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Mindestens 350.000 Mäuse allein in Europa

Zusammenfassung

Präparate aus dem Nervengift Botulinumtoxin („Botox“) werden getestet, bevor sie in den Verkauf gehen – und zwar nicht einmalig, sondern jede einzelne Charge (Produktionseinheit). Die meisten Firmen führen hierfür einen qualvollen Test an Mäusen durch. Der anhaltende Botox-Boom hat einen dramatischen Anstieg der Tierversuchszahlen zur Folge. Neueste Berechnungen des Vereins Ärzte gegen Tierversuche gehen von mindestens 350.000 bis 412.000 Mäusen im Jahr 2015 allein für Europa aus. Inklusive der riesigen Märkte in Nord-Amerika und Asien dürfte die weltweite Zahl der Mäuse, die für das Gift einen qualvollen Tod erleiden müssen, um ein Vielfaches höher sein.

Hintergrund

Botox ist der Handelsname eines Produkts aus dem Nervengift Botulinumtoxin, das vor allem als Faltenglätter bekannt ist. Da es bei der Herstellung des von Bakterien produzierten Gifts zu Schwankungen kommen kann, schreibt das Europäische Arzneibuch eine Testung jeder Charge (Produktionseinheit) vor. Üblicherweise wird dies im LD50-Test an Mäusen gemacht. Gruppen von Mäusen wird die Substanz in verschiedenen Verdünnungen in die Bauchhöhle gespritzt. Das Gift lähmt die Atemmuskulatur, die Tiere ersticken qualvoll. Es wird die Menge Gift ermittelt, bei der die Hälfte der Tiere stirbt.

Je mehr Botox verkauft wird, desto mehr Tierversuche

Über die Anzahl der Mäuse, die hierfür auf äußerst qualvolle Weise ihr Leben lassen müssen, gibt es keine öffentlich zugänglichen Informationen.

Einer früheren Hochrechnung unseres Vereins zufolge, waren es im Jahr 2008 etwa 600.000 Mäuse weltweit. Die Schätzung beruhte auf gesicherten Zahlen aus Deutschland und Großbritannien sowie dem Botox-Umsatzvolumen der drei Marktführer zu der damaligen Zeit. (1)

Nicht nur, dass der Faltenglättungsboom ungebrochen ist, jenseits der kosmetischen Behandlung werden immer mehr Indikationen gefunden. Bislang war es im medizinischen Bereich nur für seltene Krankheiten wie Schiefhals zugelassen. Zunehmend wird es eingesetzt bei Depressionen, Parkinson, Tennisarm, übermäßigem Schwitzen, Migräne, Reizblase und 50 weiteren Krankheitsbildern – und das mit Erfolg. (2) Die erhöhte Anzahl an Indikationen bedeutet einen ständig steigenden Bedarf an Botox und damit das Leiden und Sterben von noch mehr Tieren.

Zwar haben der Marktführer Allergan und die deutsche Firma Merz 2011 bzw. 2015 behördliche Anerkennungen für ihre selbst entwickelten Tests mit menschlichen Zellen erhalten, so dass zumindest ein großer Teil der Mäuse ersetzt werden konnte, ein Ende der Versuche bedeutet dies jedoch auch bei diesen Herstellern (noch) nicht. Der Zelltest ersetzt bei Allergan und Merz den LD50-Test im Rahmen der Chargenprüfung, nicht aber bei einer anderen Testart, dem sog. Bulk-Testing. Außerdem müssen behördliche Anerkennungen in den verschiedenen Ländern eingeholt werden. Hinzu kommt, dass immer mehr Firmen auf den lukrativen Markt drängen. Neu sind die österreichische Firma Croma Pharma, die ab 2018 Botulinumtoxin-Produkte der koreanischen Firma Hugel in Europa und Nord-Amerika vertreiben will. (3) Besonders dramatisch ist, dass der Nahrungsmittelgigant Nestlé 2014 in das Geschäft eingestiegen ist und Dysport und Azzalure der Firma Ipsen vertreibt, die immer noch an Mäusen testet. (4) Allein durch seine schiere Größe wird der Konzern den Botox-Absatz und damit die Tierversuche in die Höhe treiben.

Berechnung der Tierzahlen für 2015

Die Neuberechnung der Tierzahlen fußt auf den offiziellen Statistiken von vier europäischen Ländern, von denen bekannt ist, dass dort Botox-Tierversuche stattfinden.

  • Deutschland: Beim Hamburger Auftragslabor LPT lassen Merz und Eisai testen
  • Irland: hier testen Allergan, Ipsen und vermutlich weitere Firmen
  • Großbritannien: Ipsen testet im Wickham Laboratory
  • Österreich: Croma testet vermutlich in Österreich

Die Angaben in den offiziellen Statistiken sind von Land zu Land zum Teil unterschiedlich. Seit 2014 gilt eine neue Zählweise basierend auf der novellierten Richtlinie 2010/63/EU (5). LD50-Tests an Mäusen werden nicht mehr gesondert erfasst, dafür aber die Chargentestung („Batch Potency Testing“). (6)

Bei folgenden Übersichten ist zu berücksichtigen, dass LD50-Tests nicht nur für Botox, sondern mitunter auch in anderen Bereichen eingesetzt werden. Chargentests gibt es auch bei einigen Impfstoffen wie dem Tollwut-Impfstoff. Im Folgenden wird anhand der Tabellen erläutert, dass diese anderen Einsatzgebiete aber nur einen kleinen Teil ausmachen, so dass man davon ausgehen kann, dass der allergrößte Teil auf Botulinumtoxin-Tierversuche zurückzuführen ist.

Länderstatistik Deutschland

Statistik Deutschland  2004  2005  2006  2007  2008  2009  2010  2011  2012  2013  2014  2015 
LD50-Tests an Mäusen  3.020  4.978  5.410  21.586  28.611  35.493  27.866  27.634  23.410  21.801     
Regulatorische Tests an Mäusen in Hamburg                      36.348 42.175
Botulinumtoxin-Tests NTS*                      150.000 48.000
Chargentestung an Mäusen                      150.392 112.139
Davon mit Schweregrad „schwer“                      75.101 69.554

* Nicht-technischen Zusammenfassungen

Die Frankfurter Firma Merz Pharma hat 2005 ihr Produkt Xeomin/Bocouture auf den Markt gebracht. Einen Anstieg der Tierzahlen sieht man allerdings erst ab 2007. Da die einzigen Botox-Tierversuche Deutschlands vom Auftragslabor LPT in Hamburg durchgeführt werden, wurden Hamburg-spezifische-Zahlen in die Überlegungen einbezogen. Allerdings betreibt das LPT auch Labore in Schleswig-Holstein und Niedersachsen. Wo genau die Botox-Versuche stattfinden, ist unbekannt.

Konkrete Zahlen für Botox-Tests findet man in den Nicht-technischen Zusammenfassungen (NTS), die die Bundesregierung nach den Vorgaben der EU-Richtlinie 2010/63/EU in der Datenbank animaltestinfo veröffentlicht. Die hohe Zahl von 150.000 Mäusen im Jahr 2014 ist auf den Neueinstieg der Firma Eisai mit ihrem Präparat Myobloc zurückzuführen, die allein für das Jahr 60.000 Mäusetests zu verantworten hat. Die Zahl 150.000 im Jahr 2014 stimmt sehr gut mit der in der neu eingeführten Statistik-Kategorie „Chargentests an Mäusen“ überein. Im Jahr 2015 driften die Zahlen auseinander. Möglicherweise sind hier verstärkt Impfstoffe getestet worden. Für manche, wie Tollwut, sind Chargentests vorgeschrieben.

Länderstatistik Irland

Statistik Irland  2007  2008  2009  2010  2011  2012  2013  2014  2015 
Toxikologische Versuche an Mäusen  5.544  51.456  193.335  204.065  194.158  167.341  193.197  136.439  148.060 
LD50-Tests an Mäusen  1.114  42.721  146.764  113.080  175.812  157.924       
Qualitätskontrolle (inkl. Chargen-testung)                  5.062 
Schweregrad “Schwer” (Mäuse)              195.433  88.686  61.456 
Tiere gesamt  64.378  112.835  249.206  279.609  264.964  232.285  277.559  224.249  228.975 
% LD50-/Tox-Tests zur Gesamtanzahl  38  59  40  66  68  70  61  65 

Tierversuche haben in Irland traditionell kaum eine Rolle gespielt – bis im Jahr 2008 der amerikanische Konzern Allergan ein Labor für die Testung seiner Botox-Produkte für den europäischen Markt in Irland eröffnete. Die Tierzahlen für toxikologische bzw. LD50-Tests schossen innerhalb eines Jahres von etwa 1.000 im Jahr 2007 auf über 42.000. In den folgenden Jahren wurde diese Zahl noch verdreifacht.

Seit 2013 werden LD50-Tests nicht mehr gesondert erfasst. Da die toxikologischen Versuche weiter auf hohem Niveau bleiben, ist davon auszugehen, dass weiterhin die Botox-Versuche hierunter fallen und nicht unter „Qualitätskontrolle“ erfasst werden. Der Anteil der Tiere von der Gesamtzahl, die in (überwiegend) Botox-Versuchen leiden und sterben mussten, lag in den letzten fünf Jahren zwischen 61 und 70 Prozent. Obwohl Marktführer Allergan seit 2011 einen Zelltest einsetzt und eigenen Angaben zufolge etwa 80 % seiner LD50-Tests ersetzen konnte, bleibt die Tierzahl in Irland gleichbleibend hoch. Dies legt den Schluss nahe, dass es weitere Firmen gibt, die die Infrastruktur für diesen Test in Irland nutzen.

Länderstatistik Großbritannien

Statistik Großbritannien  2009  2010  2011  2012  2013  2014  2015 
Akute letale Toxizität an Mäusen   80.034  66.869  78.545  97.236  104.512  136.793   
Chargentestung an Mäusen              144.957 

In Großbritannien gab es 2015 einen Wechsel in der Zählweise. Die Zahlen, die zunächst unter „akute letale Toxizität an Mäusen“ und ab 2015 unter „Chargentests an Mäusen“ erfasst wurden, bilden eine konstant ansteigende Linie, was auf den verstärkten Absatz von Produkten der Firma Ipsen zurückzuführen ist.

Länderstatistik Österreich

Statistik Österreich  2013  2014  2015 
Gesamtzahl Tiere  208.559  209.183  227.317 
Chargentestung an Mäusen    30.010  10.655 
Davon Schweregrad „schwer“      5.790 

Die österreichische Firma Croma hat 2014 eine Lizenz erworben, um Botulinumtoxinprodukte der koreanischen Firma Hugel in Europa und Nord-Amerika zu vertreiben. Vertriebspartner in Deutschland ist die Stada AG. Das Mittel noch ohne Namen soll 2018 auf den Markt kommen. Für einen neu einzustellenden Produktionsprozess werden besonders viele Tierversuche durchgeführt. So ist möglicherweise die Zahl von über 30.000 Tieren für die Chargentestung im Jahr 2014 zu erklären.

Tierzahlen 2015 in Europa

  Chargentestung an Mäusen  Zahl aus nicht techn.
Zusammenfassungen (NTS) 
Deutschland  112.139  48.000 
Irland  148.060   
Großbritannien  144.957   
Österreich  10.655   
Gesamt  415.811  351.672 

Seit 2014/2015 wird in den offiziellen Statistiken die Tierzahlen für die sogenannte Chargentestung („Batch Potency Testing“) erfasst. Man kann davon ausgehen, dass dies zum großen Teil Botox-Tierversuche sind. 

In den Vorjahren wurde nach LD50-Tests aufgeschlüsselt, die vermutlich fast ausschließlich Botox-Tierversuche beinhalteten. Vergleicht man die Zahlen von 2015 mit den Vorjahren, ergibt sich eine Linie, was auf die Korrektheit der Zahlen von 2015 hindeutet. Für Deutschland erscheint die Zahl 112.139 in 2015 gegenüber den Vorjahren jedoch zu hoch. Hier fallen vermutlich auch Chargenpotenzprüfungen für Impfstoffe darunter. Aus den Nicht-technischen Zusammenfassungen ist eine Zahl von 48.000 Mäusen für Botulinumtoxintests bekannt. 

Allein für die wichtigsten europäischen Länder kann man also von mindestens 350.000 bis evtl. 412.000 Mäusen ausgehen. Inklusive der riesigen Märkte in Nord-Amerika und Asien dürfte die weltweite Zahl der Mäuse, die für das Nervengift einen qualvollen Tod erleiden müssen, um ein Vielfaches höher sein. 

23.06.2017
Dr. med. vet. Corina Gericke

Weitere Infos

Aktionsseite: www.botox-tierversuche.de

Katy Taylor, Corina Gericke, Laura Rego Alvarez: Botulinum toxin testing on animals is still a Europe-wide issue. ALTEX 2019; 36(1): 81-90 >>

Quellen

(1) Bitz, S.: The Botulinum Neurotoxin LD50 Test – Problems and Solutions. Altex 27, 2/10, 114-116
(2) Gukelberger-Felix G.: Depression und Migräne – Botox kann viel mehr als Falten glätten. Spiegel.de, 21.03.2017
(3) Croma Pharma: Distribution Agreement with Hugel Inc., Pressemitteilung, 22.4.2014
(4) Geller, M., Baghdjian, A.: Nestle boosts skincare business with $1.4 billion Valeant deal. Reuters, 28.05.2014
(5) Richtlinie 2010/63/EU des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 22. September 2010 zum Schutz der für wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere 
(6) Bundesministerium für Landwirtschaft, Ernährung und Verbraucherschutz: Versuchstierdaten 2015