Medizinischer Fortschritt ist wichtig - Tierversuche sind der falsche Weg!
12. November 2008
Zusammenfassung
„Tierexperimentell tätige Wissenschaftler müssen nach den gesetzlichen Vorschriften der Bundesrepublik Deutschland in ihren Anträgen auf Genehmigung eines Tierversuchsvorhabens begründen, inwieweit diese Tierversuche ethisch und wissenschaftlich gerechtfertigt sind. Als Begründung wird meist auf das fehlende Verständnis der Zusammenhänge bei der Entstehung von Krankheiten bzw. mit dem Fehlen entsprechender Therapien am Menschen hingewiesen.
Die Basis für die vorliegende Studie waren die bei den Genehmigungsbehörden eingereichten Forschungsanträge biomedizinischer Arbeitsgruppen aus drei Universitäten in Bayern. Einbezogen wurden 16 Anträge, die von 1991 bis 1993 in einer Tierversuchskommission nach § 15 des Tierschutzgesetzes eingereicht, bewilligt und in einer vorausgegangenen Studie (Toni Lindl et al., 2001) als erfolgreich eingestuft wurden.
Untersucht wurden die Zitierhäufigkeit, der Zitierverlauf und die Frage, in welche Forschungen die Primärzitate eingegangen sind: ob in weiteren tierexperimentellen Studien, in in vitro-Studien, in klinischen Studien oder in Übersichtsartikeln (sog. Reviews). Von ausschließlichem Interesse war, ob die Wissenschaftler das in den Anträgen postulierte Versuchsziel, eine neue Therapie oder überhaupt klinisch Relevantes zu entwickeln, erreichen konnten.
Das Ergebnis war enttäuschend: Es konnten zwar 97 klinisch orientierte Veröffentlichungen ermittelt werden, welche die oben erwähnten Publikationen zitierten (8% aller Zitierungen), aber nur bei 4 Studien (0,3%) wurde ein direkter Zusammenhang zwischen den tierexperimentellen Befunden der Antragsteller und den gefundenen Ergebnissen am Menschen hergestellt. Doch selbst hier konnte die im Tierversuch bestätigte Hypothese klinisch nicht in eine neue Therapie am Menschen umgesetzt werden. Entweder war kein therapeutischer Effekt nachweisbar, oder die Befunde am Menschen widersprachen sogar den Ergebnissen am Tier.
Als Konsequenz dieser Studie wird gefordert, die gesetzlichen Begründungen für einen Tierversuch durch die Behörde strenger zu prüfen und projektspezifische Argumente zu fordern, anstatt pauschale Begründungen zu dulden. Ferner müssen die Kompetenzen der prüfenden Behörden und der beratenden Kommissionen nach § 15 des TSchG dringend erweitert werden.“
Quelle
Titel: Tierversuche in der biomedizinischen Forschung - Eine Bestandsaufnahme der klinischen Relevanz von genehmigten Tierversuchsvorhaben: Nach 10 Jahren keine Umsetzung in der Humanmedizin nachweisbar.
Autoren: Toni Lindl (1), Manfred Völkel (2) und Roman Kolar (3)
Institute: (1) Institut für angewandte Zellkultur, München, (2) Tierversuchskommission Nordbayern, Regierung von Unterfranken, Würzburg, (3) Tierschutzakademie Neubiberg, Neubiberg
Zeitschrift: ALTEX 2005, 22(3), 143-151
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12. November 2008
Zusammenfassung
Die Standard-Haltungsbedingen von Ratten, Mäusen und anderen Nagetieren verursachen körperliche und seelische Schäden bei den Tieren, weswegen die Verwendung von Tieren zu Versuchszwecken aus ethischen und wissenschaftlichen Gründen generell in Frage gestellt werden muss. Zu diesem Ergebnis kommt eine im Juli 2006 im Wissenschaftsjournal »Laboratory Animals« erschienene Studie.
Verhaltensforscher Dr. Jonathan Balcombe vom Ärztekomitee für verantwortliche Medizin in Washington untersuchte 200 Publikationen über die Haltungsbedingungen von Versuchsnagern. Normalerweise leben die Tiere in kleinen Plastikschachteln mit Drahtdeckel, die wie Schubladen über- und nebeneinander in großen Regalen stecken. In den Kästen befindet sich üblicherweise außer den Tieren nur Einstreu und sonst nichts. Balcombes Ergebnisse: Ratten und Mäuse sind bereit für eine interessantere Umgebung, für die Möglichkeit Nester zu bauen und Sozialkontakt zu ihren Artgenossen zu pflegen Arbeit auf sich zu nehmen; Ratten in steriler Haltung haben kleinere Gehirne als Tiere in einer abwechslungsreichen Umgebung; einzeln gehaltene Ratten versuchen häufiger ihren Käfigen zu entkommen als in Gruppen lebende; Millionen Labormäuse in aller Welt kratzen, graben und drehen sich neurotische jede Nacht im Kreis, während die Experimentatoren längst nach Hause gegangen sind.
»Diese Ergebnisse sind ein weiterer Beweis dafür, dass es keine harmlosen Tierversuche gibt«, schließt Balcombe.
Quelle
Titel: Laboratory Environments and Rodents' Behavioral Needs: A Review
Autor: Jonathan Balcombe
Institut: Physicians Committee for Responsible Medicine (PCRM), Washington, USA,
Zeitschrift: Laboratory Animals, July 2006, 40(3), 217-235
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12. November 2008
Das renommierte Wissenschaftsjournal NATURE titelte im Dezember 2006 »Tierversuche wegen schlechter Planung unter Beschuss«. Der kritische Artikel basiert auf einer aktuellen Studie britischer Wissenschaftler (siehe unten).
Zusammenfassung
Ein Team von britischen Medizinern decken erhebliche Unterschiede zwischen Tierversuchen und klinischen Studien auf. Die systematische Untersuchung vergleicht die Ergebnisse verschiedener Behandlungsmethoden bei Versuchstieren und Patienten. Dazu wurden entsprechende Artikel in Fachzeitschriften analysiert. Bei nur drei der sechs untersuchten Krankheitsbilder gab es Übereinstimmungen, bei der anderen Hälfte nicht. Zum Beispiel hilft Kortison Versuchstieren mit einer künstlich beigebrachten Kopfverletzung.
Bei menschlichen Patienten konnte diese Wirkung nicht festgestellt werden. Bei Tieren konnte ein Schlaganfall mit dem Medikament Tirilazad erfolgreich behandelt werden. Beim Menschen nützte es nichts oder war sogar schädlich. Umgekehrt war die Gabe von antifibrinolytischen Medikamenten bei Hirnblutungen bei Patienten hilfreich, im Tierversuch jedoch nicht.
Die Autoren kritisieren auch die unrealistische Nachahmung klinischer Beschwerden. So erhielten Nagetiere zehn Minuten nach einem künstlich beigebrachten Schlaganfall eine Behandlung, während Menschen oft erst nach 24 Stunden behandelt wurden. Weiterhin fanden die Wissenschaftler Beweise für Voreingenommenheit bei der Veröffentlichung. Studien mit unerwünschten Ergebnissen würden oft nicht publiziert werden.
Zwar könne aufgrund einer Analyse von nur sechs Behandlungsmethoden kein pauschales Urteil über Tierversuche gefällt werden, heißt es in dem Artikel, aber die Ergebnisse machen die Grenzen bei der Übertragung von Tierversuchsergebnissen auf die klinische Situation deutlich.
Quelle
Titel: Comparison of treatment effects between animal experiments and clinical trials: systematic review
Autoren: Pablo Perel (1), Ian Roberts (1), Emily Sena (2), Philipa Wheble (2), Catherine Briscoe (2), Peter Sandercock (2), Malcolm Macleod (2), Luciano E. Mignini (3), Pradeep Jayaram (4), Khalid S. Khan (4)
Institute: (1) Crash Trieal Coordinating Centre, London School of Hygiene and Tropical Medicine, London WC1E 7HT, UK, (2) Clinical Neuroscience, University of Edinburgh, UK, (3) Centro Rosarino de Estudios Perinatales, WHO Collaborative Centre in Maternal and Child Health, Rosario 2000, Argentinien, (4) Division of Reproductive and Child Health, Birmingham Woman's Hospital, University of Birmingham, UK
Zeitschrift: BMJ 2007: 334(7586); 197 doi:10.1136/bmj.39048.407928.BE
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11. September 2009
Toxikologe hält die heutige Praxis der Giftprüfungen für überholungsbedürftig und zeigt Strategien für eine Toxikologie des 21. Jahrhunderts auf
Professor Thomas Hartung ist Professor für Pharmakologie und Toxikologie an der Universität Konstanz, Professor und Lehrstuhlinhaber an der John Hopkins Universität Baltimore (USA) und Direktor des John Hopkins Zentrums für Alternativmethoden zu Tierversuchen. Er kritisiert in dem renommierten Wissenschaftsmagazin Nature die heute üblichen Giftprüfungen (Toxikologie) und befasst sich mit der Frage, ob die gegenwärtige Praxis, chemische Substanzen mit Tierexperimenten auf Giftwirkung zu prüfen, für REACH, dem bisher größten EU-Sicherheitsprogramm, ausreicht. Im Rahmen der EU-Richtlinie REACH sollen 30.000 Substanzen, die vor 1981 auf den Markt gekommen sind, auf ihre Gefährlichkeit getestet werden. Dabei greift die EU größtenteils auf althergebrachte Tierversuche zurück.
Der Autor des Artikels weist auf schon lange bekannte Unzulänglichkeiten der angewendeten Tierversuche hin: Menschen sind keine 70-kg-Ratten. Wir leben in anderen Umgebungen als Labortiere, leben länger als diese und haben einen anderen Stoffwechsel. Als Beispiele nennt er den LD50-Test, die Giftmenge, die 50 % der Versuchstiere tötet, und einen Hautreizungstest, die nur sehr schlecht in ihren Ergebnissen bei Menschen und z. B. Ratten als gängigen „Modellen“ übereinstimmen. Professor Hartung fragt somit zu recht: Wie aussagekräftig und »brauchbar« sind diese sogenannten »Tiermodelle«?
Da zudem alle möglichen Effekte geprüft werden sollen, wird die Testplanung „konservativ“ durchgeführt, also hohe und höchste Dosierungen jenseits der wirklich bei Vergiftungen vorkommenden eingesetzt, um tatsächlich Wirkungen sehen zu können. Die Ergebnisse stimmen daher oft nicht mit denen überein, die in der Wirklichkeit am häufigsten zu erwarten sind. Zudem werden viele verschiedene Giftwirkungen gleichzeitig untersucht. Dieses führt leicht zu falschen Zuordnungen von Ursache und Wirkung. Und es stellt sich natürlich auch die Frage nach wirklich gesundheitsgefährdenden Effekten, nicht nur Gewebsreizung und Zerstörung, die gemessen werden.
Ein allgemeines, aber für die Aussage jedes Testes problematisches Phänomen ist die Tatsache, das Testergebnisse nicht nur Wirkungen erfassen, sondern auch nicht vorhandene Wirkungen als vorhanden anzeigen und echte Effekte übersehen. Nimmt man als Rechenbeispiel, wie Prof. Hartung dies im Artikel tut, nur die Fortpflanzungs- und Embryonenschädigung, die bei 5.500 Altchemikalien durchgeführt werden soll, liegt die Trefferquote nur bei 60%, im Gegensatz zu 40 % fälschlicherweise als giftig eingestuften Substanzen. 83 der 138 bekannt giftigen Substanzen werden so gefunden, aber 2.145 ungiftige Substanzen irrtümlich zu Gift erklärt. Bei der herkömmlichen Vorgehensweise wird nun in einer weiteren Tierart getestet. Von den 3.272 Chemikalien, die im ersten Test negativ waren, werden nun weitere 1.309 zum Gift erklärt. Gleichzeitig werden nur 33 von 55 giftigen Substanzen, die im ersten Test nicht erkannt wurden, erfasst. Insgesamt werden somit 116 von 138 echten Giften erkannt, und 3.454 ungiftige Substanzen zu Giften erklärt - ein eher zweifelhaftes Verhältnis.
Eine einfache Änderung bei der Testung von Substanzen würde laut Hartung zwei Ansätze kombinieren:
- Roboterautomatisierte Vielfachtests (Screening) würden die möglichen Gifte zuverlässiger identifizieren, was schon aus Kostengründen (sic!) in vitro, also mit tierversuchsfreien Verfahren, geschieht;
- Bestätigung der gescreenten Substanzen in für sie geeigneten In-vitro-Tests
Die Testung von potentiellen Arzneimitteln ist noch problematischer als die von Chemikalien. Bei den Medikamentenprüfungen fällt ein großer Anteil der Stoffe (8-30%) allein wegen Sicherheitsproblemen bei der Anwendung am Menschen durch – obwohl sie in den Tierversuchen unauffällig waren. Hinzu kommen noch die Substanzen, die in der Wirkung versagen oder bei denen sich erst nach der Zulassung die unerwünschten Seiten zeigen, wie z. B. beim Rheumamittel Vioxx. Darüber hinaus können neue Medikamente aus Teilen menschlicher Zellen (sogenannte Biologicals) nicht wie chemische Stoffe im Tierversuch getestet werden, denn ihre Wirkung tritt ausschließlich beim Menschen ein, oder sie werden von tierischen Immunsystemen zerstört. Diese Medikamente machen mittlerweile ca. 50 % der neu zugelassenen Substanzen aus. Der Druck auf die Toxikologie, dafür auf humanen Zellen basierende Modelle zur Giftigkeitsprüfung zu entwickeln, wird damit enorm.
In der Medizin müssen Diagnose und Therapie objektiv beurteilbar sein, um für den einzelnen Patienten optimale Entscheidungen zu treffen. Diese sogenannte evidenzbasierte Medizin (EBM) beurteilt den Wert einer Behandlung systematisch nach den Behandlungsergebnissen und –erfolgen. Damit ist sie in eine Vorreiter- und Lenkungsrolle geschlüpft. Bereits 5.000 Leitlinien zu häufigen Behandlungsfeldern liegen vor. Toxikologe Hartung legt zu Recht nahe, diesen EBM-Ansatz in die Toxikologie zu übertragen.
Die Schwierigkeiten der bisherigen Toxikologie macht der Experte an einem Fleckentferner-Wirkstoff anschaulich. Sechs Studien stuften ihn als nicht krebserregend ein, 10 als krebserregend in Tieren, wahrscheinlich aber nicht in Menschen, 9 schätzten ihn als begründetermaßen krebsverdächtigen Stoff für Menschen ein ohne gesellschaftlich-gesundheitswissenschaftliche Belege und 4 kamen zum Schluss, dass es für die krebserregende Wirkung rationale Begründungen und gesundheitswissenschaftliche Belege gibt. Ein Durcheinander - und gleichzeitig Beleg für die Reformbedürftigkeit.
Professor Hartung fordert daher eine vollkommen neue Strategie auf Basis der weiterentwickelten Zellkulturen, ganz besonders der dreidimensionalen Vielfach-Zellkulturen, die Organe in Struktur und Funktion nachahmen. Stand bisher nur Gewebe aus Operationen zur Verfügung, können Stammzelltechnologie und Computersimulationen (sog. in-silico-Technik) die Auswahl bereichern. Dahinter steht ein Strategiewechsel: Charakterisierung von Wirkstoffen durch die Aufklärung und Bewertung von Merkmalsmustern statt einzelner Merkmale.
Internationale Unternehmen, gerade im Bereich Chemie und Pharma, halten an überlieferten Tierversuchen fest, bis der letzte wichtige Markt neue Verfahren einführt. Das Hauptproblem, legt Professor Hartung dar, ist hier die wechselseitige Verflechtung von wissenschaftlichen, politischen und behördlichen Meinungsführer. Diese erzeugt politische und gesetzliche Kompromisse, auch im Sinne von Absicherung der Verantwortung, zugunsten jahrzehntelang durchgeführter »etablierter« Tierversuche. Dieses System wird dadurch besonders gestützt, dass es bequem für die Konzerne ist. Eine berechenbares Spektrum an Tests, dass für planbare Anforderungen an Zeit und Kosten sorgt, wird abgearbeitet. Damit ist die Industrie alle Verantwortung los. Daher sind an diesem Punkt die Gesetzgeber in einer Schlüsselposition.
Die US-Umweltschutz-Behörde EPA hat bereits zusammen mit anderen US-Behörden durch Einrichtung des ToxCast-Programms diesen Richtungswechsel in der Giftprüfung eingeleitet. In Europa hat neben der Diskussion um REACH, das Tierversuchsverbot für Kosmetika die Debatte angeheizt.
Was in Zukunft an Neuerungen kommt, so Hartung, sei ein rein wissenschaftlicher Prozess. Ohne den politischen Willen wird es aber zu keiner Umsetzung in die Praxis kommen, auch wegen der dafür nötigen öffentlichen Förderung. Die größte Herausforderung bleibt aber die Erarbeitung eines neuen verwaltungstechnischen regulatorischen Systems. Ein weiterer wichtiger Antrieb sind die Aufwendungen von 600 Millionen Euro jährlich allein in Europa nur für toxikologische Tests. Zusammen mit der neuen Strategie ermöglichen sie nicht nur qualitativ höherwertigere Aussagen, retten Menschenleben, fördern kleine und mittlere, innovative Unternehmen, vor allem ersparen sie vielen Millionen von Tieren großes Leid und einen qualvollen Tod.
Von entscheidender Wichtigkeit wird aber die Bereitschaft zum Systemwechsel sein, für den Professor Hartung plädiert: Dabei darf das neue nicht als Flicken für die Lücken und Unzulänglichkeiten des alten, tierversuchsbasierten Giftigkeitsprüfungssystems herhalten.
Quelle
Thomas Hartung: Toxicology for the twenty-first century. Nature, Vol. 460, 9 July 2009, 208- 212
29. Januar 2009
Eine im Januar 2009 veröffentlichte Studie untersuchte, ob sogenannte »Tiermodelle« potentielle Risiken für den Menschen vorhersagen können. Die Autoren gingen der Frage nach, ob es - insbesondere in den Bereichen Toxikologie und Pathophysiologie - zuverlässige Belege für die Brauchbarkeit von »Tiermodellen« für die Vorhersage möglicher Reaktionen von Menschen auf bestimmte Substanzen oder Therapien gibt. Das Ergebnis belegt, dass Mensch und Tier, sowie verschiedene Tierarten untereinander, nur unzureichende übereinstimmende Reaktionen zeigen, so dass »Tiermodelle« in der Vorhersage toxischer Wirkungen für den Menschen versagen.
Die Autoren führen verschiedene Studien an, in denen Aussagen zur Vorhersagekraft des »Tiermodells« für den Menschen getroffen werden und analysieren diese. Nicht berücksichtigt wurden dabei »Tiermodelle«, die in der Grundlagenforschung verwendet werden, da den Autoren zufolge hier von vornherein kein Anspruch auf ihre Vorhersagefähigkeit erhoben wird.
Die Untersuchung fordert, dass »Tiermodelle«, die der angeblichen Vorhersage der menschlichen Reaktion dienen, auch dahingehend überprüft werden müssen, ob und inwieweit sie diesen Anspruch erfüllen. Kann eine Versuchsanordnung, keine korrekten Vorhersagen für den Menschen treffen oder liefert sie nur ab und zu treffende Ergebnisse, dürfe diesem Modell keine Vorhersagefähigkeit zugebilligt werden.
Als Beispiel der Untersuchung des Vorhersagewertes eines »Tiermodells« für den Menschen wird eine Studie angeführt, in der die Wirkung von sechs Medikamenten im Tier und im Menschen verglichen wurde. Im Ergebnis zeigten Mensch und Tier in ca. 50% der Fälle eine ähnliche Empfindlichkeit, ein Ergebnis, das sich auch mit dem Werfen einer Münze erzielen lässt. Eine zuverlässige Vorhersage der Wirkung am Menschen konnte aus dem Tierversuch nicht getroffen werden.
In einer 1994 durchgeführten Studie wurden insgesamt 91 menschliche Vergiftungsreaktionen, die durch die Einnahme von 64 bereits auf dem Markt befindlichen Arzneien auftraten, mit der Wirkung am Tier verglichen. Im Tierversuch konnten 39 der 91 (43 %) klinisch beobachteten Fälle toxischer Effekte im Tierversuch nicht bestätigt werden. Dabei wurde als positive Vorhersage bereits gewertet, wenn nur irgendein Tier eine dem Menschen vergleichbare Reaktion zeigte.
Im Fall von Thalidomid (Wirkstoff des Schlaf- und Beruhigungsmittels Contergan) zeigte sich, dass die Vorhersage der missbildenden Wirkung am Menschen auch durch zahlreiche Versuche an verschiedenen Tierarten nicht zuverlässig getroffen werden konnte. Um rückwirkend die bekannten Effekte von Contergan zu beurteilen, wurde an verschiedenen »Tiermodellen« getestet. Neun Arten nicht-menschlicher Primaten zeigten die beim Menschen typischen Missbildungen von Armen und Beinen. Bei der Testung von 15 weiteren Substanzen, die beim Menschen als schädlich für das Ungeborene gelten, zeigten nur acht nicht-menschliche Primaten vergleichbare Missbildungen. Insgesamt ließen sich bei den unterschiedlichen getesteten »Tiermodelle« eine Vielfalt verschiedener Reaktionen beobachten, so dass zuverlässige Rückschlüsse für den Menschen nicht möglich waren.
Die sogenannte Olsen-Studie aus dem Jahr 2000 hatte zum Ziel, den Nutzen von »Tiermodellen« in der Vorhersage von Vergiftungen am Menschen nachzuweisen. Hierzu wurden von zwölf Pharmafirmen die Ergebnisse aus Versuchen an »Tiermodellen« dahingehend überprüft, ob sie mit der klinischen Beobachtung am Menschen übereinstimmten. Insgesamt wurden 150 Substanzen und 221 bekannte menschliche Vergiftungsfälle berücksichtigt. Im Ergebnis zeigte sich ein als positive Übereinstimmungsrate bezeichneter Wert von 63 % bei Nicht-Nagetieren und von 43 % bei Nagetieren.
Als Kritik an der Olsen Studie führen die Autoren an, dass diese im Auftrag der Industrie durchgeführt wurde, die möglicherweise ein besonderes Interesse daran hat, das »Tiermodell« als gute Wissenschaft zu bestätigen, so dass die Neutralität der Untersuchung nicht gewährleistet ist. Um die Ergebnisse aus Tierversuchen bezüglich der Relevanz für den Menschen positiver erscheinen zu lassen, wurden zudem neue Begriffe wie »positive Übereinstimmungsrate« erfunden, die kein Bestandteil der in der Wissenschaft üblichen statistischen Analysemethoden sind. Hiermit wird fälschlicherweise eine gute Vorhersagefähigkeit von »Tiermodellen« für den Menschen suggeriert. Darüber hinaus ging es in der Olsen-Studie um die Bestätigung von Effekten am Tier, die bei Menschen bereits bekannt waren. Dabei wurde jedes Tier, das dem Menschen vergleichbar reagierte, als positives Ergebnis gewertet – auch wenn von sechs untersuchten Tierarten nur eine die gleiche Reaktion zeigte wie der Mensch.
Zusammenfassend merken die Autoren an, dass Vorhersage aus wissenschaftlicher Sicht nicht bedeutet, rückwirkend im »Tiermodell« ähnliche Effekte wie beim Menschen nachzuweisen oder Daten so auszuwerten, dass man das »richtige« Ergebnis erhält. Auch würde es nicht ausreichen, nur ab und zu eine übereinstimmende Reaktion bei Tier und Mensch zu finden. »Tiermodelle« erfüllen das Kriterium der zuverlässigen Vorhersage schädlicher Wirkungen am Menschen nicht und stellen somit kein brauchbares Testkonzept dar. Die Autoren merken an, dass es unlogisch ist, in »Tiermodellen« Wirkungen am Menschen vorhersagen zu wollen, da schon Menschen untereinander beispielsweise auf Medikamente unterschiedlich reagieren.
Quelle
Titel: Are animal models predictive for humans?
Autoren: Niall Shanks (1) Ray Greek* (2) and Jean Greek (2)
*Korrespondierender Autor
Institute: (1) Wichita State University, Department of History, 1845 N Fairmont, Fiske Hall, Wichita KS 67260, USA; (2) Americans For Medical Advancement, 2251 Refugio Rd Goleta, CA 93117, USA
Zeitschrift: Philosophy, Ethics, and Humanities in Medicine 2009, 4:2. doi: 10.1186/1747-5341-4-2
8. Februar 2010
Eine aktuelle Studie attestiert erneut Schwachpunkte der tierexperimentellen Forschung. Die Ende November 2009 im Fachjournal PLoS ONE veröffentlichte Untersuchung wurde unter Federführung des Britischen Zentrums für Ersatz, Verfeinerung und Reduzierung von Tierversuchen durchgeführt. Sie offenbart eine unsaubere und lückenhafte Methodik bei der Planung und Durchführung von Tierversuchen, sowie bei der Auswertung der Daten und Präsentation der Ergebnisse.
Untersucht wurden öffentlich finanzierte Versuche an Mäusen, Ratten und nicht-menschlichen Primaten, die in britischen oder US-amerikanischen Labors im Rahmen der biomedizinischen Forschung durchgeführt und zwischen Januar 1999 und März 2005 in Fachjournalen veröffentlicht wurden. Insgesamt 271 Veröffentlichungen wurden hinsichtlich der Angaben zu Versuchszweck, Anzahl, Alter, Gewicht und Geschlecht der verwendeten Tiere, sowie Auswahl der Gruppengrößen und statistischer Methoden begutachtet. Es zeigte sich, dass nur bei 59 Prozent der Studien ein Versuchszweck, Eigenschaften der Tiere und Angaben zur Tierzahl zu finden waren. Nur bei 70 Prozent der Veröffentlichungen, bei denen statistische Methoden anwandt wurden, wurde die Wahl der Analyse auch erläutert. Vier Prozent der Tierversuche enthielten gar keine Angaben zur Tierzahl. Von 48 Studien, die zwar im Methodenteil Angaben zur Tierzahl machten, waren diese im Ergebnisteil nicht nachvollziehbar oder widersprachen sogar dem Methodenteil. Wenig plausibel, oder gar nicht erst angegeben, waren in einigen Fällen auch die Auswahl der Gruppengrößen und Kriterien der Gruppenzusammensetzung.
Um eine Verzerrung der Versuchsergebnisse zu vermeiden, sind heute die sogenannte Randomisierung und Verblindung in der Wissenschaft Standard. Bei der Randomisierung werden die Tiere zufällig auf Gruppen aufgeteilt. Verblindung bedeutet, dass der Untersucher nicht weiß, welche Tiere welche Behandlung erhalten haben. Die Studie ergab, dass 87 Prozent der untersuchten Publikationen keine Randomisierung und 86 Prozent keine Verblindung erwähnten. Dies ist ein weiteres Indiz für die mangelhafte Qualität der untersuchten Tierversuchsstudien.
Insgesamt kam die Untersuchung zu dem Schluss, dass eine Reihe von Punkten im Versuchsausbau und in der Datenauswertung- und Darstellung unzureichend nachvollziehbar waren und somit nicht dem Anspruch der Transparenz und Genauigkeit entsprechen.
Quelle
Titel: Survey of the Quality of Experimental Design, Statistical Analysis and Reporting of Research Using Animals
Autoren: Carol Kilkenny (1), Nick Parsons (2), Ed Kadyszewski (3), Michael F. W. Festing (4), Innes C. Cuthill (5), Derek Fry (6), Jane Hutton (7), Douglas G. Altman (8)
Institute: (1) The National Centre for the Replacement, Refinement and Reduction of Animals in Research, London, United Kingdom, (2) Warwick Medical School, University of Warwick, Coventry, United Kingdom, (3) Pfizer Global Research and Development, Groton, Connecticut, United States of America, (4) Animal Procedures Committee, London, United Kingdom, (5) School of Biological Sciences, University of Bristol, Bristol, United Kingdom, (6) Animals Scientific Procedures Inspectorate, Home Office, Shrewsbury, United Kingdom, (7) Department of Statistics, University of Warwick, Coventry, United Kingdom, (8) Centre for Statistics in Medicine, University of Oxford, Oxford, United Kingdom
Zeitschrift: PLoS ONE 2009 4(11): e7824 doi:10.1371/journal.pone.0007824
17. Januar 2013
Eine am 11. Januar 2013 in der wissenschaftlichen Fachzeitschrift International Journal of Medical Sciences veröffentlichte Studie bestätigt erneut, dass Tierversuchsergebnisse nicht auf den Menschen übertragbar sind. Die beiden Wissenschaftler von der Organisation Americans For Medical Advancement, Kalifornien, kommen nach ihrer Analyse zu dem Schluss, dass selbst bei einer verbesserten Standardisierung von »Tiermodellen« diese kein geeignetes Mittel sind, um Reaktionen des Menschen auf Medikamente und andere Stoffe vorherzusagen.
Einzelne wissenschaftliche Artikel in Fachzeitschriften können Fehlern oder Befangenheit der Forscher unterliegen. Systematische Übersichtsartikel (Reviews) sind derzeit die bevorzugte Methode, um wissenschaftliche Arbeiten zu beurteilen. Dabei werden eine große Anzahl Einzelstudien, die bestimmte Kriterien erfüllen, zusammengefasst, um so zu einer möglichst aussagekräftigen Schlussfolgerung zu gelangen.
Die Autoren dieses Artikels stehen auf dem Standpunkt, dass systematische Reviews zur Beurteilung von Tierversuchsstudien nicht geeignet sind, weil Tierversuche in sich schon eine ungeeignete Methode sind, um Reaktionen des Menschen vorherzusagen.
Das Ziel, Ergebnisse aus Tierversuchen auf den Menschen übertragen zu wollen, ist eine der wichtigsten Rechtfertigungen zur Durchführung von Tierversuchen. Die tierexperimentelle Forschung geht davon aus, dass durch Verbesserung der Standardisierung der Versuche (z.B. bezüglich Haltungsbedingungen, Zuchtlinie usw.) auch die Übertragbarkeit verbessert werden könne.
Die Autoren führen eine Reihe von Beispielen an, die die ausgesprochen schlechte Übertragbarkeit von Tierversuchen in der Vergangenheit belegen. So waren bereits rund 100 Impfstoffe gegen HIV im »Tiermodell« wirksam, jedoch keiner davon beim Menschen. Selbst wenn morgen auf der Basis von Tierversuchen ein wirksamer Impfstoff gegen HIV gefunden werden würde, so wäre das »Tiermodell« dennoch gescheitert, da der Vorhersagewert bei etwa 0,01 liegen würde. Gleiches gilt für Rückenmarksverletzungen, bei denen 22 Wirkstoffe im Tierversuch einen therapeutischen Effekt zeigten, nicht aber beim Menschen. Die Wahrscheinlichkeit, dass aus in führenden Fachjournalen erschienenen Studien tierexperimenteller Grundlagenforschung ein neues Medikament entsteht, liegt bei 0,004 Prozent.
Durchaus vermögen Tierversuche Nebenwirkungen von neuen Wirkstoffen aufzudecken, allerdings nicht die gleichen wie beim Menschen. So zitieren die Autoren eine Untersuchung, in der Ergebnisse aus Tierstudien zu sechs Medikamenten mit bekannten Humandaten verglichen wurden. Bei den Tieren traten 48 Nebenwirkungen auf, die nicht beim Menschen vorkamen. Dagegen traten 20 Nebenwirkungen beim Menschen auf, die beim Tier nicht entdeckt worden waren.
Die Autoren gehen den Ursachen dieser erheblichen Unterschieden nach und postulieren, dass die biologische Evolution zu äußerst komplexen Systemen geführt hat, bei denen das System weit mehr ist als die Summe seiner Teile. Wenn selbst eineiige Zwillinge auf Substanzen unterschiedlich reagieren können, wie kann man dann annehmen, Tiere seien als Stellvertreter für den Menschen geeignet?
Die heutige Medizin produziert Substanzen, die bei möglichst vielen Menschen wirken sollen. Dass dies aufgrund der großen Bandbreite der Bevölkerung viel zu oft nicht funktioniert, wird immer deutlicher. Die Autoren kommen zu dem Schluss kommen, dass die Zukunft in der personalisierten Medizin zu sehen ist, bei der Behandlungsmethoden individuell zugeschnitten werden, also das Gegenteil von standardisierten Tierversuchen.
Quelle
Greek, Rey, Andre Menache: Systematic Reviews of Animal Models: Methodology versus Epistemology. International Journal of Medical Sciences 2013: 10; 206-221
8. Oktober 2013
Ratten werden bis zur Erschöpfung zum Schwimmen gezwungen und Affenmüttern werden ihre Kinder weggenommen, um beispielsweise die menschliche Depression oder die Auswirkung sozialer Isolation und Entwöhnung zu ergründen. Ein 2012 in der medizinischen Fachzeitschrift Psychiatric Times erschienener Artikel beleuchtet die in der psychiatrischen Forschung durchgeführten Tierversuche und resümiert, dass diese nicht geeignet sind, um psychische Erkrankungen des Menschen zu erforschen.
Viele wesentliche Fortschritte in der psychiatrischen Forschung beruhen auf Zufallsentdeckung oder gezielter Patientenbeobachtung. So wurde 1957 Isoniazid, das erste Antidepressivum, zufällig entdeckt, da es im Rahmen der Tuberkulosetherapie zu Stimmungsverbesserungen der Patienten führte. Dennoch werden seit Mitte des 20. Jahrhunderts sogenannte Tiermodelle konstruiert, die vorgeblich dazu dienen, psychische Erkrankungen des Menschen wie Angstzustände, Depression oder das Aufmerksamkeits-Hyperaktivitäts-Syndrom zu erforschen.
Bislang gibt es nur wenige systematische Untersuchungen, die die am Tier erlangten Ergebnisse mit denen am Menschen vergleichen. Bei Betrachtung dieser kommt der Autor zu der Folgerung, dass das Tiermodell hinsichtlich der Vorhersage für den Menschen sehr schlecht abschneidet.
Der Autor betrachtet die standardmäßig in der tierexperimentellen Psychiatrie durchgeführten Tierversuche mit Blick auf den vorgeblichen Nutzen für den Menschen. Beim forcierten Schwimmtest nach Porsolt muss eine Ratte oder Maus bis zur Erschöpfung schwimmen, was der Erforschung menschlicher Depression dienen soll. Dieser Test wird jeweils mit und ohne Verabreichung eines potentiellen Medikamentes durchgeführt. Zahlreiche Medikamentengruppen wie unter anderem Stimulantien, Antiepileptika, Pentobarbital und Opiate hatten im Tierversuch eine positive Wirkung, beim Menschen jedoch nicht.
Hunde werden als „Modell" für Zwangserkrankungen des Menschen verwendet. Die Tiere leiden aufgrund einer Allergie an Hautentzündungen. Dies führt zu verstärktem Schlecken der Wunden, was als Zwangsstörung interpretiert wird. Während Zwangserkrankungen beim Menschen vielfältige Ursachen haben, liegt bei den Hunden eine Allergie zugrunde, weswegen dem Autor zufolge schon die Versuchskonzeption von Vornherein nutzlos ist.
In Versuchen zwischen 1957 und 1963 wurden Rhesusaffen-Babys von ihren Müttern getrennt und die Auswirkungen von teilweiser oder vollständiger sozialer Isolation beobachtet. Einige der Affen wurden bis zu 15 Jahre in Einzelhaft gehalten. Allerdings ist es nach Aussage des Autors nicht möglich, Gefühle der Wertlosigkeit, übermäßige Schuldgefühle, Unentschlossenheit und Todesgedanken durch Beobachtung bei Affen zu ermitteln.
Von Tierversuchbefürworten wird die Eignung von Tieren als „Modell" für den Menschen oft damit begründet, dass beispielsweise bei Maus und Mensch 97% der Gene übereinstimmen. Die Studie verweist daher auf den wissenschaftlichen Nachweis, dass die jeweils gleichen Gene zu vollkommen unterschiedlichen Merkmalesausprägungen führen können, da das Zusammenspiel der Gene entscheidend ist.
Der Artikel folgert, dass zur Diagnosestellung und Behandlung von psychiatrischen Erkrankungen beim Menschen die Zukunft in einem integrativen Ansatz liegt, bei dem unter anderem nicht invasive Untersuchungstechniken, pharmakologische Untersuchungen wie Pharmako-Magnetoenzephalographie sowie klinische Beobachtung kombiniert werden. Zudem sei es dringend notwendig, insbesondere in der Psychiatrie und Psychologie die Empathie als wesentliche Grundlage und als Gegenmittel gegen das mechanistische Krankheitsbild zu berücksichtigen.
Die Zusammenfassung basiert auf dem Originalartikel und der deutschen Übersetzung mit freundlicher Genehmigung der Autoren.
Quelle
Andre Menache: Are Animal Models Relevant in Modern Psychiatry. Psychiatric Times 29: 3, 28. Februar 2012 (übersetzt von Dr. med. Alexander Walz, Oberarzt)
13. Dezember 2013
Eine aktuelle wissenschaftliche Studie lässt den Rückschluss zu, dass Alzheimer-Tierversuche nicht auf den Menschen übertragen werden können. Die Forscher folgern, dass Untersuchungen an menschlichen Nervenzellen sinnvoller sind und stellen in der Fachzeitschrift Stem Cell Reports ein entsprechendes Untersuchungsmodell vor.
In Versuchen an transgenen Mäusen, Zellen tierischer Herkunft wie Zellen aus dem Eierstock Chinesischer Hamster, aber auch in Tests an menschlichen Nierenzellen, führte die Gabe von bestimmten Medikamenten (nichtsteroidalen Antirheumatika) dazu, dass sich weniger Ablagerungen bildeten, die für das Absterben des umliegenden Nervengewebes und damit für die Entstehung von Alzheimer verantwortlich gemacht werden. In der Phase 2 und 3 der klinischen Studie am Menschen zeigte sich dieser Therapieansatz jedoch wirkungslos.
Wissenschaftler der Universität Bonn haben nun gemeinsam mit Forschern aus Belgien und den USA aus Hautzellen von Patienten, die an einer bestimmten Form von Alzheimer leiden, Nervenzellen hergestellt. Die Hautzellen wurden dazu in das embryonale Stadium zurückversetzt. Aus diesen sogenannten pluripotenten Stammzellen können sich fast alle Arten von Zellen bilden, wie in diesem Fall Nervenzellen. An den so gewonnenen Neuronen testeten die Wissenschaftler die nicht nichtsteroidalen Antirheumatika, die unter anderem in Tests an tierischen Zellen und transgenen Mäusen wirksam erschienen. Das Ergebnis der Untersuchung an den menschlichen Nervenzellen jedoch zeigte - wie die klinische Studie auch - keinen Therapieerfolg und war somit gegensätzlich zu den Befunden aus der tierexperimentellen Forschung.
Die Autoren folgern, dass sich die Stoffwechselvorgänge in nicht-neuronalen Zellen und solchen tierischer Herkunft von denen in menschlichen Nervenzellen unterscheiden und somit eine Übertragbarkeit der Ergebnisse nicht gegeben ist. Da die Entwicklung eines Alzheimer-Medikaments viele Jahre dauert, sehen die Wissenschaftler es als zielführend, patientenspezifische Neuronen zu Untersuchungszwecken heranzuziehen. Die Tests mit standardmäßig verwendeten transgenen Maus“modellen“ oder nicht-neuronalen Zellen haben zu einer Fehleinschätzung der Wirksamkeit der Medikamente geführt. Die Autoren der Studie empfehlen daher die Forschung an den jeweils relevanten menschlichen Zellen.
Die Studie verdeutlicht einmal mehr, wie wichtig durchdachte und auf die menschliche Situation bezogene Forschung ist. Forschung am falschen Organismus oder an den falschen Zellen führt zu vollkommen irreführenden Ergebnissen, was letztlich den medizinischen Fortschritt aufhält.
Quelle
Jerome Mertens et al.: APP Processing in Human Pluripotent Stem Cell-Derived Neurons Is Resistant to NSAID-Based y-Secretase Modulation. Stem Cell Reports 2013: 1(6); 491-498
26. Februar 2014
Tierversuche zur Erforschung der Multiplen Sklerose taugen nichts. Dies geht aus einer Studie der Tierärztlichen Hochschule Hannover (TiHo) hervor, die im Januar 2014 im Fachmagazin PLOS ONE veröffentlicht wurde. Bereits innerhalb unterschiedlicher Tier»modelle« der Multiplen Sklerose zeigt sich eine mangelnde Übertragbarkeit und im Vergleich zum Menschen reagieren diese komplett entgegengesetzt. Die Autoren stellen die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf die Situation beim Menschen in Frage.
Wissenschaftler der TiHo Hannover haben in Datenbanken verfügbare Daten von menschlichen Patienten sowie aus tierexperimenteller Forschung unter die Lupe genommen. Analysiert wurden Veröffentlichungen zu drei gängigen Tier»modellen« , bei denen die MS auf unterschiedliche Weise hervorgerufen wird. Bei der Experimentellen autoimmunen Enzephalomyelitis (EAE) werden Mäusen oder Ratten Proteine aus den die Nervenfasern umgebenden Myelinscheiden injiziert, wodurch das Immunsystem die Nervenzellen des eigenen Körpers attackiert. Bei der Theilervirus-Enzephalomyelitis wird bei Mäusen eine Virusinfektion des Zentralnervensystems hervorgerufen. Beim dritten »Modell«, dem transgenen Tumor-Nekrose-Faktor-überexprimierenden Mausmodell, werden die Mäuse so genmanipuliert, dass es zu einer Überproduktion des Tumor-Nekrose-Faktors kommt, der bei Entzündungsreaktionen eine zentrale Rolle spielt. Mittels statistischer Methoden haben die Forscher zudem ermittelt, wie viele der rund 20.000 Gene ein unterschiedliches Expressionsmuster (sog. differentiell exprimierte Gene) zeigen, wenn man die Daten von erkrankten und gesunden Menschen bzw. Tieren untersucht.
Wie die Auswertung ergab, gelingt es in Tierversuchen nicht, auf der Ebene einzelner Gene eine nennenswerte Übereinstimmung zur menschlichen Erkrankung nachzuweisen. Beim Menschen geht man bei MS von knapp 5000 differentiell exprimierten Genen aus. Im Vergleich zu den drei Tier»modellen« konnten jedoch lediglich zwölf übereinstimmende Gene gefunden werden, zudem verhielten diese sich komplett gegensätzlich. Alle zwölf Gene waren bei an MS erkrankten Menschen herunter-, in den Tiermodellen jedoch hochreguliert. Selbst zwischen den drei Tier»modellen« konnten nur 40 übereinstimmende Gene identifiziert werden.
Bei der Multiplen Sklerose handelt es sich um eine unheilbare Erkrankung des zentralen Nervensystems, bei der körpereigene Abwehrzellen die Myelinscheiden der Nervenfasern angreifen und in Folge Entzündungen im Gehirn und Rückenmark entstehen. Tiere erkranken von Natur als nicht an MS. Im Tierversuch werden also lediglich auf künstliche Weise ähnliche Symptome hervorgerufen, die mit der menschlichen Erkrankung nichts zu tun haben, wie diese Studie erneut belegt.
Quelle
Barbara B. R. Raddatz et al.: Transcriptomic Meta-Analysis of Multiple Sclerosis and Its Experimental Models. PLOS ONE 2014: 9, e86643