um die Giftigkeit der Substanz auf die Tiere selbst und ihre Nachkommen zu bewerten. Beispielsweise werden die zu testenden Substanzen Nagetieren für bis zu 90 Tage täglich per Schlundsonde in den Magen verabreicht, wobei die Menge der Chemikalie so gewählt wird, dass toxische Effekte zu erwarten sind. Die Tiere werden beobachtet, am Ende der Versuche getötet und untersucht. Wie viele Tiere für REACH in solchen und ähnlichen Tests leiden und sterben mussten, war bisher nicht bekannt.

Nun legt eine aktuelle Studie des Center for Alternatives to Animal Testing (CAAT) erstmals Zahlen für drei der in REACH geforderten Testkategorien vor (1). Diese Kategorien beinhalten die Reproduktionstoxizitätstests, Entwicklungstoxizitätstests und Toxizitätstests bei wiederholter Verabreichung (s. Beschreibung oben). Bis Ende letzten Jahres wurden EU-weit allein in diesen 3 Kategorien 2,9 Millionen Tiere eingesetzt. Zusätzlich befinden sich 1,3 Millionen Tiere in aktuellen Versuchen, die noch nicht abgeschlossen sind. Somit übertrifft die Tierzahl mit bisher 4,2 Millionen Tieren in diesen 3 Kategorien bereits die von der Europäischen Kommission im Jahr 2004 erwartete Gesamtzahl von 2,6 Millionen Tieren für alle REACH-Tests. Dabei bleibt eine Vielzahl von Tests in der Studie bisher unberücksichtigt. Dies betrifft beispielsweise die akute Toxizität, die Genotoxizität sowie Ökotoxizitätstests, sodass die tatsächliche Zahl der zur Umsetzung von REACH eingesetzten Tiere noch höher ist.

Die nun veröffentlichten Zahlen sind umso erschreckender, als es eine ganze Reihe tierversuchsfreier Verfahren zur Sicherheitsbewertung gibt, welche eine Bewertung der Toxizität beispielsweise anhand von aus menschlichen Zellen bestehenden Organoiden ermöglichen. So konnte kürzlich gezeigt werden, dass sich sogenannte Organ-Chips mit humanen Leberzellen besser dazu eignen, die Lebertoxizität von Substanzen zu bestimmen, als Tierversuche (2) und es wird erwartet, dass solche tierversuchsfreie Testverfahren Tierversuche zur Sicherheitsbewertung ablösen werden (3).

Es gibt also bereits leistungsstarke tierversuchsfreie Methoden. Viele dieser Verfahren werden innerhalb von REACH aber noch nicht anerkannt. Lediglich Read-Across-Verfahren werden als sogenannte Alternative zu Tierversuchen akzeptiert. Beim Read-Across werden Daten zur Toxizität von bereits gut untersuchten chemischen Verbindung auf strukturell ähnliche Substanzen übertragen. Die Studie des CAAT zeigt, dass der Read-Across-Ansatz zwar häufig beantragt wird, jedoch nur in ca. einem Viertel der Fälle von der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) auch akzeptiert wird.

Dass die Zahlen der in REACH eingesetzten Tiere so hoch sind, obwohl in der REACH-Verordnung festgeschrieben ist, dass Tierversuche nur als „letztes Mittel“ durchgeführt werden dürfen, etwa, wenn keine anderen Testmethoden verfügbar sind, zeigt einmal mehr, wie langsam die Behörden auf den aktuellen Stand der Wissenschaft reagieren. In der EU wird zudem eine Überarbeitung der REACH-Verordnung diskutiert, für die ein Entwurf bis Ende des Jahres erwartet wird. Es ist zu befürchten, dass diese Änderungen zu einer weiteren Steigerung des „Tierverbrauchs“ führen werden (4).

Angesichts der nun veröffentlichten erschütternden Zahlen fordern wir, dass bereits vorhandene tierversuchsfreie Verfahren zur Bewertung der Chemikaliensicherheit umgehend zugelassen und verwendet werden und die Entwicklung weiterer tierfreier Verfahren endlich umfangreich gefördert wird.

Dr. rer. nat. Johanna Walter

Weitere Infos

REACH >> 

Quellen

  1. Knight J. 4.2 million and counting… The animal toll for REACH systemic toxicity studies. ALTEX 2023; doi: 10.14573/altex.2303201
  2. Ewart L. et al. Performance assessment and economic analysis of a human Liver-Chip for predictive toxicology. Communications Medicine 2022; 2(1):154
  3. Schmeisser S. et al. New approach methodologies in human regulatory toxicology – Not if, but how and when! Environment International 2023; 178:108082
  4. Rovida C. REACH out-numbered! The future of REACH and animal numbers. ALTEX 2023; doi: 10.14573/altex.2307121