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In Augsburg wurden bisher keine Tierversuche gemacht, sondern klinische Forschung auf hohem Niveau betrieben. Die Stadt war so ein positives Vorbild. Nun wird ein neuer Medizin-Campus an der Universität Augsburg gebaut, auf dem auch eine „Versuchstier“haltung geplant ist. Die Inbetriebnahme ist für 2027/2028 geplant. Allein für diese Tierhaltung stellt das Land Bayern ca. 35 Millionen Euro zur Verfügung (1). Dazu werden zahlreiche Forschungseinrichtungen und Arbeitsmittel bereitgestellt und 101 neue Professuren geschaffen, die teilweise mit Tierexperimentatoren besetzt werden könnten. Obwohl noch keine genauen Forschungsprojekte oder Forschungsgruppen bestimmt sind, werden laut des Bayerischen Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst eine „Versuchstier“haltung auf einer Fläche von 1.640 qm und Tierversuchslabore auf 850 qm geplant. Die Anlage ist für 7.800 Käfige für durchschnittlich je drei Mäuse ausgelegt, was einer Haltungskapazität von etwa 23.400 Mäusen entspricht. Auch die Haltung von und Versuche an allen anderen Tierarten außer Primaten sind möglich (1). Häufig wird von verschiedenen Institutionen, Behörden und tierexperimentellen Forschern behauptet, dass Maßnahmen getroffen werden, um die Anzahl der „Versuchs“tiere zu reduzieren und wo möglich, Tierversuche zu ersetzen. Doch zeigt die geplante Tierhaltung in Augsburg, dass Einrichtungen für Tierversuche sogar ohne ein genaues Forschungsvorhaben geschaffen werden. Das bestätigt unser Argument, dass der Tierversuch immer noch als Goldstandard gilt, ohne kritisch hinterfragt zu werden.

Die geplanten Forschungsbereiche

Laut des Bayerischen Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst sind tierexperimentelle Forschungen im Kontext der großen Volkserkrankungen Krebs, Demenz, Diabetes, Herzinfarkt und Schlaganfall geplant. Viele von diesen Krankheiten werden bereits tierversuchsfrei am Universitätsklinikum Augsburg laut eigener Angaben aktiv erforscht (1). Dabei konzentriert man sich momentan auf die Krankheitsentstehung und Symptome der Patienten und auf die gezielte Testung neuer Medikamente innerhalb von klinischen Studien mit Menschen, was sehr positiv zu betrachten ist. Einen genaueren Einblick in die bisherigen Ergebnisse der tierexperimentellen Forschung in den oben genannten Forschungsbereichen zeigt, dass Tierversuche für diese Zwecke sich nicht nur durch eine hohe Erfolglosigkeit auszeichnen, sondern zudem häufig den Fortschritt in diesen Bereichen verhindern.

Demenz

Es ist erstaunlich, dass nach jahrzehntelangen Misserfolgen in der Demenzforschung an Tieren weitere Tierversuche für diesen Zweck in Augsburg geplant sind. Alzheimer ist die häufigste Demenzerkrankung, an der 200.000 Menschen in Deutschland jährlich erkranken. Trotz intensivster Tierversuche in den letzten Jahrzehnten ist die Heilung dieser Krankheit immer noch nicht möglich. Bei etlichen „Mausmodellen“ konnten mehr als 400 Medikamente Alzheimer erfolgreich therapieren, doch bei Menschen haben nur 0,4 % davon zu einer Linderung einiger klinischer Symptome geführt (2). Über 99% dieser bei Tieren „erfolgreichen“ Medikamente funktionieren beim Menschen nicht oder führen zu hochgradigen Nebenwirkungen, manche beschleunigen sogar den Krankheitsverlauf und sind somit für eine gravierende Patientenschädigung verantwortlich (3).

Die meisten Tierversuche in der Alzheimerforschung werden an genetisch veränderten Mäusen durchgeführt, die einige Alzheimermerkmale wie Ablagerungen im Gehirn oder Gedächtnisverlust entwickeln und es wird mittels verschiedener Mittel versucht, diese Symptome zu reduzieren. Da diese künstlichen Eingriffe nichts mit den komplexen Entstehungs- und Verlaufsprozessen dieser Krankheit zu tun haben und es unmöglich ist, die Gedächtnisfähigkeit und Persönlichkeitsveränderungen objektiv bei Mäusen zu bestimmen, ist der Systemfehler bei der Entwicklung von Alzheimermedikamenten nicht verwunderlich. Noch schlimmer ist es, dass „dank“ irreführender Tierversuche die Ursachen dieser Krankheit immer noch unklar sind und die so gewonnenen Erkenntnisse, z.B. die Theorie, dass die Ablagerungen im Gehirn die Demenz bei Alzheimer verursachen, höchst fraglich sind (4).

Während Tierversuche in der Alzheimerforschung nach wie vor versagen, entstehen immer mehr innovative, menschenrelevante, tierversuchsfreie Verfahren, um Alzheimer und andere Demenzerkrankungen zu erforschen. Eine besonders vielversprechende Methode basiert auf Mini-Gehirnen, die aus menschlichen Stammzellen gezüchtet werden. So gelang es 2019 einer Forschungsgruppe an der Ruhr-Universität Bochum, die mit Proben von gesunden Menschen und Alzheimer-Patienten arbeitet, unerwartete Erkenntnisse über die Mechanismen der Krankheitsentstehung ans Licht zu bringen (5).

Krebs

Krebs beschreibt ein breites Spektrum schwerer Krankheiten, deren Vorkommen in unserer Gesellschaft im letzten Jahrhundert stark gestiegen ist. Da die meisten Krebsarten noch nicht effektiv und ohne schwere Nebenwirkungen therapiert werden können, werden jährlich zahlreiche Krebsforschungsprojekte durchgeführt - die meisten davon basieren auf Tierversuchen. Dabei haben die verwendeten „Tiermodelle“ rein gar nichts mit den eigentlichen Krebspatienten zu tun. Denn in den meisten Fällen handelt es sich um junge, gesunde, genetisch einheitliche Tiere, denen Krebszellen gespritzt werden, oder bei denen eine Krebsentwicklung durch chemische oder physikalische Noxen verursacht wird. Häufig wird auch ein künstlicher Gendefekt bei Mäusen erzeugt, um sie anfälliger für bestimmten Krebsarten zu machen (6). Dann versucht man die künstlich hervorgerufenen Krebssymptome mittels verschiedener Maßnahmen zu beheben - wenn das gelingt, gilt die Maßnahme als geeignete Therapie. Wegen der großen biologischen Unterschiede zwischen Mensch und Tier und des künstlichen Aufbaus solcher Versuche, funktionieren aber so entwickelte Krebsmedikamente und Therapien bei Menschen kaum. Das ist sicherlich ein Hauptgrund, warum die Entwicklung neuer Krebsmedikamente sich weltweit mit einer der niedrigsten Erfolgsquoten - nämlich 3,4% - aller Arzneimittel auszeichnet (7). Die wenigen Erfolge, die in den letzten Jahren erzielt wurden, bestehen aus Therapien für eine sehr begrenzte Anzahl an Krebsarten, die mit zahlreichen, oft schweren Nebenwirkungen verbunden sind (8). Die sinnlose Verwendung von Tieren in der Krebsforschung wird häufig selbst aus den eigenen Reihen der Forscher kritisiert. „Seit Jahrzehnten heilen wir Krebs bei Mäusen, aber beim Menschen klappt es einfach nicht.“, so Dr. Richard Klausner, ehemaliger Direktor des National Cancer Institute (NCI) in den USA (9).

Im Gegensatz zu Tierversuchen erzielt die moderne Krebsforschung, die auf menschlichen Organoiden (Mini-Organen) basiert, bereits Erfolge. So ist es der Firma SpheroTec gelungen, 3D-Tumormodelle aus patienteneigenen Proben zu erstellen, sogenannte Tumor-Spheroide. Anhand dieser Modelle können die Forscher das Ansprechen von Brustkrebspatientinnen auf die jeweiligen Behandlungen richtig vorhersagen (10). Das System bietet ein großes Potenzial für die Zukunft der personalisierten Krebstherapien und für eine menschenbasierte Medikamentenentwicklung. 

Diabetes

Die Erforschung und die Behandlung von Diabetes mellitus („Zuckerkrankheit“) werden häufig fälschlicherweise als angeblich auf Tierversuchen basierende „Erfolge“ zelebriert. Eine genauere chronologische Betrachtung der Diabetesforschung zeigt aber, dass es sich hier um eine komplexe, jahrtausendlang erforschte Krankheit handelt, bei der die wichtigsten Erkenntnisse und Durchbrüche auf klinischen Beobachtungen und der Erforschung menschlicher Gewebe möglich geworden sind (11). So wurde z.B. ein direkter Link zwischen Veränderungen der Bauchspeicheldrüse (Pankreas) und Diabetes bei menschlichen Patienten schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gezeigt. Gleichzeitige Tierversuche führten zum falschen Rückschluss, dass der Sitz des Diabetes nicht das Pankreas, sondern das die Blutgefäße versorgende Nervensystem sei und die Anhänger dieser Theorie hielten noch bis zur Jahrhundertwende daran fest. Heutzutage sind ca. 90 % aller Diabetiker am sog. Typ 2 Diabetes erkrankt, deren Entstehung und Verlauf durch komplexe Zusammenhänge mehrerer Organe und die Auswirkungen der Umgebung, der Ernährung und des Lebensstils stark beeinflusst werden.

Im Tierversuch wird üblicherweise Ratten das Krebsmedikament Streptozotocin in die Bauchhöhle injiziert. Dieses zerstört die Insulin-produzierenden Zellen in der Bauchspeicheldrüse. Neben dieser künstlichen Schädigung unterscheiden sich Tiere auch in ihrer Lebensweise stark von der des Menschen, so dass kein „Tiermodell“ das vielfältige Krankheitsprofil bei Menschen nachahmen kann (12).

Viel geeigneter und erfolgreicher als Tierversuche sind Untersuchungen an 2D- und 3D-Modellen aus menschlichen Zellen, wie etwa die Forschung mit menschlichen Organoiden (Mini-Organen). Mittels verschiedener Organ-auf-dem-Chip-Systeme kann man z.B. Mini-Pankreas, Mini-Leber und Mini-Muskeln von gesunden Menschen oder Diabetikern über einen Blutkreislauf miteinander verbinden, analysieren und für die Medikamentenentwicklung anwenden. Computer-basierte In-silico-Modelle ermöglichen die Abbildung jeder Ebene der Erkrankung und die Untersuchung verschiedener Entstehungen, Verlaufsformen und Risikofaktoren des Diabetes. (12).

Herzinfarkt

Trotz langer und ausgiebiger Tierversuche in der Kardiologie, sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen die häufigste Todesursache in Europa (13). Mehrere Faktoren, wie z.B. Rauchen, Alkohol-Konsum, Stress, Bewegungsmangel und Übergewicht tragen zu der häufig jahrelangen Entwicklung und diversen Ausprägungen der Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei. Die meisten, wenn nicht alle dieser Faktoren werden in der tierexperimentellen Forschung nicht berücksichtigt, sondern es werden nur bestimmte Symptome dieser Krankheiten gesunden Tieren künstlich zugefügt. Ein typischer Eingriff an Mäusen und Ratten ist es, z.B. mit einem Faden eine Herzkranzarterie abzubinden, um einen Herzinfarkt zu erzeugen. Danach versucht man, die so verursachten Schäden im Herzgewebe wieder zu beheben. Wenn das gelingt, wird die Therapie als erfolgreich angesehen. Da sich aber ein gesundes tierisches Herz deutlich von dem eines Patienten unterschiedet, versagen die meisten Therapien und Medikamente beim Menschen.

Dank umfangreicher Bevölkerungsstudien und Untersuchungen menschlicher Patienten, sind uns viele der wichtigsten Risikofaktoren für Herzinfarkt wie Zigarettenrauch, Stress und Übergewicht bekannt. Zusätzlich bieten moderne Forschungssysteme wie schlagende menschliche 3D-Mini-Herzen oder Computermodelle, die im Gegensatz zum Tierversuch genaue Resultate liefern, vielfältige Möglichkeiten für die Herzinfarktforschung und die Testung neuer Medikamente (14).

Schlaganfall

Ein Schlaganfall ist ein lebensbedrohlicher Zustand, der „schlagartig“ durch eine Durchblutungsstörung im Gehirn verursacht wird. Da es bisher nur eine wirksame Therapie gibt, die allerdings nur bei ca. 5% der Patienten anwendbar ist, werden seit den 70er Jahren unzählige Tierversuche vor allem an Ratten, aber auch an Mäusen, Katzen, Hunden, Schweinen, Affen und anderen Tierarten gemacht (15). Ähnlich wie bei der Herzinfarktforschung werden einige Symptome des Schlaganfalls künstlich durch den Verschluss bestimmter Blutgefäße im Gehirn bei Tieren hervorgerufen. Typische Tierversuche sind z.B. die Öffnung des Schädels und die Zugabe von Blutgerinnseln oder kleinen Kügelchen oder die Einführung eines Fadens über die Halsarterie in eine Gehirnarterie, die durch den Faden verstopft wird. Diese Eingriffe sind besonders qualvoll und häufig tödlich für die Tiere, die manchmal bei vollem Bewusstsein einem Schlaganfall erleiden. Diese künstlich erzeugten Symptome unterscheiden sich aber wesentlich von der echten Krankheit des Menschen, deren Ursachen komplex und vielschichtig sind. Weiterhin sind die „Versuchs“tiere in der Regel jung, haben keine Vorerkrankungen und sind genetisch fast identisch, während die Patienten meist zwischen 60 und 70 Jahre alt, hinsichtlich Geschlecht, Genetik und Lebensweise sehr variabel sind und oft unterschiedliche Vorerkrankungen (Gefäßverkalkung, Bluthochdruck, Diabetes, Übergewicht, erhöhte Blutfettwerte etc.) aufweisen. Es verwundert also nicht, dass es seit mehr als 20 Jahren keine nennenswerten Fortschritte bei der Behandlung von Schlaganfall-Patienten gibt, obwohl seit über 150 Jahren der Schlaganfall in sogenannten „Tiermodellen“ erforscht wird. 

Die Erfolglosigkeit der tierexperimentellen Schlaganfallforschung hat einige Forscher davon überzeugt, neue Forschungsmodelle, die auf menschlichen Zellen und Geweben basieren, zu etablieren. So wurde z.B. in Dresden ein Multi-Organ-Chip-System (MOC) entwickelt, auf dem man mehrere Mini-Organe über einen Blutkreislauf miteinander verbinden und den Blutdruck der verschiedenen Organe regulieren kann. So kann man die Blutzufuhr zu den auf dem MOC platzierten menschlichen Mini-Gehirn reduzieren und einen Schlaganfall nachahmen.

Fazit

Obwohl Tierversuche für die Erforschung praktisch aller Arten von Krankheiten sehr intensiv durchgeführt werden, bringen sie keinen praktischen Nutzen für kranke Menschen. Sowohl die großen biologischen Unterschiede zwischen Tier und Mensch, als auch die künstlichen Bedingungen, unter denen verschiedene Krankheitssymptome bei Tieren erzeugt werden, sind die Gründe, warum die Ergebnisse aus Tierversuchen sich nicht auf den Menschen übertragen lassen. Anstatt 35 Millionen Euro und zahlreiche Arbeitskräfte für eine scheiternde, überholte Methode wie dem Tierversuch zu verschwenden, fordern wir, dass diese Mittel in die moderne, tierversuchsfreie, menschenbasierte Forschung investiert werden.

11.03.2020
Dr. rer. nat Dilyana Filipova

Quellen

(1) Antwort des Bayerischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst vom 27.12.2019 auf die Kleine Anfrage des Abgeordneten Christian Hierneis (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (PDF)
(2) Cummings JL et al. Alzheimer’s disease drug-development pipeline: few candidates, frequent failures. Alzheimer’s Research & Therapy. 2014; 6(4):37
(3) Egan MF et al. Randomized trial of verubecestat for prodromal Alzheimer’s Disease. New England Journal of Medicine. 2019; 380(15):1408–20
(4) Schlag für Demenzforschung: Anti-Alzheimer-Wirkstoff beschleunigt kognitiven Abbau. Ärzte-Zeitung, 25.4.2019, abgerufen am 25.02.2020 
(5) Alzheimer im Mini-Gehirn. Ruhr-Uni-Bochum, 30.4.2019, abgerufen am 25.02.2020 
(6) Cheon DJ et al. Mouse models of cancer. Annual Review of Pathology. 2011; 6:95-119
(7) Wong CH & Siah KW: Estimation of clinical trial success rates and related parameters. Biostatistics. 2019; 20(2):273–286
(8) Ärzte gegen Tierversuche: Medizinnobelpreis für Krebsheilung bei Mäusen verliehen, abgerufen am 25.02.2020
(9) Cimons M, et al. Cancer drugs face long road from mice to men. Los Angeles Times, 06.05.1998
(10) Halfer K et al. Prospective cohort study using the breast cancer spheroid model as a predictor for response to neoadjuvant therapy – the SpheroNEO study. BMC Cancer 2015: 15(519), doi: 10.1186/s12885-015-1491-7
(11) Brause C: Der Tierversuch in der Diabetes-Forschung - genauer betrachtet, Mai 2004, abgerufen am 25.02.2020
(12) Zeeshan A et al. Animal research for type 2 diabetes mellitus, its limited translation for clinical benefit, and the way forward. ATLA 2018; 46:13-22
(13) OECD 2018: Main causes of mortality, in Health at a Glance: Europe 2018: State of Health in the EU Cycle, doi: 10.1787/health_glance_eur-2018-9-en
(14) Passini E et al. Human in silico drug trials demonstrate higher accuracy than animal models in predicting clinical pro-arrhythmic cardiotoxicity. Frontiers of Physiology 2017; 8, doi: 10.3389/fphys.2017.00668
(15) Gräwert S: Warum Schlaganfallstudien mit Tieren nicht funktionieren, 15.05.2018, abgerufen am 25.02.2020