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Innovation aus Amerika

Forschern vom Massachusetts Institute of Technology, USA, ist kürzlich ein Durchbruch in der innovativen In-vitro-Forschung gelungen. Sie entwickelten einen biologischen Chip, auf dem bis zu 10 menschliche Mini-Organe untergebracht sind: Bauchspeicheldrüse, Leber, Darm, Lunge, Herz, Muskel, Gehirn, Gebärmutter, Haut und Niere. Bei den Mini-Organen handelt es sich um moderne, 2- oder 3-dimensionale Zellkultur-Modelle, die zuvor im Labor gezüchtet wurden. Die Mini-Organe sind in diesem sogenannten „mikrophysiologischen System“ (MPS) über winzige Kanäle miteinander verbunden - auf diese Weise wird die menschliche Blutbahn simuliert. Über dieses Durchfluss-System werden die Mini-Organe mit Nährstoffen, Hormonen etc. versorgt.

Schaubild: Menschlicher Organismus auf einem Bio-Chip 

Legende zu Abb. 1:

Menschlicher Organismus auf einem Bio-Chip. Der Bio-Chip (MPS = Mikrophysiologisches System) kann mit einzelnen Mini-Organen beliebig bestückt werden. Über ein Kanal-System werden die Mini-Organe mit Nährstoffen versorgt und etwa Medikamente eingeleitet. Hierbei kann eine orale Einnahme (über den Mund) oder eine Verabreichung in die Blutbahn simuliert werden. Das MPS ist an ein elektronisches Steuerungs-Element angeschlossen. Mittels Computer wird reguliert, welche Organe in welcher Reihenfolge angesteuert werden.

Modifiziert nach Edington et al. Sci Rep. 2018.

Wirkstoffe wie Medikamente oder Gifte können gezielt in das System eingebracht und von Organ zu Organ transportiert werden. Sowohl die einzelnen Mini-Organe, als auch Proben aus dem Durchfluss-System (die einer Blutanalyse beim Menschen entsprechen), können während oder nach einem Experiment für diverse Untersuchungen entnommen werden. Die Mini-Organe interagieren in dem MPS miteinander, haben einen richtigen Stoffwechsel und erfüllen bis zu 4 Wochen lang die Funktionen der echten Organe. Verglichen mit der isolierten Kultivierung eines solchen Mini-Organs, verbessern sich in dem MPS die Organ-spezifischen Funktionen teilweise sogar durch die Interaktion mit den anderen Organen. Das MPS wird an ein elektronisches Steuerungselement angeschlossen, so dass man vom Computer aus die Durchfluss-Geschwindigkeit regulieren, sowie bestimmen kann, welche Organe angesteuert werden und in welcher Reihenfolge. So kann beispielsweise bei der Testung von Medikamenten eine intravenöse (in die Blutbahn gespritzte) oder eine orale (über den Mund eingenommene) Gabe bestimmter Substanzen simuliert werden. Soll ein bestimmtes Medikament beim Patienten oral verabreicht werden, wird es in dem MPS erst in den Darm geleitet, wo es aufgenommen wird, und erreicht dann die weiteren Organe wie Leber und Niere, wo es abgebaut und ausgeschieden wird. Der bekannte Entzündungshemmer Diclofenac wurde im MPS getestet, und Verteilung und Abbau spiegeln in den Mini-Organen und im Durchfluss-System die Verstoffwechselung des Medikaments im menschlichen Körper wider.

Für die Zukunft eröffnet das System etliche Möglichkeiten, die Medizin und Pharmaforschung revolutionieren können: Die Mini-Organe können auch aus Zellen von chronisch erkrankten Patienten gezüchtet werden oder aus Tumoren. Baut man solche erkrankten Mini-Organe in das MPS ein, kann die therapeutische Wirkung eines Medikaments direkt auf das Zielorgan getestet werden. Es besteht sogar die Möglichkeit, ein personalisiertes MPS zu erstellen, indem man alle Mini-Organe basierend auf Zellen oder Stammzellen eines bestimmten Patienten züchtet und in das MPS einbaut. Dies ist vor allem ein Durchbruch für die Erforschung und Therapie von Erkrankungen, bei denen mehrere Organe betroffen sind, wie beispielsweise Alzheimer oder Diabetes.

Schaubild: Das 10-Organ-MPS 

Legende zu Abb. 2:

Das 10-Organ-MPS. Links: Abbildung des MPS (Mikrophysiologisches System) mit Einsätzen für die Mini-Organe und Anschlüssen für das elektronische Steuerungs-Modul, das auch eine Pumpe für das Kanal-System enthält. Rechts: Beispielhafte Anordnung der menschlichen Mini-Organe auf dem MPS. Im Flüssigkeits-Mischer werden die Lösungen gemischt, die in das System eingeleitet werden oder darin zirkulieren. Die Pfeile zeigen eine beispielhafte Durchfluss-Richtung im Kanal-System.

Modifiziert nach Edington et al. Sci Rep. 2018.

Das MPS wird momentan für die Hochdurchsatz-Anwendung etabliert, d.h. automatisierte Abläufe, bei denen Tausende Substanzen in kürzester Zeit gemessen werden können, was entscheidend für die Etablierung in der Pharmaindustrie ist. Auch die Zellkultur-Modelle, die für das System verwendet werden, werden kontinuierlich weiterentwickelt, so dass sie den echten menschlichen Organen immer mehr ähneln. Für die Entwicklung und Testung neuer Arzneimittel hinsichtlich der Aufnahme im Körper, Giftigkeit und Wirksamkeit ist das MPS weitaus zuverlässiger und zukunftsweisender als Versuche an lebenden Tieren, die von den menschlichen Organfunktionen weit entfernt sind. 

Dr. Tamara Zietek

Quellen

Original-Artikel (engl.): Edington CD et al.: Interconnected Microphysiological Systems for Quantitative Biology and Pharmacology Studies. Scientific Reports 2018: 8; 4530

Mini-Organe: Alternative zu Tierversuchen? Apotheken-Umschau, April 2016

Weitere Informationen

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