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Zellmodelle des 21. Jahrhunderts

Seit einigen Jahren ist es möglich, menschliche Mini-Gehirne aus humanen Stammzellen für die biomedizinische Forschung zu züchten. Dieses Modell ermöglicht es, die Entwicklung und Funktion des menschlichen Gehirns zu untersuchen, wobei solche Testsysteme besser geeignet sind als fragwürdige „Tiermodelle“ im Bereich der Neurologie und Psychiatrie. 

Forschern aus den USA, Schottland und Konstanz ist es nun gelungen, Tumore in die winzigen Minigehirne hinein zu züchten und an diesem Modell die Wirkung von Krebsmedikamenten zu untersuchen. In einem frühen Entwicklungsstadium der Mini-Gehirne werden einzelne Krebszellen eines Patienten hinzugegeben, die das gesunde Gewebe infiltrieren. Nach wenigen Wochen haben sich daraus deutlich erkennbare Tumore in den Mini-Gehirnen gebildet und es können Krebsmedikamente daran getestet werden. Mithilfe moderner mikroskopischer Technologien ist es möglich, Veränderungen sowohl an den Tumorzellen als auch am gesunden Gehirngewebe zu beobachten. Es konnte anhand der Mini-Gehirne gezeigt werden, dass 2 verschiedene Krebsmedikamente die Tumore in dem Zellmodell angreifen und deren Wachstum hemmen, während die gesunden Gehirnzellen weitgehend unversehrt bleiben. 

Die Forscher fokussierten sich in der vorliegenden Studie auf die Untersuchung des Glioblastoms, eines bösartigen Gehirntumors, der häufig bei Kindern, aber auch bei Erwachsenen vorkommt. Dieses Testsystem funktioniert prinzipiell mit Mini-Gehirnen beliebiger Spender, sowie mit unterschiedlichen Gehirntumorzellen. Da diese Testplattform Hochdurchsatz-geeignet ist, können auf diese Weise Medikamenten-Screenings mit hunderten oder tausenden Krebsmedikamenten durchgeführt werden. 

Aktuell werden häufig genetisch veränderte Mäuse mit einem geschwächten Immunsystem für die Krebsforschung eingesetzt, denen Tumore künstlich implantiert werden. Diese Versuche sind meist als schwer oder schwerst belastend eingestuft, da die Tiere hierbei großem Leid ausgesetzt sind. Zudem sind die Ergebnisse aus solchen Versuchen schlecht auf den Menschen übertragbar, da wir uns eben nicht wie genmanipulierte Nacktmaus-Klone unter Laborbedingungen verhalten. 

Trotz jahrzehntelanger Testungen an solchen „Tiermodellen“ ist es bis heute weder gelungen, den Krebs zu besiegen noch wenigstens die Grundlagen dieser Erkrankungen vollständig aufzuklären. Innovative humanbasierte In-vitro-Testsysteme wie die Testung von Krebsmedikamenten an menschlichen Mini-Gehirnen sind dagegen ein äußerst erfolgversprechender Weg. Diese sogenannte personalisierte Medizin bzw. personalisierte Krebstherapie gilt als eine der zukunftsweisendsten Technologien unserer Zeit. Das sagt auch Prof. Thomas Hartung von der Johns Hopkins Bloomberg School of Public Health, Baltimore, der diese Forschung maßgeblich vorangetrieben hat: „Solche Studien sind der Beweis, dass moderne humanbasierte Zellmodelle des 21. Jahrhunderts zum Erfolg führen, wo Tierversuche versagen.“ 

Originalartikel:

Plummer S et al. A Human iPSC-derived 3D platform using primary brain cancer cells to study drug development and personalized medicine. Scientific Reports 2019; 9: 1407

Dr. Tamara Zietek

Menschliche Mini-Gehirne, die Gehirntumore entwickeln. Mikroskopische Aufnahmen der angefärbten Zellkulturen, die als Gehirn-Spheroide bezeichnet werden und aus humanen iPSCs (induzierten pluripotenten Stammzellen) in einer Zellkulturplatte gezüchtet wurden. Unten (d-f) sieht man das gesunde Gehirngewebe in blau und die Tumore in violett. Der Durchmesser der Mini-Gehirne beträgt ca. 0,5 mm. Bei der Medikamenten-Testung im Hochdurchsatz befinden sich für die mikroskopische Analyse 96 Mini-Gehirne auf einem einzigen Objektträger, der kleiner als eine Kreditkarte ist.
Bildquelle: Plummer et al - SciRep 2019