Mini-Gehirne revolutionieren die Forschung
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Gehirnorganoide – winzige, im Labor gezüchtete Modelle des menschlichen Gehirns – sind moderne Forschungssysteme, die zahlreiche Fragen, die man über Jahrzehnte erfolglos in Tierversuchen erforscht hat, humanrelevant und tierleidfrei beantworten können. Zwei aktuelle Studien zeigen eindrucksvoll das Potenzial dieser Technologie: Während US-Forscher mit dem System „Brainoware“ lebende Mini-Gehirne mit Computertechnik verbinden, um neue Wege in der KI und der Diagnose neurologischer Erkrankungen zu beschreiten, untersucht ein Team des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie in München den Einfluss von Stress in der Schwangerschaft auf die Gehirnentwicklung. Beide Arbeiten verdeutlichen, wie Gehirnorganoide als Schlüsseltechnologie das Verständnis neurologischer und psychiatrischer Erkrankungen revolutionieren könnten.
Brainoware: Wie lebende KI die Forschung an Gehirnkrankheiten revolutioniert
US-amerikanische Forschende haben ein neuartiges Biocomputing-System namens „Brainoware“ entwickelt, das Computer-Hardware mit dreidimensionalen Modellen des menschlichen Gehirns, sogenannten Gehirnorganoiden, kombiniert (1). Ziel dieser innovativen Forschung ist es, die Komplexität des menschlichen Gehirns besser zu verstehen, um neue Ansätze für die Behandlung neurologischer Erkrankungen zu ermöglichen.
Gehirnorganoide, die im Labor aus menschlichen Stammzellen gezüchtet werden, erlauben es den Forschern, Prozesse der Gehirnentwicklung und -funktion auf zellulärer Ebene zu analysieren. Durch ihre Integration in ein computergestütztes System wollen die Forscher entschlüsseln, wie das Gehirn Informationen verarbeitet, und so Einblicke in die Entstehung von Erkrankungen wie Alzheimer, Parkinson oder Autismus gewinnen.
„Brainoware“ hat bereits demonstriert, dass Gehirnorganoide Aufgaben wie Spracherkennung und das Lösen mathematischer Gleichungen bewältigen können. Diese Fähigkeiten eröffnen vielversprechende Perspektiven für die Entwicklung neuer Diagnosewerkzeuge und Therapien bei neurologischen Erkrankungen. So könnten etwa personalisierte Behandlungsstrategien entstehen, indem die Reaktion von Organoiden auf bestimmte Medikamente getestet wird. Langfristig soll die Forschung an „Brainoware“ nicht nur zur Entwicklung energieeffizienter KI-Systeme beitragen, sondern auch neue Modelle für das Verständnis und die Therapie neurologischer Erkrankungen liefern.
Einfluss von Stress in der Schwangerschaft erforscht
Stress während der Schwangerschaft ist keine Seltenheit und kann die Entwicklung des ungeborenen Kindes beeinträchtigen. Studien zeigen, dass erhöhte Stresshormone, sogenannte Glukokortikoide, das empfindliche Gleichgewicht der Nervenzellen im sich entwickelnden Gehirn des Kindes verändern können. Eine neue Studie des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie, München, hat diesen Zusammenhang genauer untersucht – mit Hilfe von Gehirnorganoiden (2,3)
Gehirnorganoide sind winzige, dreidimensionale Modelle des menschlichen Gehirns, die aus Stammzellen gezüchtet werden. Sie ermöglichen es, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die komplexen Entwicklungsprozesse des Gehirns im Labor nachzustellen und zu erforschen. Dadurch lassen sich Einblicke gewinnen, die mit Tierversuchen nicht möglich wären.
Um den Einfluss von Stresshormonen auf die Gehirnentwicklung zu untersuchen, setzten die Forschenden die Gehirnorganoide synthetischen Glukokortikoiden aus. Dies simulierte eine erhöhte Hormonbelastung während der frühen Schwangerschaft. Die Ergebnisse zeigen, dass sich das Verhältnis von hemmenden zu erregenden Neuronen in den behandelten Organoiden verschob. Hemmende Neuronen dämpfen die Gehirnaktivität, während erregende Neuronen sie fördern. Ein Ungleichgewicht zwischen diesen beiden Zelltypen kann die Entstehung von neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen begünstigen.
Die Studie verdeutlicht, dass Umweltfaktoren wie Stress die Gehirnentwicklung beeinflussen können. Damit zeigt sich, dass nicht nur genetische Faktoren, sondern auch äußere Einflüsse eine entscheidende Rolle für unsere Entwicklung spielen. Gehirnorganoide bieten eine vielversprechende Möglichkeit, diese komplexen Zusammenhänge im Labor zu erforschen. Sie eröffnen neue Perspektiven für das Verständnis neurologischer Erkrankungen und die Entwicklung innovativer Therapieansätze.
Quellen
- Cai et al. Brain organoid reservoir computing for artificial intelligence. Nature Electronics 2023; 6: 1032-1039
- Dony L. et al. Chronic exposure to glucocorticoids amplifies inhibitory neuron cell fate during human neurodevelopment in organoids. Science Advances 2025; 11(7): eadn8631
- Stress verändert neuronales Gleichgewicht bei der Gehirnentwicklung. Max-Planck-Institut für Psychiatrie, 17.02.2025