HIV/AIDS – Tierversuche und Tierversuchsfreie Forschung
Seit der Entdeckung der Erkrankung AIDS im Jahr 1981 sind über 70 Millionen Menschen mit HIV infiziert worden, von denen 36 Millionen gestorben sind. Schätzungen zufolge leben weltweit derzeit 40 Millionen Menschen mit dem Virus (1). Vorhandene Medikamente können den Ausbruch von AIDS zwar aufhalten, heilen die Infektion mit dem humanen Immundefizienz-Virus (HIV) aber nicht. Nur ein wirksamer Impfstoff wäre in der Lage, HIV zu kontrollieren. Doch auch über 40 Jahre nach der Entdeckung des durch HIV verursachten Krankheitsbilds AIDS - und trotz zahlloser anders lautender Ankündigungen und Versprechen - gibt es einen solchen Impfstoff bis heute nicht. Dieser Beitrag zeigt auf, warum die überwiegend tierexperimentell ausgerichtete HIV-Forschung bis heute nicht in der Lage ist, die weltweite Pandemie zu besiegen.
Die Erkrankung
Schematische Darstellung des Virus.
Das Humane Immundefizienz-Virus (HIV) gehört zur Familie der Retroviren. Die Viren integrieren nach der Infektion einer Zelle ihr Erbgut in die zelleigene DNA. Mit hoher Wahrscheinlichkeit handelt es sich bei HIV ursprünglich um eine Zoonose, bei der Viren von Affen auf den Menschen übertragen wurden und sich dann im menschlichen Wirt durch Anpassung verändert haben (2). Ende 2021 waren in Deutschland etwa 90.800 Personen mit HIV infiziert, die Zahl der jährlichen Neuinfektionen ist dabei vergleichsweise niedrig. So haben sich im Jahr 2021 in Deutschland geschätzt 1.800 Personen mit HIV infiziert (3). Etwa 95 % der HIV Infizierten leben jedoch in Entwicklungsländern und in den am stärksten betroffenen Regionen tragen bis zu 40 % der Erwachsenen das Virus in sich (2).
Die Infektion bleibt häufig über lange Zeiträume ohne Symptome. Die Viren führen zu einer Reduktion bestimmter weißer Blutkörperchen, wodurch es zu einer erhöhten Anfälligkeit gegenüber Infektionen und Krebserkrankungen kommt. Erst im Spätstadium der HIV-Infektion bildet sich das Krankheitsbild AIDS (erworbenes Immunschwächesyndrom, englisch: acquired immunodeficiency syndrome, AIDS) aus, welches sich durch eine fortgeschrittene Immundefizienz und daraus resultierende lebensbedrohliche Infektionen äußert.
Behandlung
Es gibt eine Reihe von Wirkstoffen, die darauf abzielen, die Vermehrung des Virus zu verhindern. Diese sogenannten antiretroviralen Therapien können also die Viren und ihr in das Genom der infizierten Zellen integriertes Erbgut nicht aus dem Körper eliminieren und bieten somit keine Heilung. Sie führen aber dazu, dass die Vermehrung des Virus unterdrückt und der Ausbruch von AIDS aufgehalten wird (2). Zusätzlich bewirkt die antiretrovirale Therapie bei fast allen Behandelten, dass sie nicht mehr infektiös sind, wodurch die Verbreitung des Virus eingedämmt wird (3). Die Therapie muss lebenslang erfolgen, erfordert eine sorgfältige Überwachung und die Medikamente müssen regelmäßig eingenommen werden, damit sich keine Resistenzen ausbilden. In Deutschland werden etwa 96% der Infizierten mit einer antiretroviralen Therapie behandelt (3). Neben der antiretroviralen Therapie zur Kontrolle der Viren spielt vor allem die Behandlung von opportunistischen Infektionen mit für den gesunden Menschen harmlosen Krankheitserregern, die für Personen mit geschwächtem Immunsystem jedoch lebensbedrohlich werden können, eine entscheidende Rolle bei der Therapie von HIV Infizierten.
Da die vorhandenen Medikamente keine Heilung ermöglichen und eine Impfung gegen HIV trotz jahrzehntelanger Forschung noch immer nicht verfügbar ist, ist und bleibt die Prävention das wirksamste Mittel bei der Bekämpfung von HIV und AIDS.
HIV-Forschung: Modellviren und „Tiermodelle“
Weltweit versuchen Forscher, die Infektion mit HIV an verschiedenen sogenannten Tiermodellen zu erforschen und einen Impfstoff zu entwickeln. Eine wesentliche Schwierigkeit dabei ist, dass HIV ein human-spezifisches Virus ist, das in keiner anderen Spezies als dem Menschen zu einer Erkrankung führt. Zwar kann das Virus sich in Schimpansen und Gibbons vermehren, führt bei ihnen jedoch nicht zu AIDS (4). Andere Tiere wie Mäuse, Ratten oder Makaken kann das HIV nicht infizieren. Dies liegt unter anderem daran, dass das Virus sich an die menschlichen CD4-Rezeptoren und weitere Co-Rezeptoren bestimmter Immunzellen (vor allem sogenannte T-Zellen) anheftet, die bei Tieren anders aufgebaut sind als beim Menschen (2).
Um dennoch in Tiermodellen forschen zu können, werden zwei Strategien verfolgt: Entweder es wird versucht, Tiere für das menschliche Virus empfänglich zu machen, indem menschliche Immunzellen in das Tier implantiert werden, oder es werden für andere Tierarten spezifische Immundefizienz-Viren als sogenannte Modellviren verwendet. Am häufigsten werden nicht-menschliche Primaten und Mäuse eingesetzt.
Primaten in der HIV-Forschung
Viele Forscher nehmen noch immer an, dass es sich bei Affen um gute „Modelle“ handelt, weil sie dem Menschen in ihrer Anatomie, Physiologie und ihrem Immunsystem ähneln. Dennoch reichen diese Ähnlichkeiten im Allgemeinen nicht aus, um eine HIV-Infektion bei Affen hervorzurufen. Lediglich bei Schimpansen ist eine Infektion mit HIV überhaupt möglich.
Schimpansen in der HIV-Forschung
In den 1980er und 1990er Jahren wurden vor allem Schimpansen für die HIV-Forschung verwendet (5). Wie bereits erwähnt, können Schimpansen mit HIV infiziert werden, bei den Tieren führt die Infektion jedoch normalerweise nicht zu AIDS. Dazu gibt es eine unrühmliche Ausnahme bei der das Erkrankungsbild AIDS bei einem einzelnen Schimpansen beobachtet werden konnte, der mit verschiedenen Virusisolaten infiziert wurde und dann – nach über 10 Jahren - AIDS-ähnliche Symptome entwickelte. Das Schicksal dieses Affen, der als C499 bezeichnet wurde, zeigt einmal mehr, wie gerade Affen in der tierexperimentellen Forschung oft jahrelang und ohne jeglichen Nutzen für den Menschen leiden müssen:
- 1985: C499 wird im Alter von 2 Jahren als einer von 12 Schimpansen mit einem HIV-Isolat infiziert. Die Infektion wird bestätigt.
- 1986: C499 wird zusätzlich mit einem anderen HIV-Isolat infiziert. Das Tier bleibt klinisch gesund
- 1987: C499 wird mit einem dritten HIV-Isolat infiziert. Das Tier ist klinisch weiter gesund.
- 1988: C499 weist eine Verringerung der Blutplättchen und Lymphozyten auf, die Blutwerte normalisieren sich jedoch ohne Behandlung wieder.
- 1993: Im Rahmen einer jährlichen Routineuntersuchung wird erneut eine Abnahme der Blutplättchen und Lymphozyten festgestellt, die von nun an Bestand hat.
- 1995: C499 entwickelt chronischen Durchfall und weist ein unterdrücktes Immunsystem auf. Da er der erste Schimpanse ist, der AIDS entwickelt hat, werden keine Therapieversuche unternommen, stattdessen wird der Verlauf der Erkrankung beobachtet.
- 1995 – 1996: Der Durchfall besteht weiter, C499 entwickelt eine fortschreitende nichtregenerative Anämie.
- 1996: Im Februar wird C499 im Alter von 14 Jahren aufgrund der Schwere seiner Erkrankung getötet.
Das Blut von C499 wurde anderen Schimpansen injiziert, in der Hoffnung, so doch noch ein sogenanntes Tiermodell für AIDS zu erhalten. Keines der Tiere denen das Blut verabreicht wurde erkrankt oder stirbt an AIDS.
Makaken und andere Affen
Makaken, die nicht mit HIV infiziert werden können, werden stattdessen mit sogenannten Modellviren infiziert.
Andere Affenarten lassen sich nicht mit HIV infizieren. Sie werden statt dessen mit für ihre Spezies spezifischen Immundefizienz-Viren infiziert, welche SIV (simiane Immundefizienz-Viren; von simian = Affen) genannt werden (6).
Es wird also an Modellviren in Modellorganismen gearbeitet und die simanen Viren unterscheiden sich deutlich vom menschlichen Virus. Daher wurden auch chimäre Viren hergestellt, die üblicherweise aus der SIV-Grundstruktur bestehen, aber Hüllproteine des humanen Virus aufweisen. Dies führt jedoch dazu, dass die human-spezifischen Virusproteine nicht mehr in der Lage sind, an die Zellen des Affen anzudocken und die Viren müssen dann weiter angepasst werden, um den Affen wieder infizieren zu können, wobei sie dem menschlichen Virus wieder unähnlicher werden (7). Aus der Verwendung von Modellviren ergibt sich hier ein unlösbarer Konflikt zwischen der Notwendigkeit, das Virus so zu verändern, dass es Affen infizieren kann, aber gleichzeitig dem menschlichen Virus noch ähnlich genug ist, um überhaupt für die menschliche HIV-Infektion vermeintlich sinnvolle Erkenntnisse generieren zu können. Doch selbst wenn dieser Spagat gelänge, sähe sich das chimäre Virus mit einem nicht-menschlichen Organismus und Immunsystem konfrontiert, welches sich ganz anders verhält als beim Menschen.
Und so ist es wenig verwunderlich, dass sich im Umkehrschluss auch vom Menschen abgeleitete Erkenntnisse nicht auf den Affen übertragen lassen. Eine Möglichkeit der Heilung von HIV, die beim Menschen in wenigen Einzelfällen bereits erreicht wurde, ist die Stammzellentransplantation nach einer Ganzkörperbestrahlung. Diese experimentelle Behandlung erfolgte an einzelnen HIV-infizierten Patienten, welche gleichzeitig an Krebs erkrankt waren. Um diese mögliche Behandlungsstrategie im sogenannten Tiermodell untersuchen zu können, wurden Rhesusaffen mit chimären Viren infiziert, mit einer antiretroviralen Therapie behandelt und schließlich, nach einer Ganzkörperbestrahlung, mit Stammzellen, die ihnen vor der Infektion entnommen wurden, behandelt. Nach dem Absetzen der Medikamente waren bei 2 von 3 Tieren schnell wieder Viren nachweisbar; die beim Menschen erzielten Erfolge ließen sich also nicht auf die Affen übertragen (6).
Mäuse in der HIV-Forschung
Während bei Affen versucht wird, das affenspezifische Virus anzupassen, um es dem den Menschen befallenen Virus ähnlicher zu machen, ist die Vorgehensweise bei sogenannten Maus-Modellen anders. Hier wird das „Modell“ dem Menschen ähnlicher gemacht, damit das HIV sich in der Maus vermehrt. Dazu werden Bestanteile eines menschlichen Immunsystems in Mäuse implantiert (8). Im folgenden werden einige solcher humanisierter Maus-Modelle beschrieben.
- SCID-hu Maus-Modell: Mäusen mit einem schwer eingeschränktem Immunsystem (englisch: severe combined immune deficiency, SCID) fehlen wichtige Immunzellen, die B- und T-Zellen. Ihnen werden aus menschlichen Embryonen gewonnene Thymus- und Leber-Gewebestücke in die Nierenkapsel implantiert. In der Leber sind Stammzellen enthalten, aus welchen sich menschliche T-Zellen bilden können. Allerdings sind diese T-Zellen auf das implantierte menschliche Gewebe beschränkt und kaum im Blut der Tiere zu finden. Zudem fehlen andere wichtige Immunzellen des Menschen (9).
- hu-HSC Maus-Modell: Mäuse werden einer Bestrahlung unterzogen, um ihr Immunsystem zu schwächen. Dann werden ihnen menschliche hämatopoetische Stammzellen (englisch: hematopoietic stem cells, HSC), das sind Stammzellen die sich beim Menschen überwiegend im Knochenmark befinden und aus denen verschiedene Blutzellen - so auch Immunzellen – hervorgehen, implantiert. Dadurch können sich in den Tieren verschiedene menschliche Immunzelltypen bilden, wobei sich aber nur wenige der für die HIV-Forschung besonders entscheidenden T-Zellen bilden (9).
- BLT Maus-Modell: Dies ist eine Kombination aus SCID-hu und hu-HSC Modell. Hier werden die Mäuse bestrahlt und es wird ihnen humanes fetales Leber- und Thymusgewebe implantiert. Dann werden HSCs, die aus demselben Embryo stammen wie Leber- und Thymusgewebe, injiziert. Die Lebensdauer dieser Tiere ist auf ca. 6 Monate nach der Implantation begrenzt, da sich die menschlichen Immunzellen dann gegen die Zellen der Mäuse richten (engl. Graft-versus Host disease, GvHD).
In all diesen Maus-Modellen lassen sich bestenfalls lediglich Einzelaspekte der HIV-Infektion nachahmen und untersuchen. Das aber im falschen Organismus, der zudem auch noch über eine eingeschränkte Lebensspanne verfügt, die Langzeituntersuchungen unmöglich macht. Es ist bekannt, das HIV im Menschen nicht nur T-Zellen befällt, sondern auch weitere Zellen beispielsweise im Gehirn. Dies stellt ein wichtiges sogenanntes Reservoir des Virus dar, welches in den Zellen im Gehirn schlummert und sich von dort erneut verbreiten kann. Es ist wenig verwunderlich, dass eine HIV-Forschung an sogenannten Tiermodellen, welche solch entscheidende Eigenschaften der menschlichen Infektion nicht abbilden können, bis heute nicht zu einem Heilmittel oder einem wirksamen Impfstoff geführt hat.
Weitere Tiere in der HIV-Forschung
Auch Katzen werden von einem Immundefizienz-Virus befallen, dem Felinen Immundefizienz-Virus (FIV). Das sogenannte FIV-Modell ist das einzige natürlich vorkommende Modell der Immunschwäche und der Krankheitsverlauf bei Katzen weist Parallelen zu dem beim Menschen auf (10). Aus diesen Gründen wurden auch Katzen in der HIV-Forschung eingesetzt. Allerdings bindet das FIV an einen anderen Rezeptor als das HIV (CD134 statt CD4) und kann daher neben T-Zellen auch B-Zellen infizieren. Somit unterscheiden sich die Zielzellen von HIV und FIV und die Verwendung von Katzen in der Suche nach einem Heilmittel oder Impfstoff für HIV erscheint wenig aussichtsreich (2).
Kein perfektes Modell in Sicht
Keines der genannten Tiermodelle ist in der Lage, eine HIV-Infektion des Menschen nachzubilden. Angesichts der generell niederschmetternden Übertragbarkeit von Ergebnissen aus Tierversuchen auf den Menschen, lässt die Verwendung von Modellviren in Modellorganismen die Bemühungen aussichtslos erscheinen. Statt sich jedoch von den - offensichtlich gescheiterten - Tiermodellen abzuwenden, arbeiten die Forscher weiter an einer „Verfeinerung“ der Modelle und/oder der Viren und einzelne Teilaspekte der Infektion werden in verschiedenen Modellen untersucht (11). So werden immer neue humanisierte Maus-Modelle entwickelt (11).
Es wirkt schon nahezu naiv, anzunehmen, dass sich die in verschiedenen Tiermodellen mit verschiedenen Modellviren gewonnenen Erkenntnisse zu einem Bild der menschlichen Infektion mit human-spezifischen Viren und der zugehörigen Erkrankung zusammensetzen ließen.
Die Suche nach einem Impfstoff
Einer Untersuchung aus dem Jahr 2008 zufolge gab es zum damaligen Zeitpunkt bereits 197 klinische Studien zu 85 verschiedenen potenziellen HIV-Impfstoffen. Nur sieben der klinischen Studien wurden bis zur Phase 3 durchgeführt, was bedeutet, dass ein Großteil der Studien (96,5 %) - vermutlich überwiegend wegen schwerwiegender Nebenwirkungen oder dem Mangel an Wirksamkeit beim Menschen - vorzeitig beendet wurden (5).
Viel Zeit, menschliche und wissenschaftliche Ressourcen, Unsummen von Forschungsgeldern und unzählige Tierleben fielen der Suche nach einem Impfstoff zum Opfer und haben zu Dutzenden Impfstoffen geführt, die wirksam und sicher sind – aber nur für Affen mit künstlich herbeigeführten HIV-ähnlichen Infektionen (5).
Impfstoffe, die bei Schimpansen wirksam waren, versagten beim Menschen. Schlimmer noch, mehrere Impfstoffkandidaten, darunter der Impfstoffkandidat V520 von Merck, führten im Vergleich zum Placebo sogar zu einer Erhöhung des Risikos sich mit HIV zu infizieren oder im Falle einer Infektion schneller an AIDS zu erkranken (1).
Lieber direkt am Menschen forschen?
Es wird häufig behauptet, dass der Verzicht auf Tierversuche dazu führen würde, dass unsichere Medikamente direkt am Menschen getestet werden müssten. Dies ist bereits heute der Fall, denn sobald die präklinischen Untersuchungen – also überwiegend Tierversuche - ein Medikament als scheinbar sicher und scheinbar wirksam klassifizieren, erfolgt die erstmalige Testung am Menschen in klinischen Studien. Es ist dabei zu betonen, dass die vorausgehenden Tierversuche nur eine scheinbare Sicherheit und Wirksamkeit für den Menschen bewirken, wie zum Beispiel die HIV-Impfstoffkandidaten zeigen, welche beim Menschen die Gefahr einer Infektion erhöhten. Tatsächlich bringt die Verwendung ungeeigneter Tiermodelle unwägbare Risiken für die menschlichen Probanden mit sich.
Human-basierte HIV-Forschung
Die Entwicklung von HIV-Impfstoffen ist aus verschiedenen Gründen schwierig. Ursachen dafür sind unter anderem die hohe Variabilität des Virus und die Mechanismen mit denen HIV das Immunsystem umgeht. Angesichts dieser Herausforderungen ist es umso wichtiger, die bestmöglichen Methoden und Modelle zu verwenden und nicht durch den Einsatz sogenannter Tiermodelle und Modellviren weitere Unwägbarkeiten und mangelnde Übertragbarkeit zu generieren. Stattdessen sollten die Modelle so nahe am Menschen und der menschlichen Infektion sein, wie nur möglich (1). Dafür bieten sich insbesondere menschliche Zellen an. Im Folgenden werden einige solcher Forschungsarbeiten, die humanrelevante Modelle verwenden, exemplarisch geschildert.
Menschliche Zellen in der HIV-Forschung
HIV benutzt die Maschinerie der infizierten Zellen für seine eigene Reproduktion. Dies bildet vielfältige Angriffspunkte für mögliche Therapien und Erkenntnisse über die beteiligten Prozesse ermöglichen erst ein tieferes Verständnis der Infektion. Da HIV vor allem CD4-positive T-Zellen infiziert, welche auch ein wichtiges Reservoir für das Virus bilden, kommen insbesondere diese Zellen bei der Erforschung der Infektion zum Einsatz.
So verwendeten Forscher aus San Francisco und Chicago aus Spenderblut gewonnene T-Zellen und schalteten in den Zellen systematisch 426 verschiedene Gene mit der auch Genschere genannten Methode CRISPR-Cas aus. Diese „Knock-Out“-Zellen wurden dann mit HIV infiziert und analysiert. Die Forscher fanden 86 Gene, die möglicherweise eine Rolle bei der Vermehrung von HIV spielen. Dies ermöglicht Erkenntnisse darüber, wie sich HIV in die menschliche DNA integriert und eine chronische Infektion begründet, was letztlich zu neuen Behandlungen führen kann (12). Forscher aus München verwendeten einen ähnlichen Ansatz, bei dem mehrere genetische Knock-Outs und auch Knock-Ins erzeugt wurden, die die Untersuchung des Zusammenspiels von zellulären und viralen Komponenten mit Einzelzellauflösung ermöglichten (13).
Wissenschaftler aus San Francisco untersuchten T-Zellen von HIV-infizierten Patienten und konnten dabei die Zelltypen identifizieren, die besonders empfänglich für HIV sind und darüber hinaus Veränderungen an zellulären Rezeptorproteinen beobachten, die durch HIV induziert werden (14).
Menschliche Organoide in der HIV-Forschung
HIV kann auch Entzündungen des Gehirns hervorrufen und durch neurodegenerative Prozesse zu kognitiven Einschränkungen führen. Unter solchen Einschränkungen leiden in mehr oder weniger ausgeprägter Form bis zu 50 % der HIV-Infizierten selbst dann, wenn sie mit antiretroviralen Medikamenten behandelt werden (16). Um die zugrunde liegenden Prozesse zu analysieren und so mögliche Therapien zugänglich zu machen, wurden menschliche Gehirn-Organoide entwickelt, die aus verschiedenen Nervenzellen und speziellen im Gehirn vorkommenden Immunzellen bestehen. Die Infektion dieser Hirn-Organoide mit HIV führte zu einer Entzündung und Schädigung der Nervenzellen. Das System kann demnach dazu dienen, die Entstehung und den Verlauf von HIV-induzierten Nervenschädigungen zu erforschen und neue Therapien zu entwickeln (17).
Da die infizierten Nervenzellen im Gehirn ein bisher in der HIV-Forschung vernachlässigtes Virusreservoir darstellen, wird erwartet, dass gerade die Forschung an Gehirn-Organoiden wesentlich zur Entwicklung eines Heilmittels beitragen kann (18). Weiterentwicklungen der Organoide wie die Integration von Blutgefäßen, die dadurch erreichbare Größe und Komplexität der Organoide, sowie die Einbeziehung der Blut-Hirn-Schranke werden zusätzlich dazu beitragen, noch realistischere und vor allem humanrelevante Untersuchungen zu ermöglichen (19).
Bioinformatische Ansätze in der HIV-Forschung
Was liegt näher als sich für die Entwicklung eines Impfstoffs oder Heilmittels an der Reaktion des menschlichen Immunsystems auf das Virus zu orientieren? So sind bereits seit längerem sogenannte breit neutralisierende Antikörper (bnAbs) bekannt. Das sind Antikörper, die das Immunsystem bildet, und die in der Lage sind, ein breites Spektrum verschiedener Varianten des Virus zu bekämpfen und davor zu schützen. Die Infusion von bnAbs hat sich als vielversprechende Alternative zur antiretroviralen Therapie gegen HIV erwiesen. Eine zentrale Herausforderung bei der Verwendung von bnAbs ist das Verhindern der Ausbildung von Resistenzen gegen die Behandlung. Dies kann mit einer Kombination von mehreren bnAbs erreicht werden. Hier setzten Forscher einen bioinformatischen Ansatz ein, um die Wirksamkeit einer bnAb-Therapie zu optimieren. Dazu wurden aus klinischen Studien gewonnene Daten über die Veränderung des Virus über die Zeit verwendet und daraus Modelle über die Virusdynamik und den Einfluss einzelner Mutationen auf die Ausbildung von Resistenzen gewonnen. Es konnte gezeigt werden, dass eine Mischung aus drei bnAbs notwendig ist, um die Virusfreisetzung dauerhaft wirksam zu unterdrücken (20).
bnAbs stellen nicht nur eine vielversprechende Therapiemöglichkeit dar, sie könnten auch den Schlüssel zur Entwicklung eines Impfstoffes darstellen. Hierzu ist es erforderlich, die strukturellen Komponenten des Virus, die das Immunsystem zur Bildung von bnAbs anregen, zu identifizieren, um so ein wirksames Immunogen zu erhalten, welches als Impfstoff verwendet werden könnte. Anhand von ultratiefen Sequenzierungsdaten von 14 nicht HIV-exponierten Spendern identifizierten die Forscher die vielversprechendsten bnAbs und die für ihre Herstellung erforderlichen menschlichen Gene und entwickelten daraus Impfstoffkandidaten (15).
Die Rolle von humanrelevanten Modellen
Während ein Großteil der HIV-Forschung noch immer auf „Tiermodelle“ fokussiert ist, welche seit Jahrzehnten nicht zur Entwicklung des lang ersehnten Impfstoffs geführt haben, deuten sich in der tierversuchsfreien Forschung endlich vielversprechende Ergebnisse auf dem Weg zu einem Impfstoff an. Da hier direkt an menschlichen Zellen und Patientenmaterial geforscht wird, generieren diese Methoden unmittelbar humanrelevante Ergebnisse und werden zudem zu einer Beschleunigung der HIV-Forschung beitragen, da die aufwendige und nicht zielführende „Verfeinerung“ sogenannter Tiermodelle und die daraus resultierende mangelnde Übertragbarkeit der Ergebnisse auf den Menschen entfallen.
Es ist zudem bezeichnend für das Versagen der tierexperimentell ausgerichteten HIV-Forschung, welche sich bereits seit Jahrzehnten damit abmüht, Affen und andere Tiere mit HIV zu infizieren und AIDS auszulösen, dass erst heute und dank moderner humanbasierter Methoden wesentliche Aspekte der HIV-Infektion aufgedeckt werden. Ohne das tiefgreifende Verständnis der Prozesse, mit denen das Virus mit den menschlichen Zellen interagiert – welche sich sicherlich in keinem noch so aufwendig verfeinerten Tiermodell werden aufklären lassen – wird weder eine Heilung gelingen noch ein wirksamer Impfstoff entwickelt werden können.
Prävention
HIV wird durch Blut und andere infektiöse Körperflüssigkeiten (Sperma, Vaginalsekret und den Film auf der Darmschleimhaut) übertragen. Am häufigsten erfolgt die Übertragung durch ungeschützten Geschlechtsverkehr (2). Daneben kann HIV auch durch Verwendung gemeinsamer Spritzen beim Konsum injizierbarer Drogen übertragen werden. Das Risiko einer Infektion durch Blutprodukte ist in Deutschland durch die Testung des Spenderblutes mit effektiven Verfahren mittlerweile gering, so wird in weniger als einer von 3 Millionen Bluttransfusionen HIV übertragen (2). Die Infektion kann auch von der Mutter auf das Kind bei der Geburt oder auch noch später beim Stillen übertragen werden Hier kann das Risiko der Infektion des Kindes durch eine retrovirale Therapie, durch einen Kaiserschnitt sowie durch den Verzicht auf das Stillen deutlich reduziert werden (2).
HIV wird vor allem durch Menschen übertragen, deren HIV-Infektion noch unentdeckt ist. Schätzungen zufolge waren im Jahr 2021 etwa 8.600 Infektionen noch nicht diagnostiziert. Hier sind leicht zugängliche Testangebote und eine bessere Aufklärung über Infektionsrisiken wichtig (3).
Es wurden auch verschiedene vorbeugende Maßnahmen entwickelt, die eine Infektion verhindern können. Mit der Präexpositionsprophylaxe (PrEP) steht ein Instrument zur Verhinderung von Infektionen zur Verfügung. Seit September 2019 übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten für Menschen mit substanziellem HIV-Risiko (3). Dabei werden prophylaktisch von gesunden Menschen HIV-Medikamente vorbeugend eingenommen, wenn sie ein erhöhtes Risko haben, sich mit HIV zu infizieren. Bei der sogenannten Postexpositionsprophylaxe, die nach einem wahrscheinlichen Kontakt mit dem Virus erfolgen sollte, muss möglichst innerhalb von Stunden nach der möglichen Infektion begonnen werden.
Trotz dieser medikamentösen Möglichkeiten, welche alle mit Nebenwirkungen verbunden sind, ist und bleibt der Verzicht auf ungeschützten Geschlechtsverkehr die wichtigste Möglichkeit zur Prävention. Geschützter Geschlechtsverkehr unter Verwendung von Kondomen hilft effektiv, eine Infektion mit HIV und weiteren sexuell übertragbaren Erregern zu vermeiden. Dieser Schutz sollte bei häufig wechselnden oder neuen Sexualpartnern selbstverständlich sein, und bevor auf Kondome bei auf Dauer ausgelegten Partnerschaften verzichtet wird, sollten sich beide Partner auf HIV testen lassen. Sollte einer der Partner infiziert sein, ist anzuraten, erst nach erfolgreicher retroviraler Behandlung, welche nachweislich die Viruslast minimiert hat, über einen Verzicht auf Kondome nachzudenken.
Fazit
Die tierexperimentell ausgerichtete HIV-Forschung hat bisher vor allem immer neue „Tiermodelle“ hervorgebracht, in denen Tiere aufwändig mit HIV oder ähnlichen „Modellviren“ infiziert werden. Eine Heilung oder ein Impfstoff stehen bis heute – über 40 Jahre nach der Entdeckung der Erkrankung AIDS - nicht zur Verfügung. Im Gegenteil, die Fixierung auf das Tiermodell hat dazu geführt, dass viele wichtige Aspekte der Infektion bis heute nicht verstanden wurden und somit in der Entwicklung von Medikamenten und Impfstoffen vollkommen unberücksichtigt bleiben (1). Entsprechend ernüchternd fällt die bisherige Bilanz der HIV-Forschung aus: Die vorhandenen Medikamente helfen zwar dabei, den Ausbruch von AIDS hinauszuzögern, können HIV aber nicht heilen.
Um endlich ein umfassendes Verständnis der menschlichen Infektion zu erhalten - welche die Entwicklung effektiver Wirk- und Impfstoffe erst ermöglichen wird - ist die Verwendung humanbasierter Methoden und Modelle unabdingbar. Darüber hinaus spielt bei der Verbreitung von AIDS eine effektive Aufklärung und Prävention eine entscheidende Rolle.
04.04.2023
Dr. rer. nat. Johanna Walter
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