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Pinzette, Schere, Skalpell, ein Verödungsgerät, eine Lampe und eine kleine Kamera stecken an langen Stangen in der Bauchhöhle des Patienten. Bei der sogenannten minimal invasiven Chirurgie bedient der Operateur von außen durch ein kleines Loch im Bauch die Geräte im Inneren des Körpers. Auf einem Bildschirm verfolgt er mit Hilfe der kleinen Kamera seinen Eingriff. Plötzlich wird alles rot. Ein Blutgefäß ist getroffen. Schnell füllt sich das Sichtfeld mit Blut. Der Chirurg verödet das durchtrennte Blutgefäß mit dem Elektrokauter, ein chirurgisches Instrument, mit dem durch elektrischen Strom Gewebe verbrannt wird, um Blutungen zu stoppen. Es qualmt, der Rauch vernebelt die Sicht.

Beim hier beschriebenen Training eines laparoskopischen Eingriffs sieht der Chirurg Bilder einer echten Operation an einem menschlichen Patienten, während er mit den Instrumenten hantiert. Virtuelle Realität nennt sich diese Simulation, die ähnlich wie Flugsimulatoren in der Pilotenausbildung funktioniert.

Hochmodernste Computertechnik macht es möglich: eine Echtzeit-Simulation mit Videoaufnahmen aus echten OPs und haptischer Wahrnehmung, d.h. der Chirurg fühlt, wenn er mit den Instrumenten auf Gewebe trifft, es schneidet, mit der Pinzette zieht oder schiebt. Das Simulationsprogramm rechnet das Tastgefühl um und präsentiert auf dem Bildschirm entsprechende Bilder aus einer riesigen Videodatenbank.

Wissenschaftler des Rensselaer Polytechnic Institute in Troy, New York, setzen nun noch eins drauf. Sie entwickelten ein Tool für Operations-Komplikationen. Beim Schneiden durch Gewebe berechnet ein Prozessor die Blutgefäßdichte an dieser Stelle des Körpers und die wahrscheinliche Blutungsmenge in Abhängigkeit von der Tiefe und Länge des Schnitts. In einer Animation wird dann die entsprechende Blutmenge in die Videosequenzen eingespielt. Der Verödungsqualm steigt immer dann auf, wenn der Elektrokauter zum Einsatz kommt. Die Simulation wird so noch realitätsnäher.

Rückschrittlich: deutsche Chirurgen üben an Schweinen

Während die modernen Chirurgie-Trainer in den USA weite Verbreitung finden, ist in Deutschland eine Zunahme an Operationskursen am lebenden, narkotisierten Schwein zu beobachten. Diese Kurse werden an diversen Instituten angeboten und oft von Medizinprodukteherstellern, die an der damit verbundenen Werbung ein ökonomisches Interesse haben, intensiv gefördert. Den Statistiken des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zufolge, wurden im Jahr 2009 1.990 und ein Jahr zuvor 2.079 Schweine zu Ausbildungszwecken getötet.

Operationskurse am lebenden Tier sind jedoch weder rechtlich, ethisch, wissenschaftlich noch pädagogisch vertretbar.

  • Laut §10 Tierschutzgesetz dürfen zur Aus-, Fort- und Weiterbildung »Eingriffe oder Behandlungen an Tieren, die mit Schmerzen, Leiden oder Schäden verbunden sind, nur durchgeführt werden, ...soweit ihr Zweck nicht auf andere Weise, ..., erreicht werden kann.« Operationsübungen an lebenden Tieren verstoßen klar gegen diese gesetzlichen Vorgaben, da ihr Zweck problemlos auch auf andere Weise zu erreichen ist.
  • Tierversuche, insbesondere auch in der Weiterbildung, führen zu einer Verrohung der medizinischen Kultur. Fühlende, leidensfähige- und schmerzempfindliche Lebewesen werden dabei zu Messinstrumenten degradiert, die nach Gebrauch weggeworfen werden. Tatsächlich aber müssen Achtung und Ehrfurcht vor dem Leben das höchste Gebot menschlichen und insbesondere auch ärztlichen und wissenschaftlichen Handelns sein.
  • Die »klassische« Art der medizinischen Weiterbildung in Form von Assistenzen in der Klinik und Hospitationen bei Experten sowie das praktische Erlernen unter aktiver und kompetenter Anleitung eines Weiterbilders ist durch nichts zu ersetzen. Unterstützend besteht heute, wie oben beschrieben, die Möglichkeit mit wirklichkeitsnahen computergestützten Echtzeit-Simulationen zu trainieren. Dies ist auf die Dauer sogar deutlich kostengünstiger.
  • Auf Grund anatomischer Unterschiede zwischen Tier und Mensch sind Operationsübungen am Tier für den Humanchirurgen nicht nur ungeeignet, sondern sogar gefährlich, da damit in vielen Fällen eine falsche, vermeintliche Sicherheit bei den Kursteilnehmern vermittelt wird.

Die aktuelle Entwicklung aus Amerika zeigt, wie eine moderne chirurgische Aus- und Weiterbildung aussehen muss.

Wir Ärzte gegen Tierversuche wenden uns seit Jahren an die Anbieter tierexperimenteller laparoskopischer Chirurgiekurse und fordern sie auf, den Sinn solcher Übungen zu hinterfragen und ihre Programme entsprechend zu ändern. Die meisten Trainingszentren verzichten erfreulicherweise bereits auf den Einsatz von lebenden Tieren.

02.02.2011
Dr. med. Wolf-Dieter Hirsch, Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, Facharzt für Chirurgie und Viszeralchirurgie
Dr. med. vet. Corina Gericke

Quellen

Tansel Halic, Ganesh Sankaranarayanan, Suvranu De: GPU-based efficient realistic techniques for bleeding and smoke generation in surgical simulators. The International Journal of Medial Robotics and Computer Assisted Surgery, Dec. 2010, 6(4), 431-433

Paul Marks: Virtual blood and smoke give gore to student surgeons. New Scientist, 26 Jan 2011, issue 2796

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