26. Juli 2016

Ein Beitrag im Fachjournal Physiology vom November 2014 geht der Frage nach, ob es für die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf den Menschen eine Rolle spielt, dass Mäuse im Labor standardmäßig „gekühlt“, d.h. unterhalb ihrer „Wohlfühltemperatur“ gehalten werden. Zu kalt gehaltene Mäuse zeigen kältebedingte Stresssymptome, haben einen zu hohen Blutdruck und verstärkten Stoffwechsel, altern nicht so schnell und sind weniger anfällig für Fieber, dafür aber für Tumore.

Hinsichtlich der Körpertemperatur und der Temperaturregulierung im Austausch mit der Umgebung gibt es große artspezifische Unterschiede. Größere Arten haben eine geringere Stoffwechselrate (Energieumsatz pro Zeiteinheit) pro Gramm als kleinere. D.h. um zu überleben, müssen Mäuse viel mehr Energie pro Gramm verarbeiten als Menschen und geben deshalb pro Gramm mehr metabolische Wärme ab. Hätte zum Beispiel ein 500 kg schweres Rind die Stoffwechselrate einer Maus, würde seine Oberflächentemperatur mehr als 100°C betragen, um die Ruhe-Wärmeproduktion ableiten zu können.

Die normale Körpertemperatur von Säugetieren variiert zwischen den Spezies aber nur um wenige Grad, z.B. zwischen Maus und Elefant, und alle erhalten ihre Körpertemperatur in Umgebungstemperaturen aufrecht, die weit unter dieser liegen.

Unter einer bestimmten Temperatur (kritische Temperatur; lower critical temperature (LCT)), kann ein Säugetier die normale Körpertemperatur jedoch nicht mehr aufrechterhalten, ohne über den einen erhöhten Stoffwechsel mehr Wärme zu produzieren. Da Mäuse mehr Wärme pro Gramm abgeben als Elefanten, verlieren sie in einer kühleren Umgebung schneller Wärme als Elefanten, d.h. die kritische Temperatur ist bei kleinen Tieren höher als bei großen.

Zum Beispiel liegt die kritische Temperatur eines leicht bekleideten Menschen bei 21°C, die von Mäusen bzw. Ratten aber bei 30 bzw. 28°C. Verhalten, Alter, Geschlecht, Züchtung und Tageszeit beeinflussen thermische Präferenzen, so dass eine Verallgemeinerung der Haltungstemperatur schwierig ist. Der US National Research Council empfiehlt die Haltung von Mäusen bei 20-26°C, also unterhalb ihrer kritischen Temperatur. In 3 von 50 von den Autoren gesichteten tierexperimentellen Veröffentlichungen fanden sich Hinweise auf eine Haltung der Tiere in diesem Temperaturbereich, bei 47 Studien wurde die Temperatur gar nicht erst erwähnt.

Nach Aussage der Autoren gibt es tausende von Studien an Knockout-Mäusen, bei denen die Tiere unterhalb der kritischen Temperatur gehalten werden. Das heißt, Mäuse in Tierversuchslaboren stehen meist unter dauerndem Kältestress. Dies erkennt man u.a. an Mäusejungen, die bei Temperaturen unter 27°C ständig Stressrufe ausstoßen, jedoch nicht bei Temperaturen über 33°C. Der Kältestress zeigt sich auch in der metabolischen Aktivität: der Stoffwechsel ist bei 22°C ca. 50% höher als bei 30°C, d.h. wenn eine Maus bei 22°C aufwächst, ist ihre Futteraufnahme 50% höher, ihre Körpermasse sowie ihre Leber, Nieren und ihr sind Herz größer als bei Mäusen, die bei höheren Temperaturen gehalten werden. Eine solche Maus hat nicht denselben metabolischen und thermischen Phänotyp wie Mäuse die bei Neutraltemperatur (thermoneutrale Zone; Temperaturbereich, in dem ein gesundes Tier seine Körpertemperatur aufrechterhalten kann ohne mehr Energie zu verbrauchen) aufgezogen werden.

Tagsüber sollten die Herzfrequenz einer Maus bei 30°C bei 375/min und der Blutdruck bei 80 mmHg liegen; aber für jedes Grad darunter steigt die Herzfrequenz um 25/min und der Blutdruck um 2 mmHg. Hinzu kommt, dass Mäuse, die bei 20°C gehalten werden viel länger wach sind als bei 30°C.

Der erhöhte Blutdruck bei den niedrigeren Temperaturen ist allerdings physiologisch und nicht pathologisch, d.h. jede Intervention, die den Blutdruck verringert, beeinflusst die normale physiologische Regulation und heilt keine Erkrankung. D.h. ein Arzneimittel oder ein Gen, das den Einfluss des sympathischen Nervensystems auf das Herz vermindert, würde innerhalb der Neutraltemperatur kaum Einfluss auf die Herzfrequenz haben. Ein Arzneimittel oder Gen, das die Herzfrequenz oder den Blutdruck bei 22°C senkt, hat demnach keinen Effekt auf eine Maus bei 30°C.

Neben dem Anstieg der Stoffwechselrate unter chronischem Kältestress, verändern sich auch die Stoffwechselprodukte der Tiere. Wird eine Maus plötzlich für zwei Stunden von der Neutraltemperatur in eine Umgebung mit 21°C verbracht, verstoffwechselt sie mehr Kohlenhydrate.

Die Langzeithaltung von Mäusen bei 22°C führt zudem zu einer höheren Fettaufnahme in Herz, Lungen und das braune Fettgewebe, so dass die Triglyceride und Cholesterol im Plasma geringer sind als bei 30°C. Zudem wird die Wahrscheinlichkeit der Entwicklung von Lymphknotentumoren vermindert und die Entstehung und Entwicklung anderer Tumore sowie die Immunreaktion beeinflusst.

Die Haltung unterhalb der Neutraltemperatur führt zu einer geringeren Konzentration von weißen Blutkörperchen, zur Unterdrückung der Freisetzung entzündungsfördernder Cytokine und Anstieg der Freisetzung entzündungshemmender Cytokine. Dadurch entstehen wahrscheinlich die großen Unterschiede der Akut-Phase-Reaktion bei unterschiedlichen Temperaturen. Beispielsweise führt die Injektion von Lipopolysacchariden (entzündungsauslösende Bakterienbestandteile (LPS)) bei Mäusen bei Neutraltemperatur zu starkem Fieber mit einem Temperaturanstieg von 2°C. Dieselbe Dosis LPS führt jedoch bei Temperaturen unterhalb der Neutraltemperatur zu einem Schock und die Körpertemperatur fällt unter 34°C. D.h. entsprechende Forschungen in dem Bereich führen zu falschen Ergebnissen.

Daher stellt sich die Frage: Haben Studien mit Mäusen unterhalb der kritischen Temperatur überhaupt Relevanz für den Menschen? Es ist eher unwahrscheinlich, dass der Aktivitäts-Stoffwechsel „freilebender“ Menschen physiologisch oder genetisch Ähnlichkeit mit dem durch Kälte beeinflussten Stoffwechsel von Mäusen mit Bluthochdruck und Schlafstörungen hat. Dennoch stammt nahezu alles, was wir über das Herz-Kreislauf-System von Ratten und Mäusen wissen, von Tieren mit chronisch zu hohem Blutdruck und erhöhtem Stoffwechsel unter Schlafentzug, was die ohnehin nicht gegebene Übertragbarkeit auf den Menschen zusätzlich fragwürdig macht.

Nach Aussage der Autoren werfen die Unterschiede zwischen verschiedenen Tierarten auch generell Probleme auf, wenn es darum geht, Erkenntnisse über die menschliche Physiologie und Gesundheit zu erlangen. So würden sich beispielsweise Hunde und Katzen nicht eignen, um Zusammenhänge zwischen Herzrhythmusstörung und Hyperkaliämie (Kaliumüberschuss im Blut) zu untersuchen, da sie im Gegensatz zum Menschen auf ihren roten Blutkörperchen keine Natrium-Kalium-Pumpe haben, die für den Transport von Kalium-Ionen in die Zelle verantwortlich ist, und somit auch keinen hohen Kaliumspiegel. Trotz ähnlicher Mechanismen bei Maus und Mensch bei der Depolarisation im Herzen, sind für die Repolarisation jeweils unterschiedliche Kanäle verantwortlich, so dass Gene oder Medikamente, die bei Mäusen diesen Vorgang beinflussen, beim Menschen keinen Effekt haben.

Quelle

Maloney S.K., Fuller A., Mitchell D. et al.: Translating Animal Model Research: Does It Matter That Our Rodents Are Cold? Physiology. 2014: 29, 413-420