Non-fiction: Digitale menschliche Zwillinge auf dem Vormarsch
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EU fördert humanbasierte Technologien mit 80 Millionen Euro
Ende 2023 startete die Europäische Kommission die Initiative „Virtuelle Menschliche Zwillinge“ (Virtual Human Twins, VHT). Im Rahmen dessen sollen digitale Nachbildungen von Menschen erstellt werden, um die Forschung und Entwicklung zu unterstützen. Solche virtuellen Zwillinge könnten beispielsweise genutzt werden, um personalisierte medizinische Behandlungen zu konzipieren und die Auswirkungen von Medikamenten zu testen, ohne dabei reale Menschen oder Tiere zu gefährden. Langfristig könnte dies zu erheblichen Fortschritten in der Präzisionsmedizin führen und die Effizienz klinischer Studien verbessern.
Dass diese Technologie mehr als zukunftsträchtig und als extrem wichtig angesehen wird, machen auch die Zahlen deutlich, mit denen diese Initiative mit verschiedenen Arbeitsprogrammen in 2023 und 2024 gefördert wird: ganze 80 Millionen Euro stellt die EU über Horizon Europe bereit (das EU-Rahmenprogramm für Forschung und Innovation, Laufzeit von 2021 bis 2027) – für mehrskalige Computermodelle der Patientenpathophysiologie im Rahmen personalisierten Krankheitsmanagements. 24 Millionen Euro werden zudem über das Digital Europe Programme (DIGITAL) verfügbar für den Aufbau einer digitalen Plattform. Durch dasselbe Programm werden weitere 5 Millionen Euro in eine europäische digitale Infrastruktur gesteckt, die die Daten von Intensivstationen in Computermodelle umsetzt, sowie 20 Millionen Euro für die Initiative Innovative Gesundheit (IHI) für Maßnahmen zur umfassenden Schlaganfallbehandlung mit vorhersagenden Computermodellen, integrierten Patientengesundheitsdaten und verbesserter Visualisierung. Ein weiteres Ziel ist, dass darüber hinaus diese Maßnahmen durch einzelne Mitgliedsstaaten unterstützt werden.
Das EDITH (Ecosystem Digital Twins in Healthcare) ist eins dieser Programme, in denen Forscher aus ganz Europa gemeinsam eine Roadmap entwickeln, die wie ein Fahrplan darstellt, wie der Entwicklungsprozess ausgehend von Daten aus Einzelorgansystemen hin zu einem multiorganischen Ganzkörperzwilling gelingen kann. Zudem sollen bereits bestehende Digitale Zwillingsinitiativen vernetzt werden, um Datenmengen zu bündeln und das Prinzip noch effizienter und sicherer zu machen.
Diese Programme sind wichtige Schritte auf dem Weg sowohl zu einer personalisierten Medizin, also den einzelnen Patienten individuell betreffend, als auch hochrelevant für z.B. klinische Studien für neue Medikamente, da hier im Idealfall eine große Masse an menschlichen Daten vorliegen sollte. Ein weiterer wichtiger potenzieller Einsatzpunkt wären präklinische Studien, die auch heutzutage hauptsächlich unter der Verwendung von Tieren durchgeführt werden. Diese sind aufgrund der Speziesunterschiede für die hohe Scheiternsquote von über 90 % hauptverantwortlich und behindern regelrecht eine effektive Therapiefindung. Die neuen Methoden wie Organoide und Multi-Organ-Chips werden insbesondere von Pharmafirmen eingesetzt, da sie eine bessere Vorhersagbarkeit der menschlichen Reaktion auf eine Substanz bieten. Diese Firmen betonen zudem die Vorteile der Kostenreduktion und der schnelleren Ergebniserzielung durch die Verwendung dieser NAMs (Non Animal Methods; Nicht-tierische Methoden). Digitale Lösungen wie Digitale Zwillinge leisten hier eine wichtige Ergänzung.
Bei einer Investition in diese neuartigen, vielversprechenden Methoden bestehen also drei Vorteile: Die Biomedizin wird sicherer, schneller und günstiger. In Deutschland laufen Fördergelder zu 99 % in tierversuchsbasierte Projekte, dabei wären sie in diesen „neuen“ Bereichen wie Organoid- und KI/Digital-Technologien deutlich besser aufgehoben. Tierversuche konnten die Medikamentenerfolgsquote von gerade einmal 5-7 Prozent in den letzten zwei Jahrzehnten nicht anheben – sogar im Gegenteil, diese ist in den letzten Jahren noch gefallen.
Europa macht es vor – nun müsste Deutschland nachziehen, wenn es den Anschluss an die moderne, effektive Forschung und Entwicklung nicht verpassen möchte. Dies wäre auch ein wichtiger Anreiz, um die Spitzenforscher der Gegenwart und Zukunft im Land zu halten.