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Ärzteverein kritisiert neues Tierversuchslabor in München

Mit dem ICON* entsteht in München bis 2024 ein neues Labor, in dem genmanipulierte Schweine und Mäuse für die Erforschung menschlicher Zivilisationskrankheiten wie Herzleiden, Diabetes und Fettleibigkeit herhalten müssen. Der bundesweite Verein Ärzte gegen Tierversuche kritisiert die Forschung am Tier als nicht zeitgemäß und verweist auf moderne Systeme, mit denen sich für den Menschen relevante Erkenntnisse erlangen lassen.

Bereits jetzt ist Bayern negativer Spitzenreiter im Bundesländervergleich. Fast 20 % der deutschlandweiten Gesamtzahl von jährlich mehr als 2,9 Millionen im Labor getöteten Tieren geht auf das Konto von Bayern. München ist einer Auswertung von Ärzte gegen Tierversuche zufolge die größte Tierversuchshochburg Deutschlands. „Mit dem neuen ICON entsteht auf dem LMU-Campus Großhadern/Martinsried eine weitere Einrichtung, die auf althergebrachte Forschung am Tier setzt, anstatt sich humanbasierter Spitzenforschung mittels Multi-Organ-Modellen, Computersimulationen oder Bevölkerungsstudien zu widmen, die zu relevanten Ergebnissen für kranke Menschen führt“, kommentiert Dipl.-Biol. Silke Strittmatter, wissenschaftliche Mitarbeiterin von Ärzte gegen Tierversuche.

Vorgesehen ist die Forschung an jährlich rund 150 Schweinen und 1.000 Mäusen, von denen 50-80% genmanipuliert sein sollen, wie aus der Antwort auf eine Anfrage des Landtagsabgeordneten Christian Hierneis (Grüne) hervorgeht, die vom Ärzteverein initiiert wurde. Im Fokus stehen unter anderem Versuche im Bereich der Prävention und Therapie der Atherosklerose und ihrer Folgeerkrankungen wie Herzinfarkt, und Komplikationen von Diabetes und Übergewicht für das Herz-Kreislaufsystem. Finanziert wird der 50 Millionen teure Neubau je zur Hälfte von Bund und dem Land Bayern, also durch den Steuerzahler. Ende 2024 soll das Labor in Betrieb genommen werden. Eine Ausweitung auf andere Forschungsbereiche mit „Großtiermodellen“ ist in naher Zukunft nicht ausgeschlossen.

Wissenschaftliche Studien, wie eine 2018 in der Fachzeitschrift ATLA erschienene Arbeit, belegen unter anderem die Limitierung der „Tiermodelle“ in der Diabetesforschung. Dagegen lassen sich mit ausgeklügelten Systemen wertvolle Erkenntnisse zum menschlichen Krankheitsgeschehen gewinnen. Beispielsweise wurde an der Universität Tübingen ein Organ-auf-dem-Chip mit menschlichen Fettzellen entwickelt, der die Untersuchung der Mechanismen bei Fettleibigkeit und Diabetes ermöglicht (4). Auch Bevölkerungsstudien kommt gerade für das Verständnis von Zivilisationskrankheiten eine große Bedeutung zu, also Erkrankungen, die zum großen Teil durch die Lebensweise der Menschen in der westlichen Welt bedingt sind. In der seit 1948 laufenden Framingham-Studie werden Menschen hinsichtlich ihrer Herz-Kreislauf-Gesundheit beobachtet. Die über Jahrzehnte gewonnenen Daten brachten bahnbrechende Erkenntnisse bezüglich der Risikofaktoren, der Entstehung, des Fortschreitens und der Folgen von Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Der Ärzteverein fordert, öffentliche Gelder in humanrelevante tierversuchsfreie Forschung zu investieren, anstatt mit Tierversuchen ein archaisches System weiter zu zementieren und letztlich den medizinischen Fortschritt zu blockieren. In seiner NAT-Datenbank zu tierversuchsfreien Methoden listet der Verein zahlreiche Modelle zur Erforschung von Zivilisationskrankheiten.

  • ICON - Interfaculty Center for Endocrine and Cardiovascular Disease Network Modelling and Clinical Transfer

Quellen

(1) Antwort des bayerischen Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst vom 5.11.2021 auf die Kleine Anfrage des Abgeordneten Christian Hierneis, Bündnis 90/Die Grünen, vom 11.10.2021 (noch keine Drucksachennummer)

(2) Ärzte gegen Tierversuche e.V.: Tierversuche zum Typ 2 Diabetes - begrenzte Übertragbarkeit auf den Menschen und ein möglicher Weg für die Zukunft >>

(3) Ärzte gegen Tierversuche e.V.: Tierversuchshochburgen Deutschlands >>

(4) Beispiel Organ-auf-dem-Chip mit menschlichen Fettzellen: https://nat-database.de, ID #493