Sprache auswählen

To Homepage

Ärzteverein kritisiert das 3R-Konzept und seine Auswüchse

Laut eines im Juni veröffentlichten Artikels sollen am Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und Angewandte Ökologie und der Uni Gießen Raupen anstelle von Mäusen für die Erforschung von Darmerkrankungen des Menschen verwendet werden. Der bundesweite Verein Ärzte gegen Tierversuche kritisiert, dass vermeintlich „niedriger“ eingestufte Tiere als „Ersatz“ für Tierversuche herhalten sollen. Er fordert eine Umstellung auf rein tierversuchsfreie Methoden.

Das sogenannte 3R-Konzept wurde in den 50er Jahren entwickelt und sollte eine Leitlinie für einen ethischeren Umgang mit Tieren in der Wissenschaft geben. Es zielt darauf ab, das Leid der Versuchstiere zu mindern. Dafür sollen Tierversuche ersetzt (Replacement), die Anzahl der eingesetzten Tiere reduziert (Reduction) und Schmerzen der Tiere verringert (Refinement) werden. Dabei gelten auch Methoden als „Replacement“, bei denen eine Tierart, z.B. die Maus, gegen eine vermeintlich weniger leidensfähige Art wie ein Insekt ausgetauscht wird.

„Das 3R-Konzept beruht auf der Annahme, dass das System Tierversuch generell sinnvoll ist (1). Es berücksichtigt nicht, dass Tierversuche aufgrund von Speziesunterschieden häufig falsche oder nicht auf den Menschen übertragbare Ergebnisse liefern“, erläutert Dr. Johanna Walter, wissenschaftliche Referentin bei Ärzte gegen Tierversuche. „Zudem kann das 3R-Konzept dazu führen, dass Forschende sich in ihren Methoden sogar noch weiter weg vom Menschen bewegen, anstatt mit modernen und tierversuchsfreien Methoden näher zum Menschen hin“, so Walter weiter.

In einer gemeinsamen Arbeitsgruppe des Fraunhofer Instituts und der Universität Gießen werden Raupen des Tabakschwärmers als „Modellsystem“ für entzündliche Darmerkrankungen wie Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa eingesetzt. Nicht weil das den Menschen und seine Erkrankung besonders gut nachbildet. Als Vorteile sehen die Forschenden vielmehr, dass die Raupen mit über 6 cm recht groß sind und sie sich einfacher und günstiger als Mäuse halten lassen (2). Ein weiterer wichtiger Grund dürfte sein, dass Versuche an Insekten keiner Genehmigung bedürfen. So gelten die Versuche an Raupen sogar als Ersatz für Tierversuche.

Den Insektenlarven werden Chemikalien oder Bakterien mit dem Futter verabreicht, um eine Darmentzündung auszulösen. Einem Teil der Raupen wird dann der entzündungshemmende Wirkstoff Kortison gespritzt. Um die Schwere der Darmentzündung zu beurteilen, werden die Tiere auf Eis gelegt, damit sie sich nicht mehr bewegen können und dann mit Klebeband auf einer Pappe befestigt. So fixiert werden sie mit einem bildgebenden Verfahren untersucht. Zusätzlich werden sogenannte Überlebenskurven erstellt. Das heißt, die Raupen werden wie oben beschrieben behandelt und dann wird täglich überprüft, wie viele von ihnen an dem Versuch sterben (3).

„Dass Tierversuchsbefürworter die in diesen Versuchen eingesetzten Tiere auf einen ‚Darm auf Beinen‘ reduzieren und moderne tierversuchsfreie Forschungsansätze nicht einmal erwähnen, ist bezeichnend“, bemängelt Walter „Der Darm der Raupe unterscheidet sich aber wesentlich von dem des Menschen, bspw. in seiner Anatomie, dem Immunsystem und in der Nahrung, die er verarbeiten und vertragen kann. Tabakschwärmer-Raupen ernähren sich bevorzugt von Tabakpflanzen. Die daraus resultierenden Unterschiede im Darmmikrobiom tragen weiter zu den Unterschieden zwischen dem Darm von Mensch und Raupe bei“, erläutert Walter weiter. Dass dies dazu führt, dass die mit den Raupen gewonnenen Erkenntnisse sich nicht auf den Menschen übertragen lassen, ist den Forschenden aus Gießen durchaus bewusst. So sehen sie die Versuche an Raupen auch als Grundlage für weitere Versuche an Säugetieren. „Ob also überhaupt Versuche an anderen Tieren eingespart werden oder nun zusätzlich noch eine große Zahl an Raupen leiden muss, ist völlig ungewiss“, kritisiert Walter.

Um Tiere vor dem Leid der Tierversuche zu bewahren und eine für den Menschen und seine Erkrankungen wirklich sinnvolle Forschung zu betreiben, bedarf es des Einsatzes ausschließlich tierversuchsfreier und auf den Menschen ausgerichteter Methoden. Dass dies möglich ist, zeigt eine Vielzahl von tierversuchsfreien Modellsystemen, die bspw. unter Verwendung menschlicher Zellen entwickelt wurden. Zuletzt berichtete Ärzte gegen Tierversuche in diesem Zusammenhang von menschlichen Darm-Organoiden, die menschliche Immunzellen beinhalten und mit denen in klinischen Studien beobachtete schwere Nebenwirkungen von Medikamenten untersucht und verstanden werden können (4). Der Verein führt auch eine mehrfach ausgezeichnete öffentliche Datenbank (www.nat-database.de), die bereits über 2.000 Einträge mit innovativen tierversuchsfreien Forschungsmodellen aufweist.

Weitere Infos

Quellen

(1) Positionspapier zum 3R-Konzept, Ärzte gegen Tierversuche >> 

(2) Windfelder, A. Innovative Tiermodelle für die biomedizinische Forschung, Biospektrum 2024; 30: 471.

(3) Windfelder et al. High-throughput screening of caterpillars as a platform to study host–microbe interactions and enteric immunity, Nature Communications 2022; 13:7216

(4) Innovatives Darm-Modell mit integrierten Immunzellen, News von Ärzte gegen Tierversuche, 11.09.2024 >>