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Hintergrund

Freiburg zählt innerhalb Baden-Württemberg mit seinen zahlreichen privaten und öffentlichen tierexperimentellen Forschungseinrichtungen bereits jetzt zu den Tierversuchshochburgen im Land. Gleichsam belegt Baden-Württemberg mit einem jährlichen „Verbrauch“ von 469.605 Tieren und damit fast 17 % der Gesamtzahl von 2,8 Millionen im Bundesländervergleich Platz Eins der Negativrangliste zu Tierversuchen (1). Aktuell wurden Pläne bekannt, nach denen das Land in Freiburg an der Uniklinik in der Breisacher Straße ein weiteres Tierversuchslabor mit Haltungskapazität für 10.000 Mäuse in 3.000 Käfigen bauen will. Im geplanten IMITATE (Institute for Disease Modeling and Targeted Medicine; Institut für Krankheitsmodelle und gezielte Therapie) sollen Tiere zur vorgeblichen Krankheitsforschung genmanipuliert werden. Genauere Informationen liegen unserem Verein noch nicht vor. Unsere Ärztevereinigung hat eine Anfrage und Recherchen in die Wege geleitet.

Dimension und Forschungszweck des geplanten Tierversuchslabors

In der Breisacher Straße 113 in 79106 Freiburg soll mit dem sogenannten IMITATE (Institute for Disease Modeling and Targeted Medicine) ein weiteres Tierversuchslabor entstehen. Vorgesehen ist laut Projektausschreibung (2) der Neubau in der Institutsspange an der Breisacher Straße. Wie es darin weiter heißt, sollen grundlegend neue Voraussetzungen geschaffen werden, um genetische Erkrankungen in „Tiermodellen“ zu simulieren und therapeutische Ansätze zu entwickeln.

Hervorgehoben wird in der Projektausschreibung weiter, dass es sich hierbei um einen in Deutschland einmaligem Ansatz handeln würde, der auf „Freiburger Alleinstellungsmerkmalen der gezielten Etablierung von genetisch manipulierbaren Tiermodellen sowie der Anwendung spezieller Imaging-, Biopolymer- und Nano-Technologien“ beruhen würde. Schwerpunkt in dem neuen Forschungsgebäude soll die tierexperimentelle Forschung bilden. So soll das Gebäude büroartige Trockenforschungsbereiche, molekulargenetische Standard-Labormodule, Speziallabore, einen Mikroskopierbereich sowie eine Tierforschungseinheit und eine Tierforschungseinrichtung mit keimfreier Haltung der Tiere (SPF) und mit räumlich angebundenem Tomographiebereich beinhalten. Wann mit dem Bau begonnen werden soll, ist noch unklar, die Fertigstellung ist unterschiedlichen Quellen zufolge für Dezember 2020 (3) bzw. März 2021 (2) vorgesehen.

Angaben des Freiburger Wochenberichts zufolge sollen Haltungskapazitäten für etwa 10.000 Mäuse in 3.000 Käfigen geschaffen werden. (4) Die Zahl der Tiere, die in dem Labor tatsächlich leiden ist jedoch als erheblich höher anzunehmen, da die Käfige in der Regel mehrmals pro Jahr mit Tieren „neu bestückt“ werden. Das neue Forschungsgebäude soll auf einer Bruttogrundfläche von 6.450 qm (3) mit einer Nutzfläche von 3.200 qm (2) entstehen.

Kosten und Auftraggeber

Auftraggeber des neuen Tierversuchslabors ist das Land Baden-Württemberg, vertreten durch den Landesbetrieb Vermögen und Bau Baden-Württemberg, Universitätsbauamt Freiburg. Das heißt, dass die geplante tierexperimentelle Einrichtung voraussichtlich vom Steuerzahler finanziert werden wird. Veranschlagt sind unterschiedlichen Quellen zufolge 40,3 (2) bzw. 57 Millionen Euro (8) allein für den Bau.

Beispiele für Tierversuche in Freiburg

Details zu nachfolgenden Beispielen können unter www.datenbank-tierversuche.de unter Eingabe der Dokumenten-ID nachgelesen werden, auch sind darin weitere Tierversuche in Freiburg aufgeführt.

Klinik für Augenheilkunde, Universitätsklinikum Freiburg, Killianstraße 5, 79106 Freiburg:
An genmanipulierten Mäusen, die am Institut für Molekulare Medizin Freiburg „hergestellt“ werden, wird untersucht, inwieweit sich das Fehlen bestimmter Enzyme auf die Tumorenstehung und Blutgefäßbildung im Auge auswirkt. Den Mäusen werden unter Narkose mit einem Argonlaser solange Verbrennungen an beiden Augen zugefügt, bis sich Blasen bilden, um die Gefäßneubildung anzuregen. Zwei Wochen später werden unter erneuter Narkose die Augen entnommen. (A. Bühlera et al.: Cathepsin proteases promote angiogenic sprouting and laser-induced choroidal neovascularisation in mice. Experimental Eye Research 2013: 115; 73–78, Dok.-ID 4590)

Physiologisches Institut I, Systemische und Zelluläre Neurophysiologie, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Hermann-Herder-Str. 7, 79104 Freiburg:
Es wird eine spezielle genetisch veränderte Mäuselinie verwendet, die Symptome der menschlichen Schizophrenie und Depression zeigen sollen. In der Regel werden hierfür Mäuse über mindestens 9 Generationen ingezüchtet. Es werden verschiedene Verhaltenstests mit den genmanipulierten und zum Vergleich mit »normalen« Mäusen durchgeführt:

a) Eine Maus wird für 6 Minuten am Schwanz in einer Höhe von 25 cm mit Klebeband an eine Stange festgeklebt. Wenn sie sich hängen lässt, gilt das als depressives Verhalten.

b) Die Maus kommt für 6 Minuten in ein Wasserbassin. Wenn sie aufhört zu schwimmen, wird dies als Depression angesehen.

c) Die Maus wird für 10 Minuten auf eine 30x30 cm große Platte gesetzt, um ihr Verhalten zu filmen.

d) Die Maus wird alleine in einen Käfig mit zwei Trinkflaschen gesetzt, bei denen sie zwischen Wasser und einer Zuckerlösung wählen kann. Hat die Maus wenig Interesse an der Zuckerlösung, gilt dies als Anhedonie, die Unfähigkeit, Freude zu empfinden.

e) Räumliches Gedächtnis: Die Maus wird für 1,5 Minuten in ein Bassin mit milchigem Wasser gesetzt. Es wird die Zeit gemessen, bis sie eine Plattform unter der Wasseroberfläche gefunden hat. Der Test wird mehrfach wiederholt, um zu testen, ob sie sich an die Lage der Plattform erinnern kann.

f) Die Maus erhält 5 Tage lang wenig Futter. Sie wird in einen Y-förmigen Irrgarten gesetzt, wo sie Futter nur in einem Arm findet. Der Test wird mehrfach wiederholt, um das Gedächtnis der Maus zu testen.

Für die Messungen im Gehirn wird unter Anästhesie eine Elektrode in das Gehirn eingelassen. Anschließend werden die Mäuse getötet. Bei anderen Mäusen wird die Elektrode dauerhaft in das Gehirn einoperiert und mit Zahnzement am Schädel befestigt. Die Messungen werden am wachen Tier durchgeführt. Schließlich werden alle Mäuse unter Betäubung enthauptet. (Jonas-Frederic Sauer et al.: Impaired fast-spiking interneuron function in a genetic mouse model of depression. Elife 2015: doi. 10.7554/eLife.04979, Dokumenten-ID 4591)

Problematik der Gentechnik

Die im geplanten neuen Tierversuchslabor schwerpunktmäßig vorgesehene „Etablierung von genetisch manipulierbaren Tiermodellen“ ist sowohl aus ethischer als auch aus medizinisch-wissenschaftlicher Sicht zu kritisieren. Die Genmanipulationen an Tieren sind für einen besonders hohen „Ausschuss“ verantwortlich. Um ein einziges mehrfach transgenes Tier zu erhalten, müssen bis zu 54 Tiere sterben, da sie nicht den gewünschten Genotyp aufweisen (5) und entsorgt werden. Der Anteil der „Ausschusstiere“ liegt damit bei bis zu 98 %. Diese Relation deckt sich mit den Befunden aus Großbritannien, wo bereits im Jahr 1999 auf die hohe „Ausschuss“quote von 90% bis 99% hingewiesen wurde. (6) Hinzu kommt, dass die Tiere häufig krank und missgebildet zur Welt kommen.

Tiere werden damit zu reinen Forschungsobjekten degradiert, die beliebig manipuliert und bei Nicht-Gebrauch entsorgt werden. Zwar schreibt das Tierschutzgesetz für die Tötung eines Tieres einen „vernünftigen Grund“ vor, das Land Baden-Württemberg hat jedoch bereits 2013 unter der damals grün-roten Regierung auf Anfrage unserer Ärztevereinigung vorgegeben, gar nicht zu wissen, wie viele Tiere in den Tierversuchseinrichtungen des Landes sind und sich im Weiteren auf den Datenschutz berufen. (7)

Durch Manipulation des Erbguts werden vorgeblich genetische Erkrankungen des Menschen simuliert. Außer Acht gelassen wird dabei jedoch, dass ein im Tier künstlich hergestellter Gendefekt die Ursachen und Entstehung menschlicher Erkrankungen nicht simulieren kann. Im besten Fall lassen sich ähnliche Krankheitssymptome erzeugen, die jedoch mit den komplexen Erkrankungen des Menschen nichts gemein haben und entsprechend lassen sich mit Hilfe von „genmanipulierten Tiermodellen“ keine Therapien für kranke Menschen finden. So wird seit Jahrzehnten versucht Krebs bei genmanipulierten Mäusen zu „heilen“. Bereits in den 1990er Jahren wurde die sogenannte Krebsmaus als Durchbruch im Kampf gegen die Krankheit medial gepriesen, da künstlich hervorgerufene Tumore bei Mäusen ebenso künstlich wieder beseitigt werden können. In der klinischen Realität, also beim Menschen, sind solche Methoden jedoch weder praxistauglich noch erfolgversprechend.

Innovative tierversuchsfreie Forschung

Die tierversuchsfreie Forschung bietet eine große Bandbreite an Forschungsmöglichkeiten, die gegenüber dem Tierversuch den Vorteil haben, für den Menschen relevante Ergebnisse zu liefern. Beispielsweise lassen sich mit einer Kombination verschiedener moderner Techniken ohne Tierversuche komplexe Untersuchungen anstellen, die einen direkten Aussagewert für den Menschen haben. In Computersimulationen, die auf menschlichen Daten basieren, kann die Verstoffwechslung einer Substanz im menschlichen Körper detailliert dargestellt und mit Hilfe bildgebender Verfahren können menschliche Organe untersucht werden. Auf Organchips werden wie in einem künstlichen Minimenschen Auswirkungen auf bestimmte Organe oder schädliche Effekte erforscht. In einem System aus winzigen Gängen und Kanälen werden menschliche Zellen zum Beispiel von Magen, Haut oder Leber angesiedelt und der zu testende Wirkstoff zirkuliert durch den so geschaffenen Organismus. Genetische Fragestellungen und Erkrankungen lassen sich durch gezielte epidemiologische Untersuchungen (Bevölkerungsstudien) erforschen sowie patientenspezifisch beispielsweise durch generationsübergreifende Befragungen und Analysen.

Fazit

Mit dem geplanten Tierversuchslabor am Freiburger Uniklinikum wird der Kurs altertümlicher, wissenschaftlich fragwürdiger und unethischer Forschung ungebremst weitergefahren anstatt innovative und klinisch relevante Forschungswege einzuschlagen. Um klinisch aussagekräftige Daten zu generieren und damit Therapiemöglichkeiten für kranke Menschen zu entwickeln, ist eine Fokussierung auf die tierversuchsfreie Forschung dringend erforderlich. Solange die tierexperimentelle Forschung zur vorgeblichen Erforschung menschlicher Krankheiten ausgebaut wird, werden nicht nur Tiere Opfer einer ethisch und monetär fehlgeleiteten Wissenschaft, sondern auch kranke Menschen Hoffnungen ausgesetzt, die mit Tierversuchen nicht erfüllt werden können.

02.06.2016
Dipl.- Biol. Silke Strittmatter

Quellen

(1) Bundesländervergleich - Negativ-Rangliste zu Tierversuchen

(2) Projektausschreibung vom 15. November 2015, IMITATE, Neubau Institute for Disease Modeling and Targeted Medicine, Architektenleistungen nach Teil 3 Abschnitt 1 HOAI

(3) Heinle, Wischer und Partner, freie Architekten, Projektinformation, Abruf am 1.6.2016

(4) Die Forschung mit der Maus, Freiburger Wochenbericht vom 25. Mai 2016

(5) Kleine Anfrage der Abg. Ursula Hammann betreffend Zucht- und Vorratshaltung von Tieren in Tierversuchslaboren in Hessen – Teil 1 (Drucksache 18/7733 vom 15.1.2014)

(6) Mouse massacre' in labs, BBC News vom 5.5.1999

(7) Antwort des Ministeriums für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg vom 22.11.2013 auf eine Anfrage von Ärzte gegen Tierversuche bzgl. Tötung von „Überschusstieren“

(8) Uni plant neues Vorzeigeinstitut – Kritik wegen Tierversuchen, Badische Zeitung vom 3. Juni 2016