Medizinischer Fortschritt ist wichtig - Tierversuche sind der falsche Weg!
24. März 2016
Auch nach 17 Jahren gibt es immer noch keinen Hinweis, dass 17 Tierversuchsprojekte aus Bayern zu irgendeiner Umsetzung in die Klinik geführt haben.
In ihrer 2005 veröffentlichten Arbeit untersuchten Lindl und Völkl 51 bei der Genehmigungsbehörde Würzburg genehmigte Tierversuchsprojekte aus den Jahren 1991-1993. 17 davon wurden rückblickend als „erfolgreich“ erachtet, d.h. sie erreichten ihr im Genehmigungsantrag genanntes Ziel bezüglich des verwendeten „Tiermodells“. Daraus resultierten 65 Primärpublikationen. Lindl und Völkl gingen der Zitierhäufigkeit dieser Arbeiten in den Jahren 1993-2004 nach und fanden heraus, dass keine einzige in einer klinischen Therapie resultiert hatte.
Nun wurde diese Zitationsanalyse fortgesetzt für die Jahre 2005-März 2011. Es wurden zwar insgesamt 1.462 Zitierungen gefunden, diese waren aber überwiegend der Grundlagenforschung zuzuordnen. Nur sieben Zitierungen hatten einen therapeutischen Bezug, aber selbst für diese gab es keinen Hinweis auf eine direkte Korrelation zwischen den Tierversuchen und den Therapien.
Quelle
Toni Lindl, Manfred Völkl: No clinical relevance of approved animal experiments after seventeen years. ALTEX 2011: 28; 242-243
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29. April 2016
Klinischer Nutzen Fehlanzeige
Ein 2014 in The Lancet erschienener Fachartikel fokussiert auf die Verschwendung an Geldern in unterschiedlichen Forschungsbereichen. Tierversuche werden darin nicht direkt thematisiert, üblicherweise ist die biologische Grundlagenforschung jedoch mit einem großen Maß an Tierversuchen behaftet.
Die Autoren äußern, dass große Summen in die biomedizinische Grundlagenforschung fließen, aber nur wenig dabei herauskommt und folglich ein großer Teil der Investitionen Verschwendung ist. Dies liege daran, dass wissenschaftliche Fragestellungen häufig auf das grundlegende Verständnis bestimmter Mechanismen abzielen, jedoch für die menschliche Gesundheit nicht relevant sind.
Belege für den Nutzen der Grundlagenforschung gibt es nach Ansicht der Autoren kaum. So wurden in einer Studie über 25.000 Veröffentlichungen aus führenden Fachjournalen zur Grundlagenforschung aus den Jahren 1979 bis 1983 analysiert. 101 enthielten klare Aussagen, dass die Ergebnisse großes Potential für die klinische Anwendung haben, aber nur 5 davon führten bis 2003 zu eingeschränkten klinischen Anwendungen und nur in einem Fall folgte eine weit verbreitete klinische Anwendung.
Das heißt also, die „Erfolgsquote“ für klinische Anwendungen kann mit nur 0,024 % als marginal bezeichnet werden und ein Zusammenhang zur voraussichtlichen späteren klinischen Anwendung wurde nur in 0,4% der Veröffentlichungen angegeben.
Originalartikel
Chalmers Iain et al.: Research: increasing value, reducing waste 1: How to increase value and reduce waste when research priorities are set. The Lancet 2014: 383 (9912); 156–165, DOI: 10.1016/S0140-6736(13)62229-1
22. April 2016
Ethische Aspekte der Nutzung von Tieren in der Forschung
Ein Bericht der Arbeitsgruppe des Oxford Zentrums für Tierethik
Herausgegeben von Andrew & Clair Linzley
Im Auftrag von BUAV und Cruelty Free International, 2015Deutsche Zusammenfassung durch Ärzte gegen Tierversuche e.V.Im vorliegenden Bericht wird der zentralen ethischen Frage, ob Tierversuche moralisch gerechtfertigt sind, nachgegangen. Im Gegensatz zu anderen Berichten steht hier die ethische Dimension im Vordergrund, die interdisziplinär aus Sicht der Philosophie, Naturwissenschaft, Geschichte, Theologie, Rechtswissenschaft, den kritischen Animal-Studies und der Soziologie beleuchtet wird. Der bewusste und routinemäßige Missbrauch (Zufügen von Schäden, Schmerzen und Leiden, Handel und Tod) von unschuldigen, leidensfähigen Tieren sollte eigentlich undenkbar sein. Tierversuche sind aber genau das: die Normalisierung des Undenkbaren.
Originalartikel
Normalising the Unthinkable: The ethics of using animals in research. A report by the working group of the Oxford Centre for Animal Ethics. Edited by Andrew & Clair Linzley. Commissioned by The BUAV and Cruelty Free International. 2015
26. Juli 2016
Ein Beitrag im Fachjournal Physiology vom November 2014 geht der Frage nach, ob es für die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf den Menschen eine Rolle spielt, dass Mäuse im Labor standardmäßig „gekühlt“, d.h. unterhalb ihrer „Wohlfühltemperatur“ gehalten werden. Zu kalt gehaltene Mäuse zeigen kältebedingte Stresssymptome, haben einen zu hohen Blutdruck und verstärkten Stoffwechsel, altern nicht so schnell und sind weniger anfällig für Fieber, dafür aber für Tumore.
Hinsichtlich der Körpertemperatur und der Temperaturregulierung im Austausch mit der Umgebung gibt es große artspezifische Unterschiede. Größere Arten haben eine geringere Stoffwechselrate (Energieumsatz pro Zeiteinheit) pro Gramm als kleinere. D.h. um zu überleben, müssen Mäuse viel mehr Energie pro Gramm verarbeiten als Menschen und geben deshalb pro Gramm mehr metabolische Wärme ab. Hätte zum Beispiel ein 500 kg schweres Rind die Stoffwechselrate einer Maus, würde seine Oberflächentemperatur mehr als 100°C betragen, um die Ruhe-Wärmeproduktion ableiten zu können.
Die normale Körpertemperatur von Säugetieren variiert zwischen den Spezies aber nur um wenige Grad, z.B. zwischen Maus und Elefant, und alle erhalten ihre Körpertemperatur in Umgebungstemperaturen aufrecht, die weit unter dieser liegen.
Unter einer bestimmten Temperatur (kritische Temperatur; lower critical temperature (LCT)), kann ein Säugetier die normale Körpertemperatur jedoch nicht mehr aufrechterhalten, ohne über den einen erhöhten Stoffwechsel mehr Wärme zu produzieren. Da Mäuse mehr Wärme pro Gramm abgeben als Elefanten, verlieren sie in einer kühleren Umgebung schneller Wärme als Elefanten, d.h. die kritische Temperatur ist bei kleinen Tieren höher als bei großen.
Zum Beispiel liegt die kritische Temperatur eines leicht bekleideten Menschen bei 21°C, die von Mäusen bzw. Ratten aber bei 30 bzw. 28°C. Verhalten, Alter, Geschlecht, Züchtung und Tageszeit beeinflussen thermische Präferenzen, so dass eine Verallgemeinerung der Haltungstemperatur schwierig ist. Der US National Research Council empfiehlt die Haltung von Mäusen bei 20-26°C, also unterhalb ihrer kritischen Temperatur. In 3 von 50 von den Autoren gesichteten tierexperimentellen Veröffentlichungen fanden sich Hinweise auf eine Haltung der Tiere in diesem Temperaturbereich, bei 47 Studien wurde die Temperatur gar nicht erst erwähnt.
Nach Aussage der Autoren gibt es tausende von Studien an Knockout-Mäusen, bei denen die Tiere unterhalb der kritischen Temperatur gehalten werden. Das heißt, Mäuse in Tierversuchslaboren stehen meist unter dauerndem Kältestress. Dies erkennt man u.a. an Mäusejungen, die bei Temperaturen unter 27°C ständig Stressrufe ausstoßen, jedoch nicht bei Temperaturen über 33°C. Der Kältestress zeigt sich auch in der metabolischen Aktivität: der Stoffwechsel ist bei 22°C ca. 50% höher als bei 30°C, d.h. wenn eine Maus bei 22°C aufwächst, ist ihre Futteraufnahme 50% höher, ihre Körpermasse sowie ihre Leber, Nieren und ihr sind Herz größer als bei Mäusen, die bei höheren Temperaturen gehalten werden. Eine solche Maus hat nicht denselben metabolischen und thermischen Phänotyp wie Mäuse die bei Neutraltemperatur (thermoneutrale Zone; Temperaturbereich, in dem ein gesundes Tier seine Körpertemperatur aufrechterhalten kann ohne mehr Energie zu verbrauchen) aufgezogen werden.
Tagsüber sollten die Herzfrequenz einer Maus bei 30°C bei 375/min und der Blutdruck bei 80 mmHg liegen; aber für jedes Grad darunter steigt die Herzfrequenz um 25/min und der Blutdruck um 2 mmHg. Hinzu kommt, dass Mäuse, die bei 20°C gehalten werden viel länger wach sind als bei 30°C.
Der erhöhte Blutdruck bei den niedrigeren Temperaturen ist allerdings physiologisch und nicht pathologisch, d.h. jede Intervention, die den Blutdruck verringert, beeinflusst die normale physiologische Regulation und heilt keine Erkrankung. D.h. ein Arzneimittel oder ein Gen, das den Einfluss des sympathischen Nervensystems auf das Herz vermindert, würde innerhalb der Neutraltemperatur kaum Einfluss auf die Herzfrequenz haben. Ein Arzneimittel oder Gen, das die Herzfrequenz oder den Blutdruck bei 22°C senkt, hat demnach keinen Effekt auf eine Maus bei 30°C.
Neben dem Anstieg der Stoffwechselrate unter chronischem Kältestress, verändern sich auch die Stoffwechselprodukte der Tiere. Wird eine Maus plötzlich für zwei Stunden von der Neutraltemperatur in eine Umgebung mit 21°C verbracht, verstoffwechselt sie mehr Kohlenhydrate.
Die Langzeithaltung von Mäusen bei 22°C führt zudem zu einer höheren Fettaufnahme in Herz, Lungen und das braune Fettgewebe, so dass die Triglyceride und Cholesterol im Plasma geringer sind als bei 30°C. Zudem wird die Wahrscheinlichkeit der Entwicklung von Lymphknotentumoren vermindert und die Entstehung und Entwicklung anderer Tumore sowie die Immunreaktion beeinflusst.
Die Haltung unterhalb der Neutraltemperatur führt zu einer geringeren Konzentration von weißen Blutkörperchen, zur Unterdrückung der Freisetzung entzündungsfördernder Cytokine und Anstieg der Freisetzung entzündungshemmender Cytokine. Dadurch entstehen wahrscheinlich die großen Unterschiede der Akut-Phase-Reaktion bei unterschiedlichen Temperaturen. Beispielsweise führt die Injektion von Lipopolysacchariden (entzündungsauslösende Bakterienbestandteile (LPS)) bei Mäusen bei Neutraltemperatur zu starkem Fieber mit einem Temperaturanstieg von 2°C. Dieselbe Dosis LPS führt jedoch bei Temperaturen unterhalb der Neutraltemperatur zu einem Schock und die Körpertemperatur fällt unter 34°C. D.h. entsprechende Forschungen in dem Bereich führen zu falschen Ergebnissen.
Daher stellt sich die Frage: Haben Studien mit Mäusen unterhalb der kritischen Temperatur überhaupt Relevanz für den Menschen? Es ist eher unwahrscheinlich, dass der Aktivitäts-Stoffwechsel „freilebender“ Menschen physiologisch oder genetisch Ähnlichkeit mit dem durch Kälte beeinflussten Stoffwechsel von Mäusen mit Bluthochdruck und Schlafstörungen hat. Dennoch stammt nahezu alles, was wir über das Herz-Kreislauf-System von Ratten und Mäusen wissen, von Tieren mit chronisch zu hohem Blutdruck und erhöhtem Stoffwechsel unter Schlafentzug, was die ohnehin nicht gegebene Übertragbarkeit auf den Menschen zusätzlich fragwürdig macht.
Nach Aussage der Autoren werfen die Unterschiede zwischen verschiedenen Tierarten auch generell Probleme auf, wenn es darum geht, Erkenntnisse über die menschliche Physiologie und Gesundheit zu erlangen. So würden sich beispielsweise Hunde und Katzen nicht eignen, um Zusammenhänge zwischen Herzrhythmusstörung und Hyperkaliämie (Kaliumüberschuss im Blut) zu untersuchen, da sie im Gegensatz zum Menschen auf ihren roten Blutkörperchen keine Natrium-Kalium-Pumpe haben, die für den Transport von Kalium-Ionen in die Zelle verantwortlich ist, und somit auch keinen hohen Kaliumspiegel. Trotz ähnlicher Mechanismen bei Maus und Mensch bei der Depolarisation im Herzen, sind für die Repolarisation jeweils unterschiedliche Kanäle verantwortlich, so dass Gene oder Medikamente, die bei Mäusen diesen Vorgang beinflussen, beim Menschen keinen Effekt haben.
Quelle
Maloney S.K., Fuller A., Mitchell D. et al.: Translating Animal Model Research: Does It Matter That Our Rodents Are Cold? Physiology. 2014: 29, 413-420
23. Dezember 2016
Eine 2011 in der Fachzeitschrift Frontiers in Integrative Neuroscience veröffentlichte Übersichtsarbeit aus dem Forschungsinstitut für biomedizinische Geschichte, Milan (Italien), beleuchtet die Entstehungsgeschichte der Tiefen Hirnstimulation. Zahlreiche Tierversuche, aber auch am Menschen gewonnene Erkenntnisse werden angeführt, die bis zum therapeutischen Einsatz der auch als „Hirnschrittmacher“ bekannten Tiefen Hirnstimulation dokumentiert sind.
Der Artikel gibt einen historischen Abriss über durchgeführte Tierversuche wie auch über Erkenntnisse, die am Menschen gewonnen wurden, datierend aus dem 19. Jahrhundert bis in die jüngere Zeit. Deutlich wird, dass zwar standardmäßig Tierversuche unter anderem an Katzen, Hunden, Affen (darunter auch Schimpansen) und Bullen durchgeführt worden sind. Ebenso wird berichtet, dass im frühen 19. Jahrhundert elektrische Stimulation des cerebralen Kortex an gerade enthaupteten Gefangenen vorgenommen wurde.
Jedoch hatte 1874 der Wissenschaftler Bartholow erstmals seine Erkenntnisse der elektrischen Hirnstimulation am wachen Menschen berichtet. 1882 führte der Neuropsychiater Sciamanna mehrere Versuche zur elektrischen Stimulation an Patienten mit einem Schädel-Hirn-Trauma durch. 1883 führte dann der Chirurg Alberti ein acht Monate dauerndes Experiment an einer Frau durch, bei der ein Tumor, der sich durch die Schädeldecke fraß, einfachen Zugang zur harten Hirnhaut ermöglichte.
Die erste moderne therapeutische Anwendung der Hirnstimulation bei schwerer Psychose wird in dem Artikel im Jahr 1938 beschrieben. Elektrischer Strom über die Schädeldecke verursachte einen epileptischen Anfall, der die neuronalen Verknüpfungen so umgestaltete, dass es zu einer Verbesserung der klinischen Situation der Patienten kam.
Als Pioniere der Tiefen Hirnstimulation werden in dem Artikel unter anderem die Wissenschaftler Delgado (1952), Bekhtereva (1963), Sem-Jacobsen (1965) und Cooper (1978) genannt.
Delgado beschrieb 1952 als erster die Technik der Implantation von Hirnelektroden im Menschen und die Bedeutung für die Diagnostik sowie die Therapie von Patienten mit psychischen Erkrankungen. In den folgenden zwei Jahrzehnten implantierte Delgado sogenannte stimoceivers, Elektroden, die als Empfangs- und Sendegerät fungierten, in verschiedene Tierarten, aber auch in Menschen und zeigte, dass er per Knopfdruck den Geist kontrollieren kann.
Allerdings werden Delgados Tierversuche in dem Artikel als „theatralisch“ beschrieben. So soll 1963 die Stimulation nicht wie gewünscht das aggressive Verhalten eines Bullen unter Kontrolle gebracht haben, sondern vielmehr dazu geführt haben, dass das Tier eine Linksbewegung vollzog.
Zur gleichen Zeit implantierte Delgado Elektroden in 25 Patienten, die an Schizophrenie oder Epilepsie litten, 1969 beschrieb er die enormen Möglichkeiten aber auch der Risiken der Hirnstimulation.
Die chronische Tiefenstimulation wurde erstmals von der Neurowissenschaftlerin Bekthereva als Therapie bei Bewegungsstörungen angewandt und 1963 veröffentlichte sie ihre Arbeit über die Nutzung multipler Elektroden bei hyperkinetischer Störung (Störung des Sozialverhaltens), die in Hirnareale des Subkortex implantiert wurden. Für die von ihr als therapeutische Elektrostimulation benannte Methode nutze sie Hochfrequenzpulse und erzielte ausgezeichnete Ergebnisse. Da die Veröffentlichung in Russisch verfasst war, wurde sie kaum bekannt.
Der Neurophysiologe Sem-Jacobsen nutze anfänglich implantierte Tiefenelektroden zur Aufzeichnung der Hirnaktivität und zur Stimulation bei Patienten mit Epilepsie oder psychiatrischen Erkrankungen. Er implantierte erfolgreich multiple Elektroden in den Thalamus und konnte so das beste Hirnareal für chirurgische gesetzte Gewebeschädigungen finden, eine damals übliche Behandlungsmethode. Die Elektroden verblieben oft monatelang im Patienten, ohne jegliche Nebenwirkungen. In den frühen 1970ern folgten Berichte über chronische Hirnstimulation mit in den Thalamus implantierten Elektroden zur Behandlung von chronischem Schmerz und bei Wachkomapatienten.
1977 berichtete der Neurochirurg Cooper seine ausgezeichneten Erfolge bei der Implantation von Elektroden über das Kleinhirn in den tiefen Thalamuskern bei Lähmung, Spastik und Epilepsie. Seine Erfahrungen basieren auf der chronischen Kleinhirnstimulation bei über 200 Patienten.
In der nachfolgenden Zeit wurde die Tiefe Hirnstimulation weiter optimiert, unter anderem konnte auf die Gewebeschädigung verzichtet werden, und die therapeutische Anwendung wurde immer mehr ausgeweitet wie beispielsweise auf Bewegungsverlangsamung, Schwindel oder Unbeweglichkeit. Neben der Nutzung zur Therapie bei Bewegungsstörungen gewann die Tiefe Hirnstimulation an Bedeutung zur Behandlung von chronischem Schmerz und wurde 1989 von der amerikanischen Lebens- und Arzneimittelbehörde (FDA) anerkannt.
Das „MPTP-Primatenmodell“ wird von Tierversuchsbefürworten häufig als ausschlaggebend für die medizinische Errungenschaft der Tiefen Hirnstimulation angeführt. Tatsächlich jedoch wurde das „MPTP-Modell am Affen“ zur Simulation von Parkinson 1983 erstmals beschrieben und es basierte auf dem Zufallsfund bei Drogenabhängigen, dass das Rauschgift MPTP Symptome ähnlich wie bei Parkinson verursacht. Die Entwicklung der Tiefen Hirnstimulation und die klinischen Erfolge am Patienten in verschiedenen therapeutischen Bereichen gingen dem „Affenmodell“ demnach lange voraus.
Originalartikel
Sirioni, Vittorio A.: Origin and evolution of deep brain stimulation. Frontiers in Integrative Neuroscience 2011: 5(42); 1-5
3. Mai 2017
Der Artikel aus dem Jahr 2011 thematisiert die Frage nach der Sinnhaftigkeit von Tierversuchen am historischen Beispiel Thalidomid. Thalidomid wurde 1957 als Contergan (bzw. Softenon) vom Pharmaunternehmen Grünenthal auf den Markt gebracht. Es galt als harmloses Schlaf- und Beruhigungsmittel und wurde u.a. zur Behandlung von morgendlicher Schwangerschaftsübelkeit eingesetzt. Dies führte in nur vier Jahren zu teils schweren Missbildungen bei rund 10.000 Neugeborenen.
Das Ziel des Artikels ist es, an Hand der Analyse von konkreten historischen Belegen und Forschungsarbeiten folgende gängige Argumente wissenschaftlich zu widerlegen:
- Thalidomid wurde im Tierversuch nicht auf mögliche teratogene Schäden getestet. (D.h. es wurde nicht getestet, ob die Einnahme des Wirkstoffes bei Schwangeren mögliche Nebenwirkungen auf das Un- bzw. Neugeborene haben könnte.)
- Wäre Thalidomid an schwangeren Tieren getestet worden, hätten deren Nachkommen dieselben Missbildungen gezeigt wie der Mensch und das Desaster hätte verhindert werden können.
Vier zentrale Punkte werden von den Autoren untersucht und wissenschaftlich nachgewiesen:
1. Die Tatsache, dass diaplazentarer Transfer möglich ist, also dass Wirkstoffe von der Mutter über die Plazenta auf das Kind übertragen werden können, gilt seit den 1930er Jahren als wissenschaftlich anerkannt. Nach dem Wissensstand der 1950er Jahre konnte Thalidomid als klarer Kandidat für möglichen diaplazentaren Transfer gelten.
2. Tests zur Teratogenität von neuen Wirkstoffen gehörten in den späten 1950er Jahren zur gängigen Praxis innerhalb von präklinischen Versuchsreihen. Ob auch Thalidomid nach dem damals üblichen Prozedere an schwangeren Tieren getestet wurde, werden wir nie mit Sicherheit erfahren: Sämtliche Versuchsprotokolle der Firma Grünenthal wurden zerstört.
3. Mehr Tierversuche hätten die „Contergan-Tragödie“ nicht verhindern können. Nachdem die Folgen von Thalidomid bewiesen waren, begannen intensive Forschungsarbeiten zur Teratogenität von Thalidomid bei unterschiedlichen Tierarten:
- Die Firma Grünenthal selbst versuchte 1962, die teratogenen Effekte von Thalidomid an Mäusen, Ratten und Kaninchen nachzuweisen. Die Ergebnisse waren negativ.
- Zahlreiche Forschungsarbeiten der Folgejahre bestätigen, dass Mäuse, Ratten oder Hamster auf den Wirkstoff nicht in gleicher Weise reagieren wie der Mensch. Kongenitale Schäden treten nur sporadisch und unspezifisch auf und liefern keinen Hinweis auf das Krankheitsbild der Phokomelie (Missbildungen der Gliedmaßen), das für menschliche Thalidomid-geschädigte Neugeborene charakteristisch ist. Mäuse, denen Thalidomid in einer Konzentration von 4000 mg/kg verabreicht wurde, zeigten keine Thalidomid-spezifischen teratogenen Effekte. Beim Mensch reichten 0,5 mg/kg.
- Nicht-menschliche Primaten reagierten auf die Verabreichung von Thalidomid dem Menschen ähnlich: Phokomelie konnte als fruchtschädigende Folge nachgewiesen werden. Weiterführende Untersuchungen mit 15 bekannten menschlichen Teratogenen an nicht-menschlichen Primaten zeigten allerdings deren Unzulänglichkeit als Modell für den Menschen: Nur 8 dieser Wirkstoffe erzeugten auch in mindestens einer Primatenspezies teratogene Effekte. Die anderen 7 für den Menschen fruchtschädigenden Wirkstoffe zeigten keine derartigen Folgen für die nicht-menschlichen Primaten.
- Die wohl meist zitierte Tierrasse, welche die Teratogenität von Thalidomid im Tierversuch widerspiegelte, ist die Kaninchenrasse „Weißer Neuseeländer“: Phokomelie im Nachwuchs trat allerdings erst dann auf, wenn der Mutter die 25 bis 300fache Dosis verabreicht wurde, die beim Menschen zu Fruchtschäden führte. Was jegliche Forschungserkenntnisse zum Thalidomid-Skandal relativiert, ist die Tatsache, dass die intensive Forschung am Tier NACH der „Contergan-Tragödie“ stattfand. D.h. die Forscher konnten gezielt am Tier nach Mensch-ähnlichen teratogenen Schäden suchen und fanden diese in nur einigen wenigen Spezies. D.h. zugleich: Im Vorfeld diese möglicherweise EINE richtige Spezies zu finden, die auf einen Wirkstoff in ähnlicher Form reagiert wie der Mensch, bleibt reiner Zufall. Ein Mehr an Tierversuchen hätte folglich in den 1950er Jahren zu einem Durcheinander an Daten geführt. Auch mit dem heutigem Wissensstand und den heutigen technischen Möglichkeiten hätten die fruchtschädigenden Folgen im Tierversuch nicht vorhergesagt werden können.
4. Und: Heutige Teratogenitätstests basieren immer noch auf der irrtümlichen Annahme, Forschungsergebnisse aus Tierversuchen wären auf den Menschen übertragbar. Allein die Tatsache, dass neun von zehn neuen Wirkstoffen in klinischen Versuchen versagen, da die Ergebnisse aus den Tierversuchen nicht die Reaktionen des menschlichen Organismus widerspiegeln, spricht Bände. Der Schluss, den die Autoren daraus ziehen, ist, dass das ideale Modell für den Menschen nur der Mensch selbst sein kann. Dies verhindere auch, dass möglicherweise für den Menschen hochwirksame Wirkstoffe durch „falsche“ Ergebnisse am Tier verloren gehen.
Originalartikel
Greek, R.; Shanks, N. and Rice, M. J.: The History and Implications of Testing Thalidomide on Animals. The Journal of Philosophy, Science & Law 2011: 11; 1-32
11. Juni 2018
Die Vorhersagbarkeit von Tierversuchsergebnissen im Hinblick auf schwere Nebenwirkungen nach Markteinführung von Medikamenten liegt bei nur 19%. Das bedeutet, 81% der bei Menschen aufgetretenen schweren Nebenwirkungen waren im Tierversuch nicht erkannt worden, so das Fazit einer niederländischen Studie.
Im Mai 2012 veröffentlichte ein 5-köpfiges Forscherteam der Universität Utrecht eine retrospektive Studie zur Qualitätssicherung im Bereich der Zulassung von neu entwickelten Medikamenten in der englischen Fachzeitschrift Regulatory Toxicology and Pharmacology.
Ziel dieser Untersuchung war es, herauszufinden wie hoch der Vorhersagewert von Studienergebnisse aus Testungen an Tieren für die Medikamentensicherheit ist, d.h. ob bereits in der vorklinischen Testphase (also VOR der Untersuchung an freiwilligen menschlichen Probanden) schwere Nebenwirkungen, die beim Patienten erst nach der Markteinführung auftreten können, erkennbar sind.
Die Wissenschaftler prüften in diesem Zusammenhang 43 Medikamente, bei denen insgesamt 93 schwerwiegende Nebenwirkungen aufgetreten waren.
Es handelte sich um Arzneimittel aus zahlreichen Fachbereichen der Medizin, z.B. der Gastroenterologie, Onkologie, Immunologie, Kardiologie, Dermatologie, Orthopädie, Neurologie u.a.
Als schwere Nebenwirkungen wurden Erkrankungen des peripheren Nervensystems, Blutungen und Durchbrüche im Verdauungstrakt, Nierenschäden, Herzinfarkte, Blutbildveränderungen mit Zerstörung der roten Blutkörperchen, vermehrtes Auftreten von Depressionen und plötzliches Einschlafen beschrieben.
Von den insg. 93 ernsten Nebenwirkungen bei 43 verschiedenen Medikamenten waren nur 19% zuvor im Tierversuch identifiziert worden.
Das bedeutet, dass die Sensitivität von Tierversuchen zur Prognose von schweren Nebenwirkungen beim Menschen lediglich 19% beträgt.
Originalartikel
Peter J.K. van Meer, Marlous Kooijman, Christine C. Gispen-de Wied, Ellen H.M. Moors, Huub Schellekens: The ability of animal studies to detect serious post marketing adverse events is limited. Regulatory Toxicology and Pharmacology 2012: 64(3); 345-349
23. Oktober 2018
- begrenzte Übertragbarkeit auf den Menschen und ein möglicher Weg für die Zukunft
Amerikanische Wissenschaftler vom Physicians Committee for Responsible Medicine, Washington, DC, gehen in einer in der Fachzeitschrift ATLA erschienenen Studie der Frage nach, inwieweit Diabetes Typ 2 im „Tiermodell“ erforscht werden kann und welche human-basierten Forschungsmethoden es gibt.
Weltweit litten 2014 geschätzt 422 Millionen Menschen an Diabetes (90-95 % Typ 2) gegenüber 108 Millionen 1980. Und die Zahl der Erkrankungen steigt weiter an. Deshalb ist es dringend notwendig, das Wissen über die Krankheitsentwicklung zu verbessern und effektive vorbeugende und therapeutische Maßnahmen für diese Erkrankung zu entwickeln, welche von sehr vielen Faktoren wie Genetik, Lebensstil und Umwelt beeinflusst wird.
Die Limitierung der „Tiermodelle“ bei Typ 2 Diabetes
Die Regulierung des Zuckerhaushaltes erfordert ein komplexes Zusammenspiel zwischen verschiedenen Zelltypen, Geweben und Organen (Gehirn, Leber, Nieren, Skelettmuskulatur, Bauchspeicheldrüse und Fettgewebe). Das ideale Krankheitsmodell sollte die menschlichen Ursachen, Krankheitsentstehung und -ausbruch, Komplikationen und Medikamentenwirkung beinhalten. Kein „Tiermodell“ kann diese Forderungen erfüllen. Denn Tiere unterscheiden sich in allen Bereichen der physiologischen Blutzuckerregulation signifikant vom Menschen, u. a. Zellaufbau der Bauchspeicheldrüse, Insulinsignal, neuronale Kontrolle des Glukosespiegels und Insulinregulation des Glukosetransports. Diese unveränderbaren speziesspezifischen Unterschiede werden weiter durch biologische Variationen (z. B. Alter, Geschlecht, Zuchtlinie) der benutzten Tiere und der Problematik, Diabetes Typ 2 bei diesen Tieren überhaupt auszulösen verkompliziert.
Mit verschiedenen „Tiermodellen“ wurden die beiden Hauptmerkmale der Zuckerkrankheit, Insulinresistenz und Pankreasdysfunktion, ausgiebig untersucht. Trotz des Wissens, das auf die Weise erworben wurde, bleiben viele Details der Krankheitsentstehung beim Menschen im Dunkeln, therapeutische Möglichkeiten sind immer noch sehr begrenzt und eine Heilung hat die Forschung bislang nicht erzielen können.
Am Menschen gewonnene Daten lassen Bedenken an der Übertragbarkeit der Tierversuchsergebnisse in die Klinik aufkommen. Daher ist es wichtig, die Diskrepanz zwischen Grundlagenforschung am Tier und den klinischen Fortschritten, die zur Vorbeugung und Behandlung von Diabetes Typ 2 dringend gebraucht werden, zu erkennen und anzugehen.
Human-basierendes Modell
Aktuelle Publikationen über Diabetes zeigen, dass human-basierende Modelle viel besser geeignet sind, die verschiedenen Aspekte der genetischen, biochemischen und physiologischen menschlichen Glukoseregulation zu untersuchen. So können In–vitro- („im Reagenzglas“) und In-vivo- („im Lebenden“) Modelle genutzt werden, um die Funktionsstörungen im Rahmen einer Diabetes-Typ 2-Erkrankung zu untersuchen.
Grundlage dieser Methoden sind menschliche Zellen. Diese werden aus Stammzellen, Gewebe-/Organproben gewonnen oder entstammen menschlichen Zelllinien. Allerdings sind aktuell nur wenig menschliche Zelllinien erhältlich. Dies muss geändert werden, so dass eine große Auswahl an menschlichen Zelllinien verschiedener Gewebe zu Verfügung steht.
Die gewonnenen Zellen können unter In-Vitro-Bedingungen untersucht oder mit ihnen kann der menschliche Glukosestoffwechsel simuliert werden. Dafür gibt es sowohl 2D-Modelle als auch 3D-Modelle, welche die Zellarchitektur der Organe nachbilden.
Da die genannten Modelle einen tiefgreifenden Einblick in die Krankheitsprozesse auf Zellebene ermöglichen, eignen sie sich für die Grundlagenforschung als auch für vorklinische Studien und Giftigkeitsprüfungen.
Nichtinvasive (ohne Verletzung des Gewebes) und einige minimal-invasive Untersuchungen direkt am Menschen ermöglichen einen Einblick in die humane Glukoseregulation. Diese werde im klinischen Alltag benutzt und sind auch für die Grundlagenforschung bzw. präklinischen Untersuchungen geeignet.
Epidemiologische Studien, d.h. Bevölkerungsstudien, geben Einblick in Risikofaktoren, welche durch den Lebensstil und andere Faktoren (z. B. Genetik, Darmflora) bedingt sind.
All diese Untersuchungen sollten beim Menschen erfolgen, da es zwischen Mensch und Tier große speziesspezifische Unterschiede (auch zu unseren nächsten Verwandten, den Schimpansen) gibt.
In-silico-Modelle
Computer-basierte Modelle, die mit bereits leicht zugänglichen Datenbanken arbeiten, ermöglichen die Abbildung jeder Ebene der Erkrankung. So lassen sich die verschiedenen Entstehungen, Verlaufsformen und Risikofaktoren des Diabetes Typ 2 untersuchen. Beispielsweise gibt es bereits Untersuchungen bezüglich der Insulin-Resistenz unter verschiedenen Ernährungsbedingungen.
Fazit
Trotz jahrzehntelanger Forschung, vor allem an Tieren, ist das Wissen über die Mechanismen des Diabetes mellitus inkomplett. Die großen Datenmengen der Tierversuche lassen sich nicht auf den Menschen übertragen. Deshalb führen die präklinischen Erfolge, die in der Diabetesforschung bei Tieren erzielt wurden, nicht automatisch zu präventivem oder therapeutischem Erfolg.
Ein Wechsel zu humanbasierender Forschung sollte das Ziel der weiteren Forschung sein, da sich nur dadurch genaue Information und Therapiemöglichkeiten über diese für den Menschen so wichtige Krankheit gefunden werden können.
Originalartikel
Zeeshan Ali, P. Charukeshi Chandrasekera, John J. Pippin: Animal Research for Type 2 Diabetes Mellitus, Its Limited Translation for Clinical Benefit, and the Way Forward. ATLA 2018; 46: 13-22
8. Januar 2019
Jährlich werden weltweit mindestens 115 Millionen Tiere in der biomedizinischen Forschung benutzt. Tierversuche sollen dabei Rückschlüsse auf Biologie und Krankheiten des Menschen ermöglichen, sowie der Sicherheit und Wirksamkeit potenzieller Behandlungen dienen. Aber trotz dieses immens hohen Aufwands an Ressourcen, das Leid der Tiere eingeschlossen, wurde die Effektivität von Tierversuchen bisher viel zu wenig systematisch überprüft.
Auch die weitgehende Akzeptanz, dass Medizin evidenzbasiert sein soll, führte nicht dazu, dass Tierversuche an diesem Standard gemessen wurden. Tierexperimentelle Forschung gilt weiterhin als Goldstandard der vorklinischen Testung. Eine kritische Untersuchung der Gültigkeit dieser Prämisse findet bisher nicht statt.
Das Problem der Übertragung tierexperimenteller Daten auf den Menschen
Obwohl die Unzuverlässigkeit und die Grenzen der Tierversuche zunehmend erkannt werden, besteht in der biomedizinischen Wissenschaft die allgemeine Meinung, dass diese Probleme überwunden werden können. Dagegen sprechen aber folgende Punkte, die unterstreichen, warum Tierversuche keine zuverlässigen Informationen über die menschliche Gesundheit liefern können:
- Der Einfluss von Laborumgebung und Prozeduren auf die tierexperimentellen Ergebnisse: Viele Studien belegen mittlerweile die Auswirkungen der künstlichen Laborbedingungen. Dabei ist nicht nur das Handling der Tiere von Bedeutung, sondern auch z.B. Parameter wie Bodenbelag, Käfiggröße, Lärmpegel usw. Es kommt dadurch bei den Tieren beispielsweise zu Veränderungen in der Neurochemie, Genexpression und Nervenregeneration. Der Cortisonspiegel steigt an und Blutdruck und Herzfrequenz erhöhen sich z.B. durch Manipulationen oder, wenn die Tiere ihre Artgenossen leiden sehen.
- Die Diskrepanz zwischen menschlicher Krankheit und „Tiermodell“: Menschliche Krankheiten sind in ihrer Entstehung und Ausprägung sehr komplex. Deshalb, und weil die Symptome der Krankheiten im Tier künstlich erzeugt werden, ermöglicht die Forschung an „Tiermodellen“ kaum klinisch relevante Ergebnisse. Beispiele für den erfolglosen Einsatz von „Tiermodellen“ findet man in der Forschung bezüglich Schlaganfall, Krebs, Amyotrophe Lateralsklerose (ALS), Schädel-Hirn-Trauma, Alzheimer-Krankheit und entzündlichen Zuständen.
- Artübergreifende Unterschiede in Physiologie und Genetik Neben den Abweichungen zwischen dem „Tiermodell“ und der menschlichen Krankheit, gibt es starke Unterschiede zwischen den Spezies in Bezug auf Physiologie, Verhalten, Pharmakokinetik und Genetik, die die Zuverlässigkeit von Tierversuchen erheblich in Frage stellen. Sogar Tiere derselben Art, aber verschiedener Stämme oder desselben Stammes „produzieren“ unterschiedliche Testergebnisse. Auch beträchtliche Eingriffe in die Genetik der Tiere im Rahmen der Gentechnik konnten dieses Manko nicht umgehen. Denn selbst wenn menschliche Gene in das Erbgut der Tiere eingebaut werden, ist der Wirtsorganismus immer noch kein Mensch. Sogar aus Tierversuchen an nichtmenschlichen Primaten lassen sich keine übertragbaren Aussagen zu menschlichen Reaktionen ableiten. Daraus ist zu folgern: Wenn Ergebnisse aus Tierversuchen an unseren engsten genetischen Verwandten nicht zuverlässig sind, wie können wir erwarten, dass Tierversuche an anderen Tieren zuverlässig sind?
Der kollektive Schaden, der aus fehlgeleiteten Tierversuchen resultiert
Vielfach wird argumentiert, dass Informationen, die wir durch Tierversuche erhalten, besser sind als gar keine Informationen. Diese These negiert, dass irreführende Informationen schlimmer sein können als gar keine Informationen. Denn der Einsatz von Tierversuchen kann menschliches Leid auf mindestens zwei Arten verursachen:
- Die Untersuchung der Giftigkeit einer Substanz an Tieren hat einen geringen Vorhersagewert, ob diese für den Menschen giftig ist. Durch Tierversuche wird eine Sicherheit und Effektivität vorgetäuscht, welche nicht vorhanden ist (s.o.).
- Menschen erleiden indirekt Schaden dadurch, dass erfolgversprechende Medikamente nicht weiter verfolgt werden, da die Ergebnisse im Tierversuch nicht ausreichend waren. Beispiele hierfür sind Tamoxifen (ein sehr wirksames Mittel gegen bestimmte Arten von Brustkrebs) und Gleevec (hilfreich bei einer Blutkrebsart). Beide Medikamente verursachen – im Gegensatz zum Menschen – bei mehreren Tierarten hochgradige Nebenwirkungen.
Tierversuche können also Forscher in eine falsche Richtung leiten, Zeit und Ressourcen werden verschwendet, über 96 Prozent der getesteten Substanzen fallen durch. Dabei gibt es mittlerweile eine ganze Reihe von Testmethoden an menschlichen Organzellen, welche für die Forschung eingesetzt werden können. Diese weiter zu entwickeln ist eine Frage der Priorität!
Originalartikel
Akhtar A: The flaws and human harms of animal experimentation. Cambridge Quarterly Healthcare Ethics 2015; 24: 407-419
8. Juni 2020
Gesetzlich müssen alle neuen Medikamente erst an Tieren getestet werden, bevor sie in die sogenannten klinischen Studien an Menschen kommen. Aber nur weniger als 10% der im Tierversuch erfolgreichen Medikamente werden nach der Testung an Menschen für den Markt zugelassen. Die Autoren beschreiben die vielfältigen Probleme sowohl für die Patienten als auch für die Pharmaindustrie, die durch die mangelhafte Vorhersagekraft von Tierversuchen entstehen, und ihre möglichen Lösungen, für die Gesetzesänderungen nötig sind.
Aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse über die Tierversuchsforschung
Die regulatorischen Anforderungen zur Prüfung neuer Wirkstoffe an Tieren beruhen auf falschen Annahmen. Denn sowohl Menschen als auch andere Tierarten sind komplexe biologische Systeme, deren Erbgut sich im Laufe der Evolution über lange Zeit unterschiedlich (weiter)entwickelt hat. Aber auch kleinste Unterschiede der Gene bei Artgenossen derselben Spezies können zu verschiedenen Reaktionen auf Medikamente oder Krankheiten führen oder gar zwischen Leben oder Tod entscheiden. Dazu kommen weitere Unterschiede in der Genregulation und Genexpression, die die Besonderheiten in den Reaktionen auf Medikamente oder Krankheiten der verschiedenen Spezies vergrößern. Deswegen kann man anhand von Tierversuchen nicht vorhersagen, welche Reaktionen bei Menschen durch Medikamente oder andere Prozesse hervorgerufen werden.
(Gesundheitliche) Kosten auf dem Rücken von Patienten
Ein gutes Medikament muss verträglich sein sowie die Symptome der Patienten erfolgreich beheben können. Zahlreiche Beispiele beweisen, dass Tierversuche bei diesen beiden Punkten versagen. Das heißt, im Tierversuch als sicher und wirksam erwiesene Medikamente wirken beim Menschen nicht oder verursachen (hochgradige) Nebenwirkungen. Hinzu kommen Medikamente, die erst sehr viel später nach Ihrer ursprünglichen Entdeckung als sicher eingestuft und damit zur Nutzung freigegeben werden, weil sie ursprünglich im Tierversuch als nicht wirksam oder schädlich aussortiert wurden. Es ist davon auszugehen, dass viele Patienten durch diesen Umstand direkt und indirekt länger als nötig gelitten haben oder gar frühzeitig gestorben sind.
Beispiele für fehlende Medikamentensicherheit
- Fenfluramin und Phentermin (Fen-phen) - die zugelassene Medikamentenkombination zur Appetitzüglung musste vom Markt genommen werden, weil sie bei 30% der Menschen ernste Herzklappenschäden verursachte.
- Thalidomid (bekannt als Contergan), zugelassenes Medikament gegen Übelkeit für Schwangere in den 50er und 60er Jahren, hat Missbildungen bei mehreren Tausend Neugeborenen verursacht.
- Entzündungshemmer Vioxx (Rofecoxib) führte zu Herz-Kreislauferkrankungen, Herzinfarkten und Schlaganfällen.
- Rezulin (Troglitazone), als Antidiabetikum zugelassenes Medikament, verursachte Leberversagen.
- Propulsid (Cisaprid), zugelassenes Medikament zur Erhöhung der Peristaltik des Magen-Darmtraktes, führte zu lebensbedrohlichen Herzrhythmusstörungen.
- TGN1412 kam zwar nie auf den Markt, verursachte aber bereits in der klinischen Phase I lebensbedrohliches Multiorganversagen selbst bei 500-mal kleineren Dosen als denen, die in Tierversuchen als sicher galten.
- Fialuridin wurde als mögliche Therapie für eine Hepatitis-B-Virusinfektion untersucht, führte jedoch zum Tod von Probanden.
- Rauchen wurde gerade durch Tierversuche sehr lange als nicht schädlich betrachtet, da es keinen Lungenkrebs in anderen Spezies hervorrief.
- Eine Studie hat 93 hochgradige Nebenwirkungen von Medikamenten bei Menschen analysiert und herausgefunden, dass nur 19% davon in Tieren beobachtet werden können.
Beispiele für fehlende Wirksamkeit
37% aller Medikamente fallen bereits in der ersten klinischen Phase am Menschen durch, 55% in Phase 2 und 12,6% in Phase 3. Die Durchfallrate steigt dabei über die Jahre zunehmend an. Die meisten Misserfolge, genauer gesagt 66%, sind dabei auf die fehlende Wirksamkeit zurückzuführen, gefolgt von 21% aufgrund von Sicherheitsproblemen (unerwünschte Nebenwirkungen). Im Folgenden eine Auflistung von einigen Beispielen fehlender Wirksamkeit:
- Im Rahmen der Krebsforschung ist es mehrfach gelungen, Krebs bei Mäusen zu heilen, jedoch nicht beim Menschen.
- Die klinische Studie für das Alzheimer-Medikament Semagacestat musste unterbrochen werden, da das Medikament bei Menschen nicht wirkte bzw. deren Symptome (Probleme im Bereich der Kognition) sogar noch verschlimmerte.
- Ungefähr 100 Impfstoffe gegen HIV- und HIV-ähnliche Viren erwiesen sich bei Tieren als wirksam, jedoch nicht beim Menschen.
- Über 1000 Medikamente konnten erfolgreich in „Tiermodellen“ gegen eine Schädigung des Nervensystems durch Schlaganfall schützen (es wurden Hunderte von Experimenten durchgeführt), blieben jedoch erfolglos beim Menschen.
- Mehr als 20 Medikamente waren erfolgreich bei Rückenmarksverletzungen in „Tiermodellen“, jedoch keins davon beim Menschen.
- Über 100 Medikamente wurden zur Behandlung bei Amyotropher Lateralsklerose (ALS) eingesetzt, kein einziges davon hat bei betroffenen Patienten in klinischen Studien gewirkt.
- Das Medikament Saridegib führte bei Mäusen mit Krebs zu einer 5-fach höheren Überlebensrate, zeigte aber beim Menschen keinen positiven Effekt.
Beispiele für verträgliche und wirksame Medikamente, die aufgrund von Tierversuchen aussortiert worden wären bzw. sind
Da die Pharmaindustrie und andere Forscher und Beteiligte in der Medikamentenentwicklung sich auf „Tiermodelle“ verlassen, verhindert das die Entdeckung neuer sicherer und effektiver Medikamente. Aufgrund der fehlenden neuen Medikamente und Therapien, leiden Betroffene länger oder sterben gar frühzeitig. Dass dies die Realität darstellt, zeigen verschiedene Fälle aus der Vergangenheit, in denen heute sehr bekannte und wirksame Medikamente oftmals nur durch Zufall und trotz mangelhafter Tierversuche entdeckt wurden.
- Penicillin (Antibiotikum)
- Polio-Impfung
- Pyrazinamid (Tuberkulostatikum)
- Furosemid (Diuretikum/harntreibendes Mittel)
- Isoniazid (Antibiotikum zu Behandlung von Tuberkulose)
- Digoxin (Herzmittel)
- Acetaminophen (Schmerzmittel in Paracetamol)
- Chloramphenicol und Metronidazol (Antibiotika)
- Tacrolimus (Immunsuppressivum)
- Nabilon (Betäubungsmittel)
- Phenobarbital (Betäubungsmittel, Epilepsiemittel)
- Tamoxifen (Brustkrebstherapie)
Finanzielle Kosten auf dem Rücken der Patienten
Es ist leider unmöglich, die finanziellen Kosten exakt und vollständig zu schätzen, die Patienten auch dadurch mittragen, dass es nicht gelingt, sichere und effektive Therapien zu finden. Als Beispiel nennen die Autoren hier Sepsis (Blutvergiftung), um sich ein Bild von den Dimensionen machen zu können. Durch die Sepsis-Forschung an Mäusen wurden Medikamente entwickelt, die sich zwar bei Mäusen als wirksam und sicher erwiesen, sich jedoch letztendlich unwirksam beim Menschen herausstellten und damit nicht zu nutzen waren. Umgerechnet hat allein die Medikamentenentwicklung und Forschung zu Sepsis den betroffenen Patienten in Krankenhäusern etwa 14 Milliarden US Dollar pro Jahr gekostet. Andere sehr teure Medikamente, die gleichzeitig sehr ineffizient sind, gibt es für Krebs, Herzkranzgefäßerkrankungen, Herzinsuffizienz, Schlaganfall und Lungenerkrankungen.
(Finanzielle) Kosten auf dem Rücken anderer Interessensgruppen
Die hohe Fehlerrate in der Medikamentenentwicklung, die überwiegend auf die mangelhafte Vorhersagekraft der Tierversuche zurückzuführen ist, ist mit hohen Verlusten auch für die Pharmaindustrie verbunden, da die Entwicklung eines Medikaments durchschnittlich 5,8 Milliarden US Dollar beträgt. Andere Interessensgruppen, z. B. die Teilnehmer klinischer Studien, die einem unbekannten, häufig hohen Risiko ausgesetzt werden, sind ebenfalls durch die Tierversuche benachteiligt. Dazu kommen auch die nächste Generation an Nachwuchswissenschaftlern, die statt neuen, modernen und vielversprechenden Methoden (z.B. Microdosing, Gen-basierte Medizin) immer noch Tierversuche nutzen, und nicht zuletzt wir als Steuerzahler selbst. Alle tragen direkt oder indirekt die Kosten dafür, dass man sich weiterhin auf Tierversuche verlässt.
Wenn Tierversuche irreführend sind, wieso werden sie dann gemacht?
Dies ist laut Autoren größtenteils auf bestimmte geschichtliche Hintergründe und Ereignisse zurückzuführen. Dazu gehören die entsetzlichen Menschenversuche zur nationalsozialistischen Zeit und zwei größere medizinische Desaster mit Contergan und Ethylenglycol in den USA. Daraufhin wurden im Nürnberger Kodex und der Deklaration von Helsinki erstmals Tierversuche vorausgesetzt. Viele Länder übernahmen diese Richtlinien, auch die USA. Andere Faktoren, die die Durchführung von Tierversuchen unterstützen, sind mit dem Status quo, der Gesetzgebung, Interessenkonflikten und Geld verbunden.
Eine bessere Option: Personalisierte Medizin
Es gibt bereits zahlreiche vielversprechende und bessere Ansätze als den Tierversuch. Personalisierte Medizin stellt einen solchen modernen Ansatz dar, da individuell auf den jeweiligen Menschen mit seiner jeweiligen Erkrankung eingegangen werden kann.
Auch die Pharmaindustrie ist sich über die neuen Erkenntnisse bewusst. Zwischen 2014 und 2016 basierten bereits mehr als 20 % aller neuen zugelassenen Wirkstoffe durch die FDA (US-Arzneimittelbehörde) auf personalisierter Medizin.
Fazit
Der Artikel zeigt anhand sehr vieler Beispiele, dass es der „Methode Tierversuch“ seit Jahrzehnten an Vorhersagekraft mangelt, um die Sicherheit und Effizienz von Medikamenten zu bestimmen. Nationale Aufsichtsbehörden, wie die FDA und Abkommen wie der Nürnberger Kodex und die Deklaration von Helsinki verlangen Tierversuche vor der Verabreichung eines Arzneimittels an Menschen. Diese gesetzlichen Vorgaben sind jedoch veraltet und müssen geändert werden.
Die Autoren appellieren an die Pharmaindustrie, da diese eine der mächtigsten Lobbys bildet, um diese Änderung bei der FDA anzustoßen. Das Aufzeigen der Kosten und der Verschwendung ist unbedingt nötig, um den Druck durch die Pharmaindustrie auf Entscheidungsträger zu erhöhen, da Universitäten und andere Gruppen, die von Tierversuchen profitieren, ebenfalls eine starke Lobby bilden, welche die „Weiternutzung“ von Tieren in der Forschung fördern.
Originalartikel
Kramer LA, Greek R: Human stakeholders and the use of animals in drug development. Business and Society Review 2018; 123: 3-58