Gigantische Tierausbeutung stoppen - Wann, wenn nicht jetzt?
Ein Kommentar
Die Corona-Krise zeigt uns mehr denn je, dass das, was der Mensch den Tieren antut, letztendlich auf uns zurückkommt. Die aktuelle Pandemie ist nicht vom Himmel gefallen, sondern menschgemacht. Und sie wird nicht die letzte sein, wenn wir nicht endlich mit der weltweiten gigantischen Tierausbeutung aufhören.
Die Lungenkrankheit Covid-19 ist eine Zoonose. Zoonosen sind Krankheiten, die vom Tier auf den Menschen übertragen werden, die Ansteckung erfolgt durch den Kontakt mit Tieren. Manche Tiere tragen Viren in sich, die sie selbst nicht krank machen, aber wenn sie auf eine andere Spezies – z.B. den Menschen – überspringen, kann das verheerende Folgen haben.
Zoonosen sind kein neues Phänomen. Es gibt sie seit Jahrtausenden. Pest, Malaria, Milzbrand und Tollwut gibt es schon lange. Was sich aber geändert hat, ist unser Umgang mit den Tieren. Wir dringen immer tiefer in den natürlichen Lebensraum von Tieren ein, zerstören ihn und erzwingen damit einen engen Kontakt von Wildtieren mit Menschen, wir fangen und essen sie, wir pferchen „Nutz“tiere in immer unvorstellbareren Massen ein und transportieren sie über Tausende Kilometer. So überrascht es nicht, dass es immer mehr Zoonosen gibt, die innerhalb kürzester Zeit zu Pandemien werden, d.h. sich über den ganzen Globus ausbreiten. Schweingrippe, Vogelgrippe, MERS, SARS, Ebola, Zika – die Liste der Erreger, die in den letzten 20 Jahren den Weg vom Tier zum Menschen gefunden haben, ist lang.
Dreiviertel aller neu auftretenden Krankheiten sind Zoonosen (1). Sie entstehen meist, weil wir Tiere auf entsetzliche Weise halten und töten. Der Ursprung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 wird auf einem Lebendtiermarkt im chinesischen Wuhan verortet, wo es von Fledermäusen auf den Menschen übergegangen sein soll, eventuell mit Pangolinen (Schuppentieren) oder anderen Säugetieren als Zwischenstation. Auf sogenannten Wet Markets werden Schweine, Hühner, Hunde und Katzen bis hin zu allen nur denkbaren exotischen Arten wie Affen, Stachelschweine, Fledermäuse und Frösche feilgeboten. Die wild gefangenen Tiere werden auf engstem Raum halbwegs am Leben gehalten und brutal getötet. Blut und Gedärme (daher „Wet Market“) auf Holztischen, dazwischen ausgenommene Fische und sich windende Schildkröten, die lebendig aufgeschnitten werden. Abgesehen von dem unendlichen Tierleid ist es kein Wunder, dass diese Märkte Brutstätten von Krankheitskeimen sind.
Natürlich ist zu fordern, dass diese Höllen für Tiere und Gefahr für die Menschheit sofort und für immer zu schließen sind. Es wäre aber falsch, nur auf China zu blicken. Wildtiermärkte sind in Asien und Afrika weit verbreitet, aber auch die EU importiert jedes Jahr Abermillionen exotische Tiere für den Heimtiermarkt. Aufgrund mangelnder Erfassung der Handelsströme ist das genaue Ausmaß unbekannt. (2) Deutschland gilt aber als ein Hauptimporteur. So gibt es in Hamm die (nach eigenen Angaben) weltgrößte Reptilienbörse. Eingepfercht in winzige Plastikschachteln werden hier – wie auch an anderen Orten – Zigtausende empfindliche Exoten wie auf einem Flohmarkt verramscht. Ein weitgehend unreguliertes Geschäft mit viel Raum für illegale Aktivitäten.
Doch nicht nur exotische oder wild lebende Tiere bieten ein Gefahrenpotenzial. Die bei uns und inzwischen weltweit übliche Intensivtierhaltung ist ebenso ein Hort viraler und bakterieller Bedrohungen. Massentierhaltungen produzieren gigantische Mengen an Ausscheidungen mit möglicherweise krank machenden Keimen, die auf Feldern und im Grundwasser, d.h. in unserer Nahrungskette, landen. Durch Tiertransporte oft über Tausende Kilometer werden Krankheiten verbreitet und stellen eine Gefahr für Wildtiere und Menschen dar. Die Welt produziert heute vier Mal so viel Fleisch wie noch vor 60 Jahren. (3) Das bedeutet vier Mal so viel Tierleid und auch vier Mal so viel Potenzial zur Brutstätte neuer Zoonosen zu werden. Dabei sind es nicht nur Viren, die vom Tier auf den Menschen übertragen werden, sondern auch Bakterien wie Salmonellen, Campylobacter und E.coli. Was wir den Tieren antun, kommt nun auf uns zurück.
Eine nie dagewesene Zäsur
Die Corona-Krise ist eine nie dagewesene Zäsur. Noch nie zuvor haben Regierungen solch einschneidende Maßnahmen getroffen, die das öffentliche und wirtschaftliche Leben dermaßen einschränken – und das bis in den entferntesten Winkel der Welt. Dies zeigt einerseits, dass Regierungen es können und tun, wenn die Bedrohung groß genug erscheint, und es zeigt, dass zumindest sehr große Teile der Bevölkerungen die verordneten Einschränkungen ohne großes Murren mitmachen.
Wann, wenn nicht jetzt, müssten die Regierungen das Momentum für einen Neustart nutzen und Schritte einleiten, um das Risiko von zukünftigen Pandemien zu vermindern. Die Zeit ist reif – und die Menschen auch. Der Fridays For Future-Bewegung sei Dank hat der Klimaschutz in gerade einmal anderthalb Jahren enorm Fahrt aufgenommen und die Politik zum Handeln gezwungen (wenn auch in viel zu geringem Maße als notwendig). Dass der Klimaschutz auf einmal Corona untergeordnet wird, ist erschreckend und nicht nachvollziehbar. Treibhauseffekt, Regenwaldabholzung, Wildtierhandel, Tiertransporte, Intensivtierhaltung und nicht zuletzt Tierversuche – sie alle hängen zusammen. Corona ist nicht vom Himmel gefallen, genauso wenig wie die Klimaerwärmung. Sie sind menschgemacht. Und sie können und müssen von Menschen behoben werden.
Wann, wenn nicht jetzt, müssten globale Organisationen wie die WHO die Weichen stellen für unseren zukünftigen Umgang mit der Umwelt und vor allem mit den Tieren? Es reicht nicht, die Wildtiermärkte etwas hygienischer zu machen oder etwas weniger Fleisch zu essen – genauso wenig wie es reicht, Tierversuche zu „reduzieren, zu verfeinern und zu ersetzen“ („Reduce, Refine, Replace - 3R“). Sie sind ein himmelschreiendes Unrecht und dazu falsche Systeme, die unendliches Tierleid verursachen und die Menschheit massiv gefährden.
Es gab genug Warnungen. Corona ist ein kräftiger Schuss vor den Bug. Wann, wenn nicht jetzt, ist die Zeit, das Ruder endlich rumzureißen?
Petition gegen Lebendtiermärkte
Quellen
(1) Taylor LH et al. Risk factors for human disease emergence. Philos Trans R Soc Lond B Biol Sci 2001; 356(1411):PMC1088493
(2) Altherr S: Regelungen für den Wildtierhandel auch in der EU überfällig. Pro wildlife 05.05.2020 >>
(3) Ritchie H and Roser M: Meat and Dairy Production. OurWorldInData 2020 >>